Gartenstadt Vahr. Die Bibel mit anderen Augen lesen: Vergangene Woche deutete Yuval Lapide aus Weinheim an der Bergstraße in der Jona-Gemeinde die Geschichte des Propheten Jona aus jüdisch-rabbinischer Sicht. Der Sohn der jüdischen Religionswissenschaftlicher Pinchas und Ruth Lapide will aber auch über die heiligen Schriften hinaus den Dialog zwischen den Weltreligionen anregen.
Namen und Wörter deuten und Querbezüge zu anderen Schriften herstellen - so erklärt Yuval Lapide die Technik der rabbinischen Textauslegung. 'Die hebräische Sprache ist voller Hinweise und tiefgründiger Begriffe.' Wenn man diese mit anderen Texten verbinde, ergäben sich für den Leser ganz neue Sichtweisen. 'Die Bibel erklärt sich quasi selbst', sagt der 48-Jährige. 'Jedes Zeichen, jedes Komma ist relevant.'
Zum Beispiel bedeute der Name Jona im Hebräischen 'Taube'. Der Name seines Vaters, Amittai, heiße 'meine Wahrheit' oder 'meine Verbundenheit', erklärt Lapide. 'Diese Namen sind schon programmatisch für die Geschichte: Jona steht nicht für sich, sondern für das Schicksal des Volkes Israel.' Die Taube als Vermittler zwischen Gott und den Menschen gebe es beispielsweise auch in der Geschichte von der Sintflut. Dort bringt eine Taube Noah einen grünen Zweig. Oder im Neuen Testament, als Maria nach der Geburt Jesu zwei Tauben im Tempel opfert. 'Nach Martin Buber ist ein Opfer nicht leid- und qualvoll, sondern eine materielle Gabe, in die man sein Herz hineinlegt, um eine spirituelle Nähe zu Gott aufzubauen', sagt Lapide, der 2001 über das Gottes- und Menschenbild im chassidischen Werk Martin Bubers in New York und Jerusalem promoviert hat.
Aber nicht nur deshalb ist er ein Kenner der jüdischen Denkweise. 'Ich bin damit aufgewachsenen', sagt der 48-Jährige, der 1961 in Jerusalem geboren wurde. Seine Eltern waren 1939 von Deutschland nach Israel emigriert. Als Israeli versteht er sich aber nicht: 'Ich habe eine doppelte Identität, aber Deutschland war immer meine innere Heimat.' 1969 kehrte die Familie nach Frankfurt zurück. 'Meine Eltern spürten, dass durch die gewaltsame Vertreibung etwas unvollständig war. Sie hatten eine unausgesprochene Sehnsucht nach Deutschland.' Auch sei zu diesem Zeitpunkt sein Vater Pinchas sehr aktiv dabei gewesen, den christlich-jüdischen Dialog aufzubauen. Er schrieb mehr als drei Dutzend Bücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt worden sind. 1993 - vier Jahre vor seinem Tod - erhielt er für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz.
Seine Frau Ruth und sein Sohn führen heute diese Arbeit fort; wobei Yuval zunächst als diplomierter Bankbetriebswirt und Wirtschaftswissenschaften studierte und zwölf Jahre lang in Frankfurter Banken gearbeitet hat. Erst Mitte der 90er habe er seine Berufung als 'Brückenbauer zwischen den Religionen' gefunden, sagt er. 'Alles wirkliche Leben ist Begegnung', zitiert er Martin Buber.
Vorträge und Seminare hält er aber meist nur für Christen - obwohl derzeit wieder rund 120000 Menschen jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik lebten. 'Das ist ein wunder Punkt', gibt er zu. Juden hätten aber oft viele Berührungsängste gegenüber den Christen. 'Sie haben Angst überraschungskonvertiert zu werden', glaubt Lapide, der diese Gefahr für sich selbst nicht sieht: 'Ich bin fest in meinem Glauben verankert.'
Auch einen Dialog zwischen Juden und Muslimen in Deutschland gebe es daher so gut wie nicht: 'Es gibt viele Ängste und Vorbehalte wegen des Konflikts in Israel. Aber es wäre an der Zeit, dass da endlich etwas in Gang kommt.' Er selbst habe aber keine Vorbehalte gegenüber seinen 'Brüdern und Schwestern', wie er die Muslime nennt. 'Gott ist der Vater aller Menschen - egal wie wir ihn bezeichnen.' Auch einige Moscheen hat er schon besucht, um sich selbst einen Eindruck zu machen. Eine Erfahrung, die Lapide generell den Menschen ans Herz legen möchte. 'Wir müssen mit den inneren Schreckensbildern aufhören, die religiösen Grenzen einreißen und uns von Mensch zu Mensch begegnen.'