In der Handball-Szene ist das Fieber ausgebrochen, und das hat ausnahmsweise einmal (fast) nichts mit dem Coronavirus zu tun. Die Europameisterschaft ist in der Slowakei und Ungarn in vollem Gange, und die ist für viele Amateur-Ballwerfer nicht nur in dieser Region genauso wichtig wie das regelmäßige Training während der Saison.
Die Voraussetzungen sind ja auch optimal, schließlich flimmert der Titelkampf im Gegensatz zur Bundesliga via ARD und ZDF frei empfangbar über die Mattscheibe. Und das deutsche Team steht in der Hauptrunde, wenn auch bis zum Redaktionsschluss eher mit überschaubaren Chancen auf den Halbfinaleinzug.
Sollte solch ein Event überhaupt während der Pandemie stattfinden?
Daumen rauf, mit leichter Neigung zur Mitte, lautet das Urteil bei den fünf höherklassigen Trainern in dieser Region. „Unser Sport braucht gerade jetzt diese Aufmerksamkeit, die hat er sich auch verdient“, findet Nikolai Wachowiak, Trainer der Landesliga-Männer der HSG Schwanewede/Neuenkirchen II. Auch wenn es ein Infektionsrisiko gibt, seien die Rahmenbedingungen mit teilweise täglichen PCR-Tests und der medizinischen Versorgung nahezu optimal, meint er.
„Geld regiert die Welt“, sagt Jörg Rutenberg vom SV Grambke-Oslebshausen II (Landesklasse Männer). Dennoch findet er die Austragung „grundsätzlich in Ordnung“. Kritisch wurde die volle Hallenauslastung in Ungarn mit bis zu 20 000 Zuschauern gesehen. „Bei uns werden die Fußballstadien geleert, dort werden bei voll besetzten Rängen teilweise nicht einmal die Masken aufgesetzt. Das sind enorme Unterschiede“, bemängelt Stephan Rix, der Landesklasse-Trainer der SVGO-Frauen.
Die Leistung der DHB-Equipe ging rauf und runter. Bei 13 Corona-Fällen im Team und etlichen Nachnominierungen kein Wunder. „Wir sind noch nicht in der Weltspitze angekommen, aber der DHB ist einer der wenigen Verbände, der Spieler von der Qualität eines Paul Drux, Fabian Wiede und Co. nachlegen kann“, bilanziert Schwanewedes Oberliga-Trainer Henning Schomann. „Ich habe bislang einmal in die EM reingezappt und kenne kaum noch einen deutschen Spieler“, gibt Marcel Hägermann zu. Oft hatte der Coach des SV Grambke-Oslebshausen mit seinem Männer-Landesligisten parallel zu den deutschen Spielen trainiert.
Ein Spieler hat sie aber alle überrascht: Der 21-jährige Julian Köster, der bei seiner EM-Premiere mit tollen Anspielen und klasse Toren aus dem Rückraum begeisterte. „Er ist die Entdeckung und hat eine tolle Wurfqualität“, findet Henning Schomann. Köster ist der Gewinner der Corona-Lotterie im deutschen Team, dabei war er ursprünglich nur zur Festigung der Abwehr mitgenommen worden. Der Rechtshänder ist bis 2024 an den Zweitliga-Spitzenreiter VfL Gummersbach gebunden und dürfte wachsende Begehrlichkeiten anderer Klubs geweckt haben, weshalb sein neuer Spitzname „hat noch Vertrag“ lauten soll.
Was fiel bei der EM noch auf? Vor allem der Sportschuh von Paul Drux, dessen Sohle sich bei einem Richtungswechsel während eines Angriffs radikal vom Rest des Schuhs trennte. Zum Glück ohne Verletzung des bei der Aktion unfreiwillig Gestürzten. „Der Sportartikelhersteller hat sich über diese Art der Werbung ganz bestimmt nicht gefreut“, tippt Jörg Rutenberg und muss schmunzeln: „Ich hoffe, dass meine Schuhe von dem länger halten. Zum Glück bewege ich mich ja auch nicht ganz so viel.“
Genug in die Ferne geschaut – über 900 Kilometer zurück in den Bremer Norden gibt’s auch Gesprächsthemen. Nicht nur hier bewegt die Handball-Klubs die Frage, ob der Verband mit dem Re-Start der Saison von der Oberliga bis hinab zur Landesklasse eine gute Entscheidung gefällt hat. Den Teams, die lieber nicht spielen möchten, hat er die Möglichkeit von unbürokratischen und kostenlosen Spielverlegungen eingeräumt. Die hiesigen Trainer sind hinsichtlich des Re-Starts geteilter Meinung.
„Spielen und auf Sicht fahren ist für mich in Ordnung“, sagt Henning Schomann. „Wenn keiner über die Stränge schlägt und regelmäßig getestet wird, dann kann das Risiko minimiert werden.“ Der HSG-Trainer nimmt vor den Spielen Kontakt zu den Oberliga-Rivalen auf, das Gastspiel am vergangenen Freitag hatte er nach einer Risikoabwägung abgesagt.
Der selbe Verein, ein anderer Standpunkt: „Viele Teams sind unzufrieden, dass der Verband die Entscheidung auf die Trainer und Spieler abwälzt“, erklärt Nikolai Wachowiak, der bei den „Schwänen“ sowohl die Landesliga-Männer als auch die Oberliga A-Jugend trainiert. Seine Männer hätten sich gegen das Weiterspielen entschieden, seine A-Jugend sei zwiegespalten, berichtet er. Wachowiak hofft darauf, dass es im Verband eine Kehrtwende gibt und die Saison wieder unterbrochen wird. „Selbst zu trainieren ist dagegen okay, da wir ja untereinander ein anderes Vertrauensverhältnis haben.“
Dass den Antragstellern die Punkte abgezogen werden, wenn sie sich hinsichtlich eines neuen Spieltermins nicht mit ihrem Gegner einigen können, sieht der HSG-Coach kritisch. „Dieser Schubs in Richtung Spielen muss nicht sein.“ Marcel Hägermann plädiert – übrigens wie Wachowiak – für eine Saisonpause bis zum März, danach sollte nur noch die Hinrunde zu Ende gespielt werden. „Wir sehen ja gerade bei der EM speziell bei der deutschen Mannschaft, was alleine die schon für Probleme haben“ begründet er. Hägermann hatte gerade selbst mit drei Spielern aus seinem Team über eine vorübergehende Trainingspause von diesen gesprochen, da sie Kontakt zu Corona-Positiven hatten, ohne selbst Symptome zu haben. „Letztendlich hat ja keiner Bock auf die Quarantäne. Das Risiko wird mit den Spielen größer und der Gesamtaufwand der Spiele ist noch höher geworden.“
Sein Vereinskollege Jörg Rutenberg ist „froh, dass ich die Entscheidung über die Saisonfortsetzung nicht fällen muss“. Für ihn gibt es hierbei „kein richtig und kein falsch“. Die Abstimmung innerhalb seines Teams war allerdings eindeutig: 14 Spieler votierten für das Pausieren, die übrigen beiden waren hin- und hergerissen. „Der ganze Aufwand, der jetzt Drumherum betrieben werden muss, macht auch keinen Spaß mehr“, meint er. Wenn die Inzidenz so hoch bleibt, wird seine Mannschaft wohl auch im Februar nicht spielen wollen. Trotzdem wird einmal die Woche trainiert, vorausgesetzt, dass die jeweiligen Coronatests der Teilnehmer vorher negativ waren.
Spielen oder nicht? Stephan Rix ist es egal. Da in seinem Kader aber laut seiner Aussage nur acht, neun Spielerinnen auflaufen wollten, wird eben nur weiter trainiert. Rix findet, dass das Mannschaftsgefüge in Gefahr geraten könnte, „da sich diejenigen, die nicht spielen wollen, schlecht fühlen“. Und er wirft noch einen weiteren Aspekt auf: Die Chancengleichheit. In seiner Staffel verzichtet das Schlusslicht LTS Bremerhaven auf die Austragung sämtlicher abgesagter Spiele, was ihr bislang acht kampflose Niederlagen eingebrockt hat.
Noch haben die Bremerhavenerinnen keinen einzigen Punkt geholt (0:28), „aber wenn die komplett sind und man selbst personelles Pech hat, dann kann das gegen sie schiefgehen“, sieht Stephan Rix eine Wettbewerbsverzerrung. Gemäß der Regularien müsste eine Mannschaft normalerweise nach der dritten Nichtantretung vom Spielbetrieb gestrichen werden, aber was ist in der Pandemie schon normal?