Sabina Schoefer: Für die Zukunft sehe ich, dass das Lernen in der Gruppe bleibt, aber dass sich zunehmend neue, digitale Lernkanäle öffnen. Das Miteinander- und Voneinanderlernen in ganz verschiedenen Varianten wird wichtiger werden. Und das Einordnen von Informationen wird zu einer immer größeren Herausforderung.
Ist die VHS für die Zukunft gut aufgestellt?Ja, das ist sie! Die sechs Programmbereiche Gesellschaft, Sprachen, Beruf, Kultur, Gesundheit und Grundbildung bilden den Bedarf nach Weiterbildung ab. Und die 17 Ziele der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung finden sich in vielen Kursen wieder. Zum Beispiel: Wie kann die Wegwerfgesellschaft überwunden und wie die Armut bekämpft werden? Die Volkshochschule hat schon immer nachhaltig gedacht und wurde früher dafür belächelt. Heute sind wir froh, dass wir daran festgehalten haben.
Was verändert sich durch die neuen technischen Möglichkeiten?Die Volkshochschule ist bundesweit und international gut eingebettet. Jeder einzelne Fachbereich ist in allen 16 Bundesländern im Fachaustausch. Die Angebote sind immer auf Höhe der Zeit. Ich beobachte die Weiterbildungslandschaft sehr aufmerksam. Es verändern sich die Räume und Rhythmen, wie Menschen lernen wollen. Durch die digitalen Angebote werden Mischkonzepte fürs Lernen wichtig.
Was heißt das?Also, es gibt nicht nur einen Kursus mit regelmäßigen Treffen, sondern die Leute können zunächst selber etwas erarbeiten, kommen dann in einer Gruppe zusammen, gehen dann wieder auseinander und so weiter. In den einzelnen Phasen holen sie sich durch digitale Angebote im Netz, in der VHS-Cloud oder durch Youtube-Videos Unterstützung. Das ist nicht nur Zukunftsmusik, sondern so läuft es heute zum Teil schon.
Youtube-Erklärvideos könnten ja auch eine Konkurrenz zu VHS-Kursen sein.Nein, das sind sie nicht. Wenn Leute alleine lernen, ist es schwierig, eine Erfolgskontrolle zu haben und dranzubleiben. Es braucht Kritik und Dialog. Zum Lernen gehören diese neuen Medien inzwischen dazu. Menschen können sich zum Beispiel auch Fremdsprachen allein aneignen, aber sie brauchen immer die Korrektur. Deshalb sind Mischkonzepte notwendig. Die müssen wir noch weiterentwickeln. Das wird für den weiteren Weg der Volkshochschule entscheidend sein.
Wie weit ist die VHS bei den digitalen Medien?Da sind wir im bundesweiten Vergleich sehr weit vorn, weil wir früh angefangen haben. Schon 2012 wurde der Grundstein für die Digitalisierung gelegt und dann in kleinen Schritten ausgebaut. Bremen ist sehr aktiv in der VHS-Cloud und produziert Youtube-Videos. Das nutzen alle Volkshochschulen. Zum Jahreswechsel haben wir die komplette Software erneuert, die künftig viel Neues möglich machen wird – unter anderem Kursbewertungen durch die Teilnehmer und Selbstdarstellungen der Dozenten. Letztere sind kein Selbstzweck, denn das Bildungsmarketing der Zukunft ist mehr personenzentriert. Die Nutzer möchten ihre Dozenten sehen und etwas über deren Qualifikationen erfahren. Es ist bisher leider zu wenig sichtbar, wie hoch qualifiziert die Dozenten sind und über welche enorme Bandbreite an Wissen sie verfügen.
Was wird sich durch digitalen Entwicklungen noch verändern?Es wird neue Berufe geben, zum Beispiel Content-Scouts. Im Internet gibt es so viele Angebote, dass zum einen der Überblick schwer fällt und zum anderen die Unterscheidung zwischen guten und zweifelhaften Informationen oder digitalen Lernmöglichkeiten. Die Content-Scouts werden Pfade in den Dschungel schlagen und Empfehlungen geben.
Die Volkshochschule ist auch in den Stadtteilen stark verankert, soll das so bleiben?Selbstverständlich, die Lernorte sind für uns ein Zukunftsbaustein. Die Angebote in den Quartieren vor Ort werden wichtiger. Neben Lernorten werden dort auch Experimentierräume benötigt, um den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen. Der Bedarf an offenen Angeboten wird weiter steigen. Im Bremer Osten wollen wir im Ellener Hof einen Campus schaffen, der offene Angebote für Kommunikation, Ästhetik und kreative Ideen sowie das Kurssystem miteinander kombiniert.
Auch Kooperationen baut die VHS offensichtlich aus.Ja, aktuell haben wir 174 Kooperations-Institutionen, mit denen zusammen Kurse angeboten und Zuschussgelder akquiriert werden. Diese Vernetzung wird in Zukunft noch zunehmen. Geld ist immer knapp, deshalb ist es unerlässlich, Netzwerke zu pflegen, um gute Weiterbildungsangebote machen zu können und die Zugänge zur Bildung zu erleichtern. Wir kooperieren auch ganz eng mit Volkshochschulen im Umland und anderen Großstädten von Hamburg bis Wien.
Die Grundfinanzierung der VHS läuft über die Stadt.Das ist richtig, aber die städtischen Zuschüsse decken noch nicht einmal die Personalkosten für unsere 1067 Mitarbeiter und Dozenten. Im Moment verdreifachen wir die städtischen Zuschüsse annähernd. Die VHS erhielt 2018 rund 3,16 Millionen Euro von der Stadt und erwirtschaftete selber 8,4 Millionen Euro unter anderem durch Europa-, Bundes- und Landesmittel, mit denen sie eins zu eins Weiterbildung für Bremen möglich macht. Die Kursgebühren erbrachten rund drei Millionen Euro.
Die Kursleiter klagen seit Langem über zu niedrigere Honorare.Die Volkshochschule ist inzwischen ohne entsprechende Zuschusserhöhung in Vorleistung gegangen und zahlt ab diesem Jahr ein Mindesthonorar von 23 Euro pro Unterrichtseinheit von 45 Minuten. Im Januar wurde ein Rahmenvertrag zwischen VHS, Kulturbehörde, GEW und Kursleiterrat geschlossen, wonach zunächst ab 2020 das Mindesthonorar 25 Euro und bis 2023 auf 31 Euro angehoben werden soll. Außerdem sollen Sozialversicherungszuschüsse und Urlaubsentgelte für umfangreich beschäftigte Dozenten gezahlt werden. Das bedeutet rund 800 000 Euro Mehrkosten bis 2023, die allerdings noch bei den Haushaltsberatungen bereitgestellt werden müssen.
Was wünschen Sie sich, außer mehr Geld, von der Politik?Wir bereiten eine Ausstellung zum Jubiläum vor, die deutlich macht, dass Bremen heraussticht aus den anderen Großstädten. Wir waren 90 Jahre die größte Schule und hatten kein eigenes Gebäude für Kurse. Für die Zukunft wünsche ich der Bremer Volkshochschule etwas mehr Aufmerksamkeit der Regierung und Politik. Und auch, dass die Leistungsfähigkeit dieser Einrichtung mehr ins Bewusstsein rückt und wichtige Fragen der Zukunft auch mit dieser Einrichtung diskutiert werden.
Das Gespräch führte Detlev Scheil.Sabina Schoefer (58)
ist promovierte Soziologin und hat vor ihrem Wechsel nach Bremen in der freien Wirtschaft im Bereich Organisationsentwicklung gearbeitet. In der Erwachsenenbildung sammelte die gebürtige Magdeburgerin Erfahrungen als Dozentin und Seminarleiterin vor allem im politischen Bereich. Seit August 2011 ist sie Direktorin der VHS Bremen.
Weitere Informationen
Zum 100-jährigen Bestehen der VHS wird am 20. September im Bamberger-Haus, Faulenstraße 69, die Ausstellung „100 Jahre Wissen teilen“ über die Historie der VHS im Spiegel der Stadt Bremen eröffnet. Am 4. November folgt ein Jubiläums-Festakt im Rathaus.