Bremen-Nord. Über Monate haben Stadtteilpolitiker immer wieder per Video- oder Telefonschalte konferiert und per E-Mail abgestimmt – jetzt wollen sie wieder tagen, mit Publikum. Wie das gehen soll, ohne gegen Hygienevorschriften und Corona-Auflagen zu verstoßen, hat der Vegesacker Beirat als erstes Nordbremer Stadtteilparlament in einem Konzept mit dem Ortsamt skizziert. Und gleich Kritik dafür bekommen. Doch die lässt die Senatskanzlei nicht gelten.
Wie die Sitzungen in Vegesack künftig ablaufen sollen, kann man mittlerweile auf der Internetseite des Ortsamtes lesen – und die Beschwerde, die auf den Plan gefolgt ist, in einer E-Mail ans Rathaus. Ingo Schiphorst hat sie geschrieben. Der Vegesacker beanstandet so vieles, was für das Treffen der Fraktionen vorgesehen ist, dass er die Kommunalaufsicht aufgefordert hat, die Einladung zur Sitzung zu beanstanden. Und alle Beschlüsse, wenn der Beirat tatsächlich so tagen sollte wie angekündigt, gleich mit.
Schiphorst findet, dass ein Ortsamt nicht ermächtigt ist, eigene Kriterien im Pandemiefall festzulegen – auch nicht in Abstimmung mit dem Beiratssprecher oder dem Sprecherausschuss. Aus Sicht des Vegesackers wird nicht genügend Öffentlichkeit und damit Transparenz bei den Sitzungen geschaffen, wie es das Ortsgesetz für Beiräte und Ortsämter vorsieht. Für ihn ist die Regel fragwürdig, nur noch 14 Zuhörer zuzulassen und dass Los entscheiden zu lassen, wenn die Zahl der Anmeldungen größer ist.
Auch Olaf Brandtstaedter beklagt das. Auch er hat sich an die Senatskanzlei gewandt. Wie Schiphorst leuchtet ihm nicht ein, warum Ortsamt und Beirat an Sitzungen im Stadthaus festhalten wollen, wo es doch in benachbarten Gebäuden größere Räume gibt, in denen mehr als 14 Menschen zugelassen werden könnten, ohne gegen die Abstandsregel von anderthalb Metern zu verstoßen. Als Beispiel nennt er den Saal des Bürgerhauses und die Aula der Gerhard-Rohlfs-Oberschule.
Brandtstaedter fordert, dass sich Ortsamt und Beirat einen neuen Tagungsort suchen. Und er verlangt, was auch Schiphorst erwartet: Dass vom Losprinzip Abstand genommen wird, weil ihnen zufolge jeder jederzeit die Möglichkeit haben muss, sich zu einer Angelegenheit zu äußern. Und einer Debatte zu folgen. Darum wollen die beiden Vegesacker, dass eine Sitzung des Stadtteilparlaments im Radio beziehungsweise online im Livestream übertragen wird – wie die Debatten der Bürgerschaftsfraktionen.
Schiphorst will noch etwas anderes: Keine Sitzungseinladung mit sogenannten Tops mehr, die etwa pauschal „Anträge und Anfragen der Parteien“ heißen, sondern nur noch mit Tagesordnungspunkten, die auch deutlich machen, welches Thema sich hinter ihnen verbirgt. So wie es nach seinen Worten die Geschäftsordnung der Stadtteilparlamente vorsieht, nur eben nicht von allen Ortsämtern und Beiräten praktiziert wird. Schiphorst sieht darin einen grundsätzlichen Verstoß gegen geltende Paragrafen.
Anders als die Senatskanzlei, die sämtliche Vorwürfe der beiden Kritiker zurückweist. Nach Ansicht von Viola Kral, zuständig für die Belange der Ortsämter und Beiräte, ist zum Beispiel sehr wohl erkennbar, um welche Anträge und Anfragen der Parteien es geht, weil sie auf den Internetseiten der Ortsämter veröffentlicht werden sollen. Und die Stadtteilparlamente und Ortsämter, sagt sie, können zwar dafür sorgen, dass Sitzungen live übertragen werden, müssen es aber nicht.
Bürgerschaft ändert Beirätegesetz
Ihr zufolge sind sie auch nicht verpflichtet, jedem Bürger einen Platz in einem Sitzungssaal zu garantieren. Laut Kral dürfen die Beiräte mittlerweile sogar, was sie bisher nicht durften: die Beteiligung der Öffentlichkeit einschränken, zumindest solange die Pandemie andauert. Das hat die Bürgerschaft jetzt beschlossen. Die Kanzleimitarbeiterin sagt, dass es ohne Begrenzung nicht geht, um die Hygienevorschriften einzuhalten. Und dass die Stadtteilparlamente bestimmen, wo sie tagen.
Die Idee, das Los entscheiden zu lassen, falls es mehr Anmeldungen als Plätze gibt, ist eine Idee der Senatskanzlei. Kral meint, dass dieses Verfahren gerechter ist als das Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Unterm Strich sieht sie keinen Grund für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde. Vielmehr stellt die Senatsmitarbeiterin fest, dass Ortsamt und Beirat großen Aufwand betreiben, um trotz der widrigen Umstände sowohl dem Beirätegesetz als auch den Corona-Auflagen gerecht zu werden.
Kral spricht von einem Einbahnstraßen-System, das ab sofort für Sitzungsräume gilt, in denen ein Stadtteilparlament öffentlich tagt: Es gibt eine Tür, durch die alle hineingehen, und eine andere, durch die später alle hinausgehen. Jeder Teilnehmer – egal, ob Referent, Beiratsmitglied oder Besucher – muss sich die Hände desinfizieren, eine Maske über Mund und Nase tragen und die Abstandsregel befolgen. Ein Polizeibeamter wacht während der Sitzung darüber, dass die Hygienevorschriften eingehalten werden.
Das hat Kral auch Kritiker Schiphorst mitgeteilt. Weil der Vegesacker mit der Antwort nicht zufrieden ist, hat er sich erneut ans Rathaus gewendet. In seiner zweiten Mail schreibt er, dass Ortsamt und Beirat die Viruskrise dazu nutzen, eine ihnen lästig erscheinende Öffentlichkeit weitgehend auszuschließen. Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt spricht von einer Unterstellung. Er sagt, dass der Vegesacker Beirat der erste Beirat in der Stadt ist, der überhaupt wieder öffentlich tagt.
Die Sitzung ist am Montag. Und weil das Stadtteilparlament viel aufzuholen hat, soll es eine Woche später gleich eine zweite geben – mit denselben Regeln wie bei der ersten. Florian Boehlke und Thomas Backhaus kennen das Konzept und die Kritik, die es an ihm gibt. Der Burglesumer Ortsamtsleiter und der Vertreter des Blumenthaler Verwaltungschefs sagen, dass sie das Verfahren übernehmen werden, wenn es denn keine andere Entscheidung im Sprecherausschuss gibt.
Beide kündigen an, demnächst abschließende Gespräche mit den Fraktionsspitzen zu führen. Bei Boehlke drängt die Zeit mehr als bei Backhaus. In Burglesum ist seit Längerem eine Planungssitzung anberaumt, die viele angeht. Am 26. Mai soll über den Ausbau der Kindergartenplätze diskutiert werden – nicht im Saal des Ortsamtes, sondern in der Aula der Schule an der Bördestraße, die größer ist und somit mehr Menschen die Möglichkeit gibt, dabei sein zu können.
Viel mehr Publikum als in Vegesack wird es trotzdem nicht geben. Boehlke spricht von 15 Besuchern, die nach den Abstandsregeln zugelassen sind. Und davon, dass er versuchen will, die Debatte übertragen zu lassen – entweder vom Ersten Lesumer Fernsehen oder von Radio-Weser-TV. Boehlke ist mit beiden im Gespräch. Der Sender, der auch die Bürgerschaftsdebatten überträgt, soll einspringen, wenn der Verein aus dem Stadtteil die Kapazitäten für eine Liveschaltung nicht hat.
Dass der Blumenthaler Beirat noch im Mai öffentlich tagen wird, glaubt Ortsamtsmitarbeiter Backhaus dagegen nicht. Er rechnet mit einem Termin mit Publikum frühestens im Juni. Das Parlament im nördlichsten Stadtteil Bremens hat nämlich ein Problem, das andere Beiräte nicht haben: Seit die Aula des Schulzentrums nicht mehr genutzt werden kann, fehlt ein fester Versammlungsort, der groß genug ist, um Besucher zuzulassen.