Tim Lee, wie spielen Sie Shakespeare-Rollen lieber: auf Deutsch oder in ihrer Muttersprache Englisch?
Tim Lee: Das kann ich gar nicht sagen. Das ist jetzt auch das erste Mal, dass wir ein und dasselbe Stück in beiden Sprachen aufführen. Auf Englisch und auf Deutsch zu spielen, ist etwas völlig anderes.
Wieso?
Englisch ist viel direkter, klar und "down to the point" (Anm. d. Red.: auf den Punkt gebracht). Im Englischen sind die Wörter kürzer. Dadurch ist es rhythmischer und passt mehr in den Jambus, in dem Shakespeare geschrieben hat. Die Übersetzung erschwert es, den Rhythmus zu finden. Deutsche setzen ja gerne Wörter zusammen, anstatt ein neues zu verwenden. Das wirkt sich auch auf das Denken aus.
Es heißt, dass Menschen, die eine andere Sprache sprechen, ihre Persönlichkeit ändern. Ändert sich mit der Sprache der Charakter Ihrer Rolle?
Bei mir ist es noch mal ein bisschen was anderes, weil meine Muttersprache Englisch ist. Ich habe eine größere emotionale Bindung zu der Sprache. Die englische Shakespeare-Sprache holt mich schneller ab, im Deutschen muss ich immer ein bisschen mehr ackern.
Wirkt die englische Version anders als die Deutsche?
Man denkt, Shakespeare sei Hochkultur, aber vieles ist derb und voller sexueller Anspielungen. Bei der Übersetzung kann die Sprache moderner und verständlicher werden.
Mit dem "Sommernachtstraum" führten Sie bei der Shakespeare Company Bremen zum ersten Mal ein Stück in beiden Sprachen auf. Wie läuft das ab?
Wir proben nur auf Deutsch und fangen zwei, drei Wochen vor der deutschen Premiere an, den englischen Text auswendig zu lernen. Erst nach der deutschen Premiere fangen wir an, auf Englisch zu proben. Vielleicht fällt uns dann auf, dass sich der Rhythmus verändert oder dass wir die Szene ändern müssen. Hätten wir beide Stücke gleichzeitig entwickeln müssen, wären wir wahnsinnig geworden, weil es schwierig ist, zwischen den Sprachen zu springen, bevor sich der Text gesetzt hat.
Sie sind vier Schauspieler und spielen 20 Rollen. Wie machen Sie das?
Das ist eine logistische Herausforderung. Wir ziehen uns ständig um. Oft auf der Bühne, damit die Zuschauer mitkommen und verstehen, worum es geht. Das macht eine Riesengaudi. Mit dem "Sommernachtstraum" funktioniert das richtig gut. Einige Stücke von Shakespeare sind Konversationsstücke, das hier ist eine Komödie. Das heißt, die Texte sind schneller, und es ist sehr klar strukturiert.
Das Stück soll mit wenig Requisiten auskommen. Wie schaffen Sie es, dass die Zuschauer dennoch der Wirklichkeit entfliehen?
Shakespeare ist dafür geschrieben, ohne Bühnenbild gespielt zu werden. Die Welt wird über Sprache geschaffen, und das funktioniert erstaunlich gut. Zusätzlich setzen wir viel Musik zur Atmosphäre ein.
Bereits 2019 spielten Sie "Einen Sommernachtstraum" bei der Bremer Shakespeare Company. Was ist diesmal anders?
Ich bin der Einzige, der da mitgespielt hat. Neue Schauspieler und eine andere Regie interpretieren das Stück anders. Diesmal ist es komödiantischer, schneller. Letztes Mal waren wir sieben Schauspieler. Das beeinflusst die Spielart, weil man die Rollen stärker voneinander absetzen muss.
Das Interview führte Karolina Benedyk.