Normalerweise wird in Frisiersalons Klatsch und Tratsch ausgetauscht, das Wetter oder die Bundestagswahl erörtert. Bei Thorsten Gerth, dem Vegesacker Biofriseur, ist das anders. Er spricht mit seinen Kunden lieber über Quantenheilung und Reiki. Aber er schneidet die Haare ja auch nicht stumpf ab. Er stimmt die Haare. Sagt er. "Der Gesang der Haare" ist der Arbeitstitel seines Erstlingswerks. Der Friseur als Autor.
Vegesack. Auf rund 100 Seiten will Thorsten Gerth seine Erfahrungen als Naturfriseur zusammenfassen. Ausgehend von der Zeit als er sich vor zehn Jahren in Vegesack als konventioneller Friseur auf die Bioschiene verlegte und dadurch Dreiviertel seiner Kunden und seine gesamte Mitarbeiterschaft verlor. "Die wollten alle diesen Weg nicht mit mir gehen", sagt er. Erst als die Medien damals über den Mann berichteten, der mit Pflanzenfarben Haare färbt und der bei seinen Haarschnitten vor allem an energetische Aspekte denkt, "war die Bude wieder voll", sagt Gerth.
Von Haus aus ist der Friseurmeister Musiker, wie er sagt. Der Sohn eines Vegesacker Coiffeurs, der erst an der Schule Kerschensteinerstraße lernte, später in Vegesack in die Friseurlehre ging und vor 25 Jahren seinen eigenen Salon eröffnete, spielt Gitarre und singt deutsche Texte. Virtuos geht er auch mit den Haaren anderer Leute um. "Ich spreche nicht vom Haare schneiden, sondern vom Haare stimmen." Haare, sagt der Stylist, hätten viel mit Stimmung zu tun. "Die Haarlänge und das Tragegefühl beeinflussen die Stimmung." Da ist er schon bei seiner Grundidee von der Balance der Haare angelangt, über die er schreibt. Haare waschen, schreibt Gerth zum Beispiel in seinem Buch, sei in der Evolution nie vorgesehen gewesen: "Haut und Haar sind selbstreinigend."
"Bad hair days" und "Mein Haar ist furchtbar", sind Titel aus dem Inhaltsverzeichnis. Ebenso: "Gott in der Geometrie". "Der Gesang der Haare" soll kein Handbuch für Friseure werden. Es ist laut Gerth eher ein Ratgeber für Menschen, die nicht zum Friseur gehen wollen. "Die Ökoszene geht selten zum Friseur. Es gibt dort einen Haufen Leute, die sich gegenseitig die Haare schneiden." Gerths Zielgruppe sind auch selbst ernannte Haarkünstler und Mütter, die ihren Kindern und Ehemännern die Schöpfe trimmen.
Gerth will mit seinem Buch dafür sorgen, dass sich niemand nach dem Haareschneiden abgeschnitten fühlt. "Wir Friseure lernen, statisch Haare zu schneiden. Es gibt fünf oder sechs Grundmuster – und wenn eine Seite der Haare vom Kopf absteht, wird dies durch Fönen behoben." Gerth hingegen beschreibt in seinem Buch, wie mit einem Wirbelfall umzugehen ist. Und er gibt Tipps fürs Waschen mit Bio-Shampoo und fürs Färben mit Pflanzenfarbe. Es gebe einiges zu beachten: "Der Ton Mahagoni wird auf grauem Haar Pippi-Langstrumpf-orange."
Farbe ist ein großes Thema bei Gerth. In seinem Laden an der Reeder-Bischoff-Straße zwischen Café und Blumengeschäft riecht es nicht nach Chemie, eher erinnert der Duft in dem Raum mit den schillernden Leuchtkugeln an Räucherstäbchen. Die schädigenden Substanzen in Pflegeprodukten seien nicht zu unterschätzen, meint der Gesundheitsberater. Er spricht aus Erfahrung. Als Gerth Ende der Neunziger als chemischer Farbtrainer andere Friseure ausbildete, habe er gesundheitliche Probleme bekommen. Die Chemie setzte ihm zu, verursachte Kopfschmerzen und Schuppenflechte. Das war der Zeitpunkt, als er sich umorientierte und einer von heute rund 600 Naturfriseuren in Deutschland wurde. Wobei der Begriff Naturfriseur nicht geschützt sei. Die Ausbildung übernähmen in der Regel die Hersteller von Bio-Pflegeprodukten.
Heute ernährt sich Gerth vegan, lebt zucker- und kaffeefrei und beginnt den Tag gerne mit Kneipp-Bädern. Auch verordnet er sich ausgedehnte Mittagspausen mit Frischkorngerichten. Die Energiearbeit fange bei ihm selbst an, sagt Gerth. "Absicht und Einstellung verändern das Ergebnis der Arbeit", ist er überzeugt, "das ist wie beim Kochen mit Liebe." Wenn der Kunde zum Beispiel störrisches Haar habe, könnte er als Friseur mit der Einstellung arbeiten, es zum Fließen bringen zu wollen. Das ist nach dem eher technischen Teil der energetische Teil des Buchs.
Ende des Jahres will Gerth sein Buch geschrieben haben. Ob er einen Verlag findet oder es im Selbstverlag drucken lässt, ist noch offen. "Der Gesang der Haare" ist bisher nur der Arbeitstitel. Wie sich Haare für den musikalischen Friseur anhören? Chemisch behandeltes Haar klingt in seinen Ohren als würde ein Anfänger Geige spielen: "schief, knarzig, rau". Natürliches Haar hingegen erinnert den Gitarristen an den "Gesang der Wale, es ist ein fließender Ton".
Gesang der Haare
Kein Freund der Chemie: Der Vegesacker Bio-Friseur Thorsten Gerth schreibt an seinem Erstlingswerk
Zitat:
"Die Ökoszene geht
selten zum
Friseur."
Thorsten Gerth