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Modellprojekt ausweiten "Hilfsangebote sind hoffnungslos überlaufen"

Die Pandemie hält an und die Pädagogen des Vereins Vaja. der seit 30 Jahren aufsuchende Sozialarbeit in Bremen leistet, befürchten weiter steigende Belastungen für Jugendliche.
07.10.2022, 05:00 Uhr
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Von Ulrike Troue

"In der Pandemie sind vor allem die Ängste der Jugendlichen stärker geworden", sagt Wiebke Aits. Besonders für Cliquen oder Szenen, die sich auf öffentlichen Plätzen in Bremen treffen und sich durch spezielle Verhaltensweisen, Rituale oder äußere Merkmale bewusst von Gleichaltrigen und ihrer Umwelt abgrenzen, hätten sich "die Probleme weiter verschärft". Die pädagogische Leiterin des Vereins zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit (Vaja) weiß dies aus Gesprächen mit Jugendlichen in Bremer Quartieren mit benachteiligten sozialen Milieus.

Unterstützungsbedarf steigt

Besonders für ältere Jugendliche, die sich unter normalen Umständen längst vom Elternhaus losgelöst hätten, sei die Situation belastend, hat Wiebke Aits vom Regionalteam Süd beobachtet. "Drogenkonsum, Essstörungen und weitere Gesundheitsfaktoren haben zugenommen."

Sie und ihre Kollegen erwarten, dass sich der hohe Hilfs- und Unterstützungsbedarf der Jugendlichen, die sie im öffentlichen Raum treffen, noch weiter potenzieren wird. "Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Gesundheitsprävention und aufsuchender Jugendarbeit", sagt Wiebke Aits.

Modellprojekt seit 2020

"Die psychosozialen Folgen sind immer noch und mitunter noch stärker als zuvor spürbar und die Hilfsangebote hoffnungslos überlaufen", betont Dennis Rosenbaum, stellvertretender Geschäftsführer des Jugendhilfeträgers. "Und es ist absehbar, dass wir auch Ende dieses Jahres immer noch in der Mitte der Pandemie sind." Deshalb wünscht sich Vaja die Verstetigung des Cowork-Projekts, besser noch seine Ausweitung auch auf andere sozialschwache Quartiere.

Das im März 2020 gestartete Modellprojekt in Tenever und dem Schweizer Viertel soll Jugendliche über Begleiterscheinungen und Folgen der Pandemie sowie Fake News aufklären. Cowork wurde aus dem Bremen-Fonds finanziert, im vergangenen Jahr verlängert und läuft zum Jahresende aus.

Nach Erfahrung der Vaja-Teamer könnte ein langfristig angelegtes Projekt der beziehungs- und lebensweltorientierten Straßensozialarbeit viele Jugendliche erreichen, die pädagogische Hilfe benötigen, damit sie gesellschaftlich wieder integriert werden können. Zumal sie ihnen niedrigschwellige Angebote machen und sie die Jugendlichen bei Bedarf auf kurzem Weg an entsprechende Institutionen vermitteln können.

Drei Regionalteams

Generell würde Vaja flexibel auf veränderte Freizeitverhalten und geänderte Bedarfe der Jugendlichen reagieren, sagt Dennis Rosenbaum an. Zusätzlich zur Beratungsstelle, den drei Regionalteams im Stadtgebiet und zum Cowork-Projekt gibt es noch spezialisierte Teams: Connect etwa bietet Jugendlichen mit Fluchterfahrung Unterstützung an, Subkultur arbeitet mit jungen Menschen, die sich an zentralen Treffpunkten wie dem Hauptbahnhof aufhalten. Spot setzt den Fokus auf die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Orientierungen und Aspekten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Ansprechpartner und Vermittler

Seit 30 Jahren leistet Vaja stadtweit niedrigschwellige Sozialarbeit. Die Sozialarbeiter und Pädagogen suchen die Jugendlichen, die teilweise als Störenfriede gelten, weil sie laut sind, Müll zurücklassen und womöglich randalieren, Alkohol oder Drogen konsumieren, auf der Straße auf und sprechen sie an. In der Krise konnte der Jugendhilfeträger deshalb flexibel reagieren.

Die Pandemie habe den direkten Draht zu den jungen Menschen zwischen 13 und 21 Jahren nicht gekappt, weil man sich online, im öffentlichen Raum oder in mobilen Cliquen-Räumen weiterhin treffen konnte, sagt Sozialarbeiter Mutlu Ersan. "Wir kommen als Gäste, nehmen die Jugendlichen ernst und schenken ihnen als Erwachsene Gehör", formuliert er das Credo der Vaja-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen. Sie bieten sich als Ansprechpartner, Vermittler bei Konflikten oder für eine individuelle Beratung und Begleitung an. Daher sei Vaja eine Institution. "Wenn ich die Jugendlichen anspreche, sind sie zu 95 Prozent offen und sehr kommunikativ", betont Mutlu Eersan.

Begegnungen hält der Sozialarbeiter ohnehin für den Schlüssel zum Erfolg. Als besonders erfolgversprechend stuft er Projekte ein, bei denen Jugendliche unterschiedlicher Gruppen sich kennenlernen, Vorurteile abbauen und vielleicht neue Freunde finden können. Solche Angebote mussten mit Beginn der Pandemie herunterfahren werden. Infolge von Kontaktbeschränkungen seien größere Gruppen auch eher selten draußen anzutreffen gewesen, sagt Mutlu Ersan. Daher habe die Einzelfallberatung zugenommen.

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