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Modellprojekt in Tenever Wie man häusliche Gewalt stoppen kann

In Tenever sollen Nachbarschaften gemeinsam häusliche Gewalt verhindern. Dafür ist ein Pilotprojekt gestartet worden, das in einer anderen Hansestadt schon erfolgreich läuft.
28.09.2023, 05:00 Uhr
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Wie man häusliche Gewalt stoppen kann
Von Christian Hasemann

Gewalt in der Beziehung ist ein Tabuthema, ein Thema, über das wenig gesprochen wird. Angst und Scham sind zwei Gründe für die Sprachlosigkeit und das schützt vor allem die Täterinnen und Täter. In Tenever soll nun ein Projekt das Thema Partnergewalt aus dem Dunkeln holen und damit der häuslichen Gewalt vorbeugen. Das haben die Initiatoren in Tenever vor.

In dem eng mit Wohnhochhäusern bebauten Ortsteil wohnen annähernd 10.000 Menschen auf vergleichsweise wenig Raum. Tenever gilt als sozial benachteiligt, das heißt das Einkommen ist geringer, die Arbeitslosigkeit höher als in anderen Stadtteilen, das birgt Konfliktpotenzial. Gleichzeitig leben Menschen dort aus über 80 Nationen mit unterschiedlicher kultureller Prägung zusammen.

Gewalt ist Thema in Tenever

In den Einrichtungen ist häusliche Gewalt immer wieder Thema. Im Kinder- und Familienzentrum Regenbogenhaus gibt es mit Ilka Böttcher für Familien eine Ansprechpartnerin bei Problemen im Alltag oder in der Familie. "In diesen Gesprächen und der Beratung erzählen die Menschen, was zuhause passiert", sagt Böttcher. Und das sind eben auch Fälle von Partnergewalt. Daneben beraten auch Frauengesundheit in Tenever und das Haus der Familie in Fällen von häuslicher Gewalt. Gemeinsam haben sich diese Einrichtungen auf den Weg gemacht, das Problem anzugehen.

"Wir haben gedacht, wir müssen das Thema enttabuisieren", erklärt Böttcher. Auf einem Fachtag suchten die Expertinnen nach Möglichkeiten, Partnergewalt vorzubeugen. Dabei ging der Blick auch nach Hamburg, denn dort hat sich das Projekt "Stop – Stadtteile ohne Partnergewalt" erfolgreich etabliert.

Das Projekt verfolgt das Ziel, mit Hilfe bestehender örtlicher Strukturen ein Klima zu schaffen, das die Anwohnerinnen und Anwohner für Partnergewalt und deren Folgen sensibilisiert und diese motiviert, nicht wegzuschauen, sondern ihr entgegenzutreten. Entwickelt wurde das Programm an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften durch Professorin Sabine Stövesand. 

In Bremen wird zukünftig die Sozialpädagogin Anne Kaupisch das Projekt in Tenever koordinieren. Noch durchläuft sie die Weiterbildung in mehreren Modulen, bereitet die Arbeit im Ortsteil aber schon vor, vernetzt sich, führt Gespräche, macht sich bekannt. Im Ortsamt Osterholz hat sie kurzfristig für ihre Arbeit ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen.

Frauen sollen befähigt werden, Warnsignale zu erkennen und von Möglichkeiten wissen, wo sie sich anvertrauen können.
Koordinatorin Anne Kaupisch

Kaupischs Aufgabe wird auch sein, ein Bewusstsein zu vermitteln, was Gewalt eigentlich ist. "Frauen sollen befähigt werden, Warnsignale zu erkennen und von Möglichkeiten wissen, wo sie sich anvertrauen können." Letztlich sollen Frauen – in der überwiegenden Zahl der registrierten Fälle sind Frauen Opfer und Männer Täter – die Entscheidungsmacht bekommen zu handeln, so Kaupisch.

Aber was ist eigentlich Gewalt? "Warnsignale können sein, dass die eigene Meinung nicht zugelassen wird, dass der Partner oder Partnerin isoliert wird oder keine individuellen Dinge zugelassen werden." Aber auch das Schlechtmachen vor Freunden und Bekannten könne ein Warnsignal sein.

"Psychische und körperliche Gewalt wird außerdem häufig über Jahre ausgeübt", erklärt Kaupisch. Hinzu kämen Abhängigkeiten, zum Beispiel finanzielle, die es den Opfern weiter erschwere zu handeln. "Man kann häufig nicht einfach ausbrechen", sagt Kaupisch. "Wohnungsnot ist ein ganz großes Thema, das dazu gekommen ist", ergänzt Ilka Böttcher. Wohnungsnot erschwert eine kurzfristige räumliche Trennung.

Kaupisch hat nicht ausschließlich Frauen im Blick. "Ich möchte auch die Männer erreichen, damit sie sagen können: Wir wollen keine Gewalt in der Nachbarschaft." Ihr schweben außerdem Jugendgruppen vor, in denen das Thema Gewalt thematisiert werden könne. 

Kaupisch wird für ihre Arbeit nicht im Büro bleiben. "Es wird Tür- und Hausflurgespräche geben, um das Projekt bekannt zu machen und auf Treffs und Treffpunkte aufmerksam zu machen." Das persönliche Gespräch sei das A und O. "Die Nachbarschaften sollen befähigt werden, selbst gegen Gewalt zu handeln, sie sollen erkennen, dass sie die Macht haben, selbst zu handeln und etwas zu bewirken." Wenn man so möchte: Schutz durch Öffentlichkeit.

Tausende Betroffene

Nach Zahlen des Bundesjustizministeriums sind im Jahr 2022 240.547 Menschen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt geworden. Die Zahlen geben die angezeigten Taten wieder, nicht-angezeigte Gewalttaten – das sogenannte Dunkelfeld – fließen nicht ein. Die tatsächliche Zahl könnte also höher sein.

Wie groß dieses Dunkelfeld ist, soll die Studie "Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag"  herausfinden. Die  Untersuchung wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie dem Bundeskriminalamt (BKA) verantwortet. Deutschlandweit sollen 22.000 Menschen befragt werden. Erste Ergebnisse werden 2025 vorliegen.

Wie hoch die Zahlen häuslicher Gewalt in Bremen sind, konnte die Bremer Polizei bis Redaktionsschluss nicht mitteilen. In der aktuellen Kriminalstatistik sind diese Fälle nicht extra ausgewiesen.

Info

Weitere Informationen zu Anlaufstellen und Beratungszentren in den Stadtteilen sind auf www.gewaltgegenfrauen.bremen.de abrufbar. Eine Beratungshotline ist unter der Telefonnummer 116016 geschaltet.

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