Laute Rufe, dann heben zwei Männer ein großes Bücherregal über ihre Köpfe und in den Lastwagen. Es sieht leicht aus, aber ihre Gesichter sind gerötet. Seit Stunden sind die Möbelpacker damit beschäftigt, die Stadtbibliothek auszuräumen. Zwei Laster sind im Einsatz. „Gestern sind wir sieben Mal gefahren“, berichtet Murrat Ermis von der Transportfirma. Ziel der Touren ist ein früheres Sportstudio an der Kirchheide – Vegesacks neue Ersatz-Bücherei.
35 000 Medien gehören zum Bestand der Bibliothek. Aber so viele Teile mussten Martin Renz und sein Team nicht in Kisten packen. Renz hatte die Nordbremer gebeten, vor dem Umzug kräftig auszuleihen. Die Zahl der Hörbücher sei schnell geschrumpft, berichtet er. Auch die DVD-Regale waren zügig leer geräumt. „Viele haben die verlängerte Leihfrist auch genutzt, um sich über Weihnachten mit Brettspielen einzudecken.“
An einen der dicken Betonpfeiler im Erdgeschoss der alten Bücherei hat jemand mit roter Farbe einen Pfeil gemalt und geschrieben: „Bleibt hier.“ Darunter steht eine Ansammlung von Feuerlöschern, geschmückt mit Luftballons. Eine Erinnerung die Abschiedsfeier einer Kollegin. Sie hat mit eingepackt, wird aber nicht mehr auspacken.
Der Umbau des bisherigen Standorts sei auf ein Jahr ausgelegt, sagt Martin Renz. Er blickt nach oben. Das alte Mosaik an der Balustrade soll erhalten bleiben. Ansonsten werde die Bücherei komplett saniert. Das marode Dach muss erneuert werden, ebenso wie Elektrik, Heizungsanlage und Brandschutz. „Außerdem soll das Konzept Open Library eingerichtet werden.“ Kunden sollen künftig auch ohne Personal Bücher und Brettspiele ausleihen können.
Die Pläne, die Bücherei zu sanieren, sind nicht neu. Büchereimitarbeiterin Andrea Schröder hat beim Räumen im Keller ein Modell und alte Umbaupläne aus den Siebzigerjahren gefunden. Damals war offenbar überlegt worden, einen Wintergarten auf das Dach der Bücherei zu setzen. „Als Wohnung für den Büchereileiter“, sagt Renz. „Oder vielleicht auch als Veranstaltungsraum.“ Die Bibliothekare heben beim Umzug mehrere Schätze. Renz zum Beispiel stößt auf den Flyer von der damaligen Eröffnung der Stadtbibliothek: „Ganz Vegesack spricht davon“, steht darauf.
Die Sachen kommen in Renz' Kiste mit „Altertümern“. Darin findet sich auch der Beschwerdebrief eines Vaters von 1972, der beklagt, dass immer mehr Jugendliche aus dem Freizi Alt-Aumund die Bibliothek als Aufenthaltsort nutzen. Ein dumpfes Geräusch ertönt, als die Möbelpacker das nächste Bücherregal aus dem Fahrstuhl schieben. „Gleich ist oben alles leer“, sagen sie im Vorbeigehen.
Renz lobt sein Team. Das hat am neuen Standort – nur wenige Schritte entfernt – schon mit dem Auspacken angefangen. Es geht alles schneller, als Renz gedacht hat. Das liege an ihm, loben die Mitarbeiterinnen später, als er gerade mal nicht zu sehen ist: „Er geht sehr strukturiert vor.“
Martin Renz hat überall Nummer verteilt. Nummer 252 steht auf einer Kiste mit Sachbüchern über die Erde. Die Nummer findet sich auch am Fußboden des früheren Fitnessstudios. Es ist eine von weit mehr als 300 Nummern, die den Möbelpackern den Weg leiten. Der Garderoben-Kaktus trägt die Nummer 305 und steht bereits im neuen Kinderbereich. Auch das verschnörkelte Sofa und die große Zimmerpflanze sind schon da.
Das frühere Fitnessstudio bietet mit rund 1000 Quadratmetern ebenso viel Platz wie die alte Stadtbibliothek. „Wo früher das Solarium war, ist heute unser Büro“, berichtet Renz bei einer kleinen Hausführung. Gleich vorne am Eingang sollen die künftigen Nutzer die VR-Brillen finden.
Kurze Pause im neuen Aufenthaltsraum. Es riecht nach Mandarinen und Kaffee. Petra Klaus hat gerade welchen gekocht. Zum Aufwärmen. Es zieht ganz schön durch die offenen Türen. Es ist ein ungewohntes Arbeiten für die Bücherei-Mitarbeiterinnen. „Man merkt die Muskeln schon“, sagt Magdalena Klobus und lacht. Aber sie kann ihrem derzeitigen Arbeitsalltag auch etwas abgewinnen. „So mit lauter Musik in der Bücherei räumen, das macht auch Spaß.“ Sofort will jemand in der Runde wissen. „Wo ist eigentlich das Radio hin?“