Es geht um einen Streitwert von genau 53 Cent, wenn der Prozess der freischaffenden Bremer Schauspielerin, Sprecherin und Regisseurin Cornelia Petmecky diesen Donnerstag vor dem Sozialgericht verhandelt wird. Zum Hintergrund: Bis 2014 hatte das Jobcenter ihre Fahrtkosten anerkannt, dann aber plötzlich die Anerkennung ausgesetzt. „Es kam ein neuer Fallmanager, der sich auf meiner Homepage darüber informierte, welche literarischen Programme ich so mache und meinte, damit müsste ich ja viel Geld verdienen und hätte es aber nicht angegeben, was definitiv nicht so ist“, erzählt sie. Daraus ergab sich für die Künstlerin, die seit ihrer Scheidung 2008 nach 23 Jahren Ehe auf Hartz IV angewiesen ist, nach eingehender Prüfung schließlich ein Zuviel an Einkommen von 53 Cent.
Unerklärlicherweise seien seitens des Jobcenters immer einmal wieder, zuletzt im Frühjahr, ohne Vorankündigung plötzlich die monatlichen Zahlungen eingestellt worden. „Aus dem Nichts, ohne dass ich mir etwas zu Schulden kommen lassen hätte. Da macht sich schon Existenzangst breit. Es war schrecklich peinlich für mich, meinem Vermieter erklären zu müssen, weshalb die Miete nicht überwiesen wurde“. Die zuständige Sachbearbeiterin beim Jobcenter habe lediglich bestätigt, dass die Zahlungen gestoppt worden seien, habe aber nicht darlegen können, weshalb und von wem die Zahlungen ausgesetzt worden seien. Der zuständige Sozialrichter habe daraufhin lakonisch festgestellt: „Sie haben ja noch 200 Euro auf dem Dispo“.
Bedauerliches Versehen
Katrin Demedts, Pressesprecherin des Jobcenters Bremen, räumt nach Rücksprache mit den zuständigen Sachbearbeitern ein, dass es sich bei der fraglichen Aussetzung der Zahlungen im Frühjahr um ein bedauerliches Versehen gehandelt habe. Die Mitarbeiter des Jobcenters seien davon ausgegangen, dass Cornelia Petmecky aus Bremen weggezogen sei. „Dann sind wir verpflichtet, die Leistungen einzustellen“, sagt Demedts. Tatsächlich ist die Künstlerin lediglich von Gröpelingen ins Viertel gezogen. „Wir betreuen 80.000 Menschen in der Stadt, da kann so etwas schon einmal passieren“, so die Pressesprecherin. Zuvor seien die Zahlungen an Petmecky bereits zweimal ausgesetzt worden, räumt Demedts ein, im März 2017 sei es zu einer Verzögerung von zwei Tagen gekommen, im September 2015 habe die Unterlage EKS zur Einkommensermittlung gefehlt. Es sei aber angekündigt worden, dass die Leistungen so lange ausgesetzt werden würden, so lange diese Unterlage dem Jobcenter nicht vorliege.
Die Zahlungen seitens des Job Centers seien erst fortgesetzt worden, als Christoph Heigl, Fachanwalt für Arbeitsrecht, eine einstweilige Verfügung erwirkt habe, sagt Petmecky. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass für Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ein anderes Recht als für normale Menschen gilt“, stellt Cornelia Petmecky resigniert fest. „Schließlich kann jeder Selbstständige Fahrtkosten geltend machen“.
Dieser Präzedenzfall betreffe auch andere freischaffende Künstler, die in der gleichen Situation und auf die Erstattung von Fahrtkosten angewiesen seien. Ein wenig fühle man sich beim Feilschen um Cent-Beträge an die Abenteuer des „Hauptmanns von Köpenick“ von Carl Zuckmayer erinnert. Hartz IV müsse jedes halbe Jahr immer wieder neu beantragt werden, schildert die Künstlerin. Zusätzlich zu ihrer Hartz IV-Grundsicherung in Höhe von 416 Euro dürfe sie nach Abzug der Kosten pro Monat 100 Euro von ihrem Verdienst behalten.
Petmeckys Anwalt Christoph Heigl schrieb Anfang Juni vergangenen Jahres an das Sozialgericht dazu folgende Einlassung: „Selbst wenn bei den von der Klägerin als Betriebskosten geltend gemachten Fahrtkosten bzw. Kosten für öffentliche Verkehrsmittel in Höhe von insgesamt 263,90 Euro zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin das von ihr tatsächlich in Anspruch genommenen Stadtticket Bremen „auch“ zu privaten Zwecken nutzen kann, (33,70 Euro pro Monat in 2015 und 35,90 Euro pro Monat in 2016) wären zumindest die monatlich jeweils darüber hinausgehenden Fahrtkosten, die allein ‚betrieblich‘ veranlasst waren, als Betriebskosten zu berücksichtigen gewesen“.
In dem Schreiben heißt es weiter: „Aber auch abgesehen davon sind die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel zumindest teilweise als Betriebskosten zu berücksichtigen, denn wenn das Stadtticket auch für private Zwecke genutzt werden kann, impliziert das, dass es eben auch für Betriebszwecke genutzt wurde und deshalb auch wenigstens teilweise als Betriebsausgabe zu berücksichtigen ist. Tatsächlich hat die Klägerin das Ticket überwiegend betrieblich genutzt“.
Anwalt: Kein Einkommen
Die Pressesprecherin des Jobcenters sagt nun, dass Petmeckys Stadtticket in dem fraglichen Zeitraum vom Jobcenter berücksichtigt worden sei. Der Gerichtsbescheid des ersten Prozesses vom 28. April 2017 sagt allerdings etwas anderes: Dass die Kosten des Stadttickets nicht anerkannt worden wären, weil es eben auch privat genutzt worden sei. Das generelle Resümee des Anwalts für Arbeitsrecht im Fall Petmecky fällt wie folgt aus: „Es ist also von einem monatlichen Gewinn unter 100 Euro auszugehen und daher kein Einkommen anzurechnen“.
Katrin Demedts noch einmal mit der Position des Jobcenters dazu: „Wenn der Grundfreibetrag nach § 11 b Abs. 2 SGB II nicht überstiegen wird, dann werden Fahrtkosten durchaus angerechnet. Allerdings werden diese dann im Bescheid nicht extra aufgeführt, da sie in den Freibetrag sozusagen ‚einfließen‘. Das Stadtticket würde nur aufgeführt werden, wenn der Grundfreibetrag bereits ausgeschöpft wäre und die Kosten darüber hinaus gehen“.
Anwalt Christoph Heigl bezeichnet diese Auskunft als irreführend: „Das Jobcenter vertritt die Auffassung, Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel im Zusammenhang mit dienstlichen Angelegenheiten seien generell als Werbungskosten in diesem Freibetrag enthalten. Ich vertrete die Auffassung, sie seien als Betriebskosten gewinnmindernd vom zu berücksichtigenden Einkommen abzusetzen und nicht den Werbungskosten zuzuordnen“.