Konzentrierte Stille. Niemand niest. Kein raschelndes Bonbonpapier. Ein Räuspern hier und da ist gerade noch im Rahmen des Erträglichen. Im Konzertsaal gelten eigene Regeln. Nicht so beim inklusiven Konzert am 30. Januar in der Glocke. Dann ist alles anders. An dem Tag sind Geräusche willkommen, ist Herumlaufen erlaubt, ob Lachen, Weinen und Quietschen vor Begeisterung oder Töne machen. Das inklusive Konzert ist speziell für schwer mehrfach behinderte Menschen gedacht. Doch nicht ausschließlich. Ob mit oder ohne Behinderung, der Musikgenuss ist für alle.
Persönliche Gründe
Ideengeberin Gerhild Alf motivieren persönliche Gründe. Die 67-jährige pensionierte Chirurgin, die in Schwachhausen wohnt, hat einen erwachsenen Sohn, der von Geburt an mehrfachbehindert ist. Er kann sich nicht angepasst verhalten. Beim inklusiven Konzert muss er es nicht.
Für die Umsetzung ihres Projekts hat sich Alf das Bremer Kammerensemble Konsonanz mit ins Boot geholt. Die klassisch ausgebildeten Musiker, die sich aus verschiedenen Kulturen zusammengefunden haben, sind bekannt für ihr Interesse an innovativen inhaltlichen und räumlichen Konzepten und ihre Lust am Experimentieren. Konsonanz suchte vor zwei Jahren den Kontakt zu Alf, nach einer Ankündigung im Stadtteil-Kurier für das erste von Alf organisierte inklusive Konzert in der Osterholzer Kapelle. Ulrich Görlitz, der hier jährlich ein Konzert mit Gongklängen gestaltete, präsentierte damals die Darbietung als inklusive Veranstaltung vor über 100 Zuhörern.
Bereits zweimal verschoben
Fortan, so hatte es sich Alf gewünscht, sollte das Angebot institutionalisiert werden. Vier Konzerte jährlich, bei denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung willkommen sind, war ihr ursprünglicher Plan. Doch die Pandemie kam dazwischen. Das inklusive Konzert in der Glocke wurde bereits zwei Mal verschoben, von April auf August, von August auf Januar. Katrin Anders, zuständig für Musik-Vermittlungsrojekte in der Glocke, bedauert die Absagen, setzt die Planung aber nicht aus. „Wir machen weiter und müssen dann gegebenenfalls immer wieder einen neuen Termin ansetzen“, sagt sie.
Schlagzeug gibt Struktur
Vorerst stellen sich die Macher auf Ende Januar ein und beschreiben, wie sie sich den musikalischen Nachmittag vorstellen. Höchstens eine Stunde spielen die Musiker, mit Pausen. Sie möchten die Aufmerksamkeit ihres Publikums nicht überstrapazieren. Die Darbietung ist auf eine Stunde begrenzt und in Blöcke unterteilt, erläutert Karoline Ott, Mitbegründerin und Geigerin des Kammerensembles. Unter anderem kommen Stücke von Wolfgang Amadeus Mozart, Ralph Vaughan Williams und Arvo Pärt zu Gehör. Stücke, die eine emotionale Tiefe haben, kündigt Off an. Das Streicherensemble wird für das Konzert in der Glocke um einen Schlagzeuger erweitert. Das gebe für die Wahrnehmung mehr Struktur, begründet Ott diesen Schritt.
Die Violinistin wählte sich im Geigenstudium als Thema für ihr Masterprojekt die Konzeption von Konzerten für Schwerstbehinderte. Sie weiß, worauf sie sich einstellt – darauf, dass sie sich auf nichts einstellen kann. Vor dem Konzert könne niemand genau sagen, was passieren könne, weiß Ott.
Unmittelbare Rückmeldung
Auch ihr Künstlerkollege Daniel Tolsdorf, Kontrabassist im Ensemble, freut sich auf die Herausforderung. „Diese unmittelbare Rückmeldung ist das Spannende“, sagt er. „Egal, ob die Zuhörer anfangen werden zu jubeln, zu tanzen oder zu weinen. Da spielt man noch mal auf eine ganz andere Art und Weise.“
Anders hat bereits Erfahrungen mit Musikveranstaltungen, die nicht der Norm entsprechen. In Sitzkissen-Konzerten zum Beispiel, bei denen Eltern mit ihren Babys zuhören, sind Zwischentöne ebenso willkommen.
Auf eine Stunde begrenzt
Alf ist gespannt, wie sich das Format inklusiver Konzerte entwickelt, wo man Grenzen zieht, was man ausbaut. Einheitlich ist bislang, dass sie auf eine Stunde begrenzt sind und am Nachmittag stattfinden, um zu gewährleisten, dass auch Begleitpersonen aus Wohneinrichtungen teilnehmen können, und dass sie an barrierefreien Orten stattfinden. Geeignete Konzerte sind mit Label „Inklusik-Konzerte für Alle“ mit einem speziellen Logo, einem Menschen, der auf einem Notenschlüssel-Rollstuhl sitzt, gekennzeichnet und auf der Webseite www.inklusik.de aufgelistet.
Alf möchte sich nicht auf wenige Veranstaltungsorte beschränken. „Die Konzerte sollen gerne breit gestreut über das Stadtgebiet stattfinden“, wünscht sich die Organisatorin. Für den 26. März hat sie bereits ein inklusives Klezmer-Konzert mit Klezgoyim in der Kulturkirche Sankt Stephani auf die Beine gestellt. In Planung ist ein Musikfestival „be a Part“ Anfang September auf dem Gelände von Conpart an der Osterholzer Heerstraße. Mit der Zeit werde sich dann zeigen, was gut klappt und was schwieriger ist.
Die Förderung für das Konzert im Januar steht bereits. Der Freundeskreis des Ensembles hat einen Antrag bei der „Aktion Mensch“ bewilligt bekommen und somit die Hälfte der Finanzierung gesichert. Der Rest der Kosten wird über die Eintrittsgelder beglichen.
Über den Elternverein Conpart, der vor sieben Jahren aus der Spastikerhilfe Bremen und des Vereins für integrative Erziehung und Frühförderung hervorgegangen ist, akquirierte Alf Mittel für die Netzförderung. Die Organisatorin, deren Sohn seit 2012 dort die Tagesförderstätte besucht, ist seit fünf Jahren ehrenamtlich im Vorstand tätig. Um das Projekt auszubauen, will sie Kontakte zu interessierten Gruppen auch in Zukunft weiter ausbauen.
Zwei Mal "Konzert in Bewegung"
Für das inklusive „Konzert in Bewegung“, Sonntag, 30. Januar, in der Glocke, Domsheide 6-8, sind zwei Veranstaltungen geplant. Das Ensemble spielt jeweils für eine Stunde ab 13.30 und ab 16 Uhr. Tickets sind unter 04 21/33 66 99 erhältlich. Der Eintritt beträgt 20 Euro (ermäßigt zehn Euro, Begleitpersonen von Rollstuhlfahrern haben freien Eintritt). Mehr Informationen unter www.inklusik.de.