Vegesack. Dass die große, alte Silberlinde im Stadtgarten Vegesack noch steht, grenzt fast an ein Wunder. „Sie ist innen hohl, aber außen biegsam und widerstandsfähig – das Prinzip Strohhalm“, sagt Ralf Möller vom Umweltbetrieb Bremen (UBB). Dennoch, ohne Drahtverspannungen zwischen den Ästen und Bolzen im Stamm würde dieser Baum nicht mehr stehen. Und da er nah an dem langgestreckten Weg wächst, der mitten durch den Stadtgarten führt, würde er für Spaziergänger und Radfahrer zum Sicherheitsrisiko, sobald er zu kippen droht.
Matthias Semela vom UBB nimmt sich alter und junger Bäume aller Art im Bezirk Bremen-Nord an. Etwa 20 Mitarbeiter sind beim UBB für die Baumkontrollen im Einsatz. „Allerdings sind wir nur für die öffentlichen und teilöffentlichen Flächen zuständig“, sagt Ralf Möller, „zum Beispiel Parks, Kinderspielplätze oder Schulgelände, der Bremische Deichverband zum Beispiel kümmert sich selbst um die Bäume, die in der Nähe der Flussufer wachsen.“
Das Spezialgebiet von Matthias Semela ist es, den Gesundheitszustand von Bäumen zu prüfen. Als Fachagrarwirt für Baumpflege kennt er das Innenleben von Bäumen, mit geschultem Blick schließt er vom äußeren Erscheinungsbild auf das Innenleben der Bäume: Wie fit sind sie noch? Brauchen sie Unterstützung durch Baumchirurgie oder müssen sie gefällt werden?
Der Baumgutachter hat viele Gerätschaften dabei. Zu seinen Hilfsmitteln gehören eine Arbeitsbühne, um einen Baum in großen Höhen zu behandeln, lange Seile, Scheren und Sägen, aber auch eine Sondierstange, mit der Matthias Semela Aushöhlungen auf Fäulnis untersucht.
„Im Falle dieser alten Silberlinde haben wir auf einen radikalen Beschnitt der Krone verzichtet und den Baum nur in einigen Bereichen eingekürzt“, sagt Matthias Semela, „der Baum reagiert darauf, indem er vermehrt Triebe bildet und damit Nährstoffe liefert, die ihm wiederum zu mehr Holz verhelfen.“ Und zwar genau an den Stellen, an denen das Holz für mehr Stabilität benötigt wird: Wie eine tiefe Wunde klafft ein langes, tiefes Loch im Stamm, doch drumherum hat der Baum neues Holz gebildet. Matthias Semela erklärt, was hier vor sich geht: „Er versucht von selbst, die Wunde zu schließen.“
Ralf Möller vergleicht die Krone eines Baumes mit einem Segel, das im Wind steht und Druck- und Zugkräfte auf den Mast darunter, den Baum, ausübt.
Ein wichtiger Grund, warum Baumgutachter Matthias Semela die Bäume in Bremen-Nord jährlich oder halbjährlich inspiziert, ist die Verkehrssicherungspflicht: „Bäume müssen in doppeltem Abstand ihrer Länge zu einem Weg stehen“, sagt er, um die Gefahr durch Umkippen zu vermeiden und damit Passanten zu gefährden. Und wenn es bei einem Baum kritisch wird, muss er nun mal gefällt werden.“
Doch auch für einige Bäume, die von außen noch kerngesund aussehen, gibt es oft keine Rettung mehr: Im Stadtgarten steht einige Meter weiter eine riesenhafte, uralte Rotbuche mit einem Stammumfang von 1,50 Metern, die ihre Äste weit ausladend in den Himmel reckt. „Anders als die Silberlinde ist sie von innen nicht hohl“, sagt Matthias Semela. Doch am Boden, um den Stamm herum, hat der Pilz Riesenporling längst die Wurzeln befallen. Dieser Pilz bildet zwar über dem Erdboden schmutzigbraune Fruchtkörper, doch sein Hauptgeschäft betreibt er unter der Erde: Er befällt die Wurzeln der Bäume, zerstört sie, und ist praktisch nicht zu bekämpfen.
„Sobald sich Risse im Boden zeigen, wird nicht lange diskutiert“, sagt Ralf Möller, „dann muss der Baum weg.“ Was der Bevölkerung meist schwer zu vermitteln sei, denn äußerlich sieht der Baum kerngesund aus. „Wir investieren viel Geld in die Erhaltung“, sagt Matthias Semela. „Bei dieser alten Rotbuche haben wir das Biege- und Kippverhalten genau gemessen und befunden, dass der Baum stehen bleiben kann. Wie lange noch, ist allerdings offen.“
Wenn ein Baum dann doch gefällt werden muss, bleibt der untere Teil des Stammes oft stehen, aus Gründen des Naturschutzes, denn eine enorme Zahl von Tierarten ist auf solches Totholz angewiesen. Vor allem Käfer lebten in dem Holz.
Derzeit wird vom Umweltbetrieb Bremen der Baumbestand Bremens digital erfasst, das sind allein in Bremen-Nord rund 11 000 Straßenbäume und knapp 90 000 Bäume auf anderen Flächen. Der heiße und trockene Sommer habe den Bäumen in Bremen arg zugesetzt, „doch das volle Ausmaß der Schäden wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen“, ist Fachagrarwirt Matthias Semela überzeugt, „wir mussten jedenfalls zahllose Jungbäume wässern, sonst wären sie vertrocknet.“
Angesichts des Klimawandels, aber auch durch zahlreiche neue Baumschädlinge in Form von Viren, Bakterien, Pilzen oder Insekten versuche man, bei Neupflanzungen von Bäumen auf Artenvielfalt zu achten. „Denn es ist absolut nicht vorhersehbar, was in Zukunft an neuen Gefahren auf die Bäume zukommen wird. Da ist es gut, wenn möglichst viele verschiedene Baumarten wachsen – die Vielfalt minimiert das Risiko“, sagt Matthias Semela.