Vegesack. Stolze siebzig Jahre wird das Freizi Alt-Aumund in diesem Jahr alt – da dürfte es nicht despektierlich sein, von einer allmählich etwas betagten Dame zu sprechen. Diese kann jedoch auf eine bewegte Vergangenheit und auch in musikalischer Hinsicht wilde Zeiten zurück blicken, um die es an dieser Stelle gehen soll. Anstelle eines Geburtstagsständchens hier nun also ein Rückblick auf die Sounds des Aumunder Freizis, die mehr als vierzig Jahre lang diverse Jugendgenerationen des Stadtteils begleiteten.
Oder sagen wir besser: Der Versuch eines solchen. Denn das im Freizi – je nach Generation und Belieben – nach Kräften gebeated, gebluesed, geschwoft, gerockt und gepunked wurde, dürfte niemandem verborgen geblieben sein, der zwischen den Sechziger- und den frühen Zweitausenderjahren Teile seiner Jugend in Vegesack verbrachte. Wie genau es aber dazu kam, dass das ehrwürdige Gemäuer in den Sechzigerjahren zur ständigen Spielstätte für junge Musik avancierte, die es daraufhin für die kommenden vier Jahrzehnte auch bleiben sollte, verliert sich ein wenig im Nebel der Geschichte.
So erinnern sich zwar ältere Nordbremer Generationen nach wie vor an lokallegendäre Auftritte späterer Blues- und Rocklegenden wie Alexis Korner und den „Spooky Tooth“ in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre im damaligen Jugendfreizeitheim Alt-Aumund; wer sie jedoch dorthin eingeladen hat ist nicht mehr nachvollziehbar: „Die Konzerte im Freizi wurden damals von Schülern des Gerhard-Rohlfs-Gymnasiums organisiert, die womöglich noch überhaupt keine Verträge hätten unterschreiben dürfen, weil sie noch keine 18 waren“, erinnert sich Volker Siedenburg, dessen 1964 gegründete „Rustlers“ bis heute zu den letzten Überlebenden der damaligen nordbremer Beat-Band-Welle gehören – und neben weiteren lokalen Bands wie den „Slyboods“ und „The Sharks“ regelmäßig auf den „Beat-Nachmittagen“ und den „GRG-Beat-Battles“ aufspielten.
Laut dem Bremer Schriftsteller Detlef Michelers und seinem Szeneportrait „Schlag auf Schlag“ hielt die Beatmusik zu Beginn der Sechzigerjahre mit „The Devils“ in Aumund Einzug, deren Schlagzeuger Gerold Scholz 1962 auf der Suche nach einem Proberaum im Freizi vorstellig wurde: „Ich kam gut mit dem Heimleiter klar; der sagte: 'Jau, mit Bands und so', und dann lief das“, zitiert Michelers Scholz in seinem Buch.

Christian Pfeiff Vegesack Jugendfreizeitheim Freizi Alt-Aumund Konzert Rock Heavy Metal #Bloodthirst of the Demon" überzeugten mit anspruchsvollen Brachialklängen. cp/ Foto: Pfeiff
Als Beatband der ersten Stunde, die wie fast alle Bands der Sechzigerjahre mit mehr oder minder improviserten Mitteln die Musik der zumeist englischen Vorbilder wie der „Beatles“ und den „Rolling Stones“ kopierten, sorgten die öffentlichen Proben der „Devils“ im großen Saal alsbald regelmäßig für volle Häuser und legte bis zu den Siebzigerjahren die musikalische Marschroute in Aumund fest.
Michelers erwähnt zudem auch Fredy Petz, der als Schüler des Gerhard-Rohlfs-Gymnasium Konzerte im Aumunder Freizi und dem Blumenthaler „Sattelhof“ organisierte- und dabei möglicherweise auch Verträge mit internationalen Künstlern abschloss. „Als wir 1964 als Siebtklässler die 'Rustlers' gründeten, gab es schon die von älteren GRG-Mitschülern organisierten Konzerte und auch bereits Proberäume in den Jugendheimen, vor deren Fenstern wir mit offenen Mündern den Älteren beim Üben zugeguckt haben. Durch die Existenz dieser Räume haben die Freizis eine Jugendmusikkultur im Bremer Norden überhaupt erst ermöglicht“, erinnert sich Volker Siedenburg.

Christian Pfeiff Vegesack Jugendfreizeitheim Freizi Alt-Aumund Konzert Rock'n'Roll Turbo Boost Coole Bühnenposen zu schrammelnden Punkriffs: Die Oldenburger #Lucky Bud" servierten ihren #Ar***rock" beim #Rock'n'Roll Turbo Boost" im Freizi. cp/ Foto: Pfeiff
Diese von einer politisierten und rebellischen Schülergeneration auch im Bremer Norden instituierte Kulturform sollte sich über vierzig Jahre fortsetzen, wenn auch der Sound sich beständig veränderte: Von den Siebziger- bis in die späten Neunzigerjahre zeigte sich der Bremer Norden als fruchtbares Biotop für immer neue neue Klänge junger Musiker, die unter anderem auch im Aumunder Freizi eine regelmäßige Proben- und Konzertheimat fanden.
In den Achtziger- und Neunzigerjahren entstand in und ums Freizi unter der Leitung von Klaus Bock und Monika Hublitz eine regelrechte Konzert-Infrastruktur, der seit den Neunzigerjahren auch die durch den langjährigen nordbremer Kulturreferenten Egbert Heiß mit tatkräftiger Unterstützung seines vormaligen Schülers Stefan Pelikan ins Leben gerufene „Rockinitiative Bremen-Nord“ zugearbeitet wurde.
Ein Deal des Freizis mit dem Veranstaltungstechniker Volker Valentin verschaffte diesem ein Lager für sein Equipment und dem Freizi im Gegenzug die Möglichkeit, die immer neuen Bands mit professioneller Veranstaltungstechnik auftreten zu lassen – häufig mehrmals pro Monat.
In Hochzeiten kamen bis zu 300 Besucher
Schließlich mangelte es weder an interessierten und feierfreudigen Zuhörern – Freizi-Konzerte verzeichneten im Normalfall regelmäßig etwa 100 bis 300 Zuschauer - noch an spielwütigen Bands, beheimatete das Einzugsgebiet der NORDDEUTSCHEN doch selbst in den Spätneunzigern noch über 40 verschiedene Bandformationen, von denen nicht eben wenige auch mehr oder minder regelmäßig im Aumunder Freizi aufspielten.
Viele der unzähligen, oftmals auch nur recht kurzlebigen lokalen Bands und Projekte dieser Ära sind heute fast vergessen – schließlich existierte seinerzeit noch kein Internet, und das Shooten professioneller Fotos und Videos sowie das Verfassen von Bandbiographien zählten noch nicht zwingend zu den Lieblingsbeschäftigungen ambitionierter Hobbymusiker.
Regelmäßige Bühne für lokale Bands
So zeugen fast nur noch in den 80er- und 90erjahren gleich dutzendweise aufgenommenen Demokassetten, später auch CDs, die heute – sofern noch existent - überwiegend ein Schattendasein in nostalgischen Erinnerungsschubladen fristen dürften, von einer ebenso vitalen wie musikalisch vielseitigen nordbremer Bandszene, die sich keineswegs ausschließlich im Aumunder Freizi abspielte, in diesem jedoch eine regelmäßige Heimat und in dem Team um Bock und Hublitz jederzeit tatkräftige Unterstützer fand.
So trat der Bremer Künstler und Musiker Olaf Kock im Aumunder Freizi sowohl als Songwriter als auch als Frontmann seiner Grungeband „Souldive“ in Erscheinung und initiierte diverse Konzertreihen wie die Festivals „Scream In“; die bis nach Wacken bekannten Powermetaller „Unrest“ zelebrierten ihr zehnjähriges Bandjubiläum mit flammenden Pyros, der heute besser als „Grillmaster Flash“ bekannte Christian Wesemann organisierte als Bassist seiner früheren Combo „Hobby & Teneriffa“ Konzertreihen mit überregionalen Punkbands.

Die späteren Progressiverocker „Eyevory“ servierten unter dem Namen „Pink Mercury“ noch frechen Girl-Rock; die heutigen Alternativrocker „wirfürwen“ verdienten sich unter ihrem früheren Namen „Craved“ ihre Bühnensporen, „Diversion“ und die „Flying Lures“ lieferten zackigen Ska-Punk, der heutige Songwriter Aron L. Flow widmete sich mit seiner Band „Pigs in Space“ noch rockigen Experimenten, „Gastric Groove“ würzten ihren Rock mit Groove und Funk – und würde diese Aufzählung einstiger „Freizi-Größen“ Anspruch auf Vollständigkeit erheben, müsste unsere Zeitung für eine solche mindestens eine komplette Sonderausgabe einplanen.
Im Jahr 2005 erfolgte hingegen nicht nur die Übernahme des städtischen Jugendfreizeitheims in eine Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes, sondern auch erste Anzeichen, dass Musikmachen und das Abfeiern ambitionierter Lokalrockstars nicht mehr lange zu den Lieblingsfreizeitbeschäftigungen nachwachsender Vegesack-Generationen gehören würden. Ohne es zu wissen, sorgten Bands wie die Turborocker „La Demancé“ und „Merida“ in den Folgejahren also für den Schwanengesang einer bereits jahrzehntealten Jugendkultur.

Christian Pfeiff Vegesack Freizi Jugendfreizeitheim Alt-Aumund Konzert Rock Ein Riff, ein Song: Der Punkrock von #La Démancé" brachte das Stimmungsbarometer zum Ausschlagen. cp/ Foto: Pfeiff
Diesbezüglich ist indes eher von einer Korrelation denn einer Kausalität auszugehen, handelte es sich doch keineswegs um ein lokal isoliertes Phänomen: „Wir hätten gerne noch weitere Konzerte gemacht und an auftrittswilligen Bands mangelte es keineswegs. Nach einiger Zeit kam jedoch einfach kaum noch Publikum zu den Konzertveranstaltungen“, resümiert Freizi-Mitarbeiterin Anke Hönick, die 2005 noch untzer dem Namen Heitzer die Nachfolge Bocks und Hublitz als Freizi-Leiterin übernahm.
Die Gründe hierfür sind natürlich vielfältig; vor allem aber dürfte die ständige Verfügbarkeit von Musik und Konzerten durch das Internet im Hosentaschenformat einen langfristigen Paradigmenwechsel herbei geführt haben. So wagte auch die auf Heitzer folgende Interims-Hausleiterin Izabel Kowalska zwar noch bis etwa 2014 immer neue Anläufe, um die langjährig tradierte Freizi-Konzertkultur wiederzubeleben, gab dieses Unterfangen mangels Publikumsresonanz schließlich auf.
Probenräume sollen reaktiviert werden
So scheinen die wilden Jahre der alten Dame Freizi Alt-Aumund derzeit zumindest in musikalischer Hinsicht vorerst gezählt zu sein; die aktuelle Mitarbeiterschaft hofft jedoch, dass es nicht dabei bleibt und hat mit Mark Arnold unlängst einen Mitarbeiter hinzugewonnen, welcher die in den letzten Jahren etwas eingeschlafene Jugendkultur Livemusik aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken möchte und hierfür auch mit den passenden Kompetenzen aufwartet, schreibt und produziert er doch nicht nur nach wie vor eigene Singer-Songwriter-Musik, sondern sammelte als Tourneemanager für Tokio Hotel auch internationale Konzerterfahrungen.
Langfristig hegt Arnold mit Unterstützung seiner Teamkollegen Carolin Geils, Demetrio Pfeiff und Anke Hönick die Vision einer neuen, jungen Livemusikszene um das Aumunder Freizi; dieser wird sich jedoch in kleinen Schritten genähert: „Der erste Schritt wird zunächst sein, unsere beiden Proberäume wieder zu reaktivieren und hoffentlich interessierten jungen Bands zur Verfügung zu stellen“, so Arnold.