Bisher ließ sich der Immobilien-Boom in Deutschland durch nichts stoppen. Doch jetzt gerät das einst feste Gerüst ins Wanken. Die Bauwirtschaft steckt mitten in einer Krise. Folgen hat das auch für einen Bremer Fliesenhersteller mit Geschichte: Steuler hat beim Amtsgericht Bremen einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt.
Wer steht hinter dem Unternehmen?
Die Steuler Fliesengruppe AG mit Sitz in Grohn produziert fast ausschließlich in Deutschland – unter anderem in Bremerhaven als Nordceram im Fischereihafen. In 45 Länder werden die Fliesen für Wände und Böden "Made in Germany" geliefert. Als das Firmengeflecht jüngst umstrukturiert wurde, nahm man vom Namen Norddeutsche Steingut AG Abschied, der in Bremen bekannt ist. Die Produktion in der Hansestadt ist vor längerer Zeit aufgegeben worden.
Welche Schritte folgen nun?
"Wir wollen weitermachen. Daran arbeiten wir hart", betont Vorstand Alexander Lakos im Gespräch mit dem WESER-KURIER. Der Geschäftsbetrieb laufe voll weiter – die Fliesen werden ausgeliefert. In dieser schwierigeren Zeit sei es besonders wichtig, dass die Lieferanten und Kunden der Gruppe weiter die Stange hielten. Es werden Gespräche geführt, um einen strategischen Partner zu gewinnen.
Was ist mit der Belegschaft?
Insgesamt arbeiten knapp 630 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Fliesengruppe – davon gut 190 in Bremerhaven. Lakos bezeichnet das Werk als sehr modern: "Es hat in jedem Fall eine Zukunft." Ob aber alle Arbeitsplätze im Zuge der Sanierung gerettet werden können? Das könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht versprochen werden. Es bleiben Unwägbarkeiten, wie schnell und stark die Erholung kommen wird. In Mühlacker (Baden-Württemberg) und Leisnig (Sachsen) wird ebenfalls produziert. In der Belegschaft sorge die Insolvenz verständlicherweise für Verunsicherung.
Wie geriet die Gruppe unter Druck?
Die Entwicklung der Energiekosten ist Steuler zum Verhängnis geworden. Um für Sicherheit bei den Kosten zu sorgen, kauft das Unternehmen eine gewisse Energiemenge mit Vorlauf ein. Die Strategie hat sich bisher bewährt. Noch als Norddeutsche Steingut AG habe man zuvor einige Jahre "in schwereren Fahrwassern" überlebt. Die Gruppe habe dann aber im vergangenen Jahr aus eigener Kraft die Rückkehr in die Profitabilität geschafft. "Das hätten wir bei den ganzen Kapriolen nicht geschafft, wenn wir nicht so eine seriöse Einkaufspolitik gehabt hätten", sagt Lakos. Nun aber ist genau diese Einkaufspolitik "zum Bumerang" geworden: Steuler hat Verträge übers Gas frühzeitig abgeschlossen. Jetzt sind die Preise wieder rasant gefallen. Die ausgemachten Mengen müssen jedoch wie vereinbart abgenommen werden. Was an Energie nicht benötigt wird, kann nur für einen Bruchteil wieder am Markt verkauft werden – das sorgt für Verluste. Der Effekt verstärkt sich aufgrund des Einbruchs im Fliesengeschäft.
Es kommt nun auch auf die Verhandlungen mit den Energieversorgern an – hier unter anderem konkret mit der Bremer SWB. "Da hoffen wir auf eine konstruktive Begleitung von der Seite", sagt Lakos. Sonst könne die Sache auch schnell scheitern: "Ohne bezahlbare Energie können wir hier nicht weitermachen." Die Lösung der Energiefrage sei jetzt ganz entscheidend. Damit könne ein "Riesensanierungsbeitrag" in Millionenhöhe geleistet werden. Grundsätzlich sieht der Manager für die Fliesenherstellung in Deutschland weiter eine Perspektive – trotz des hohen Energiebedarfs.
Sanierung in Eigenverwaltung – was heißt das eigentlich?
In solchen Verfahren gibt es keinen Insolvenzverwalter, der einen Betrieb sonst sofort übernimmt. "Die Geschäftsführung vor Ort hat weiterhin die Geschicke in der Hand", sagt Jan Hendrik Groß von Ebner Stolz aus Köln. Der Experte begleitet das Verfahren bei Steuler als Generalbevollmächtigter. Die Insolvenz in Eigenverwaltung sei ein "tolles Instrument", weil es für Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens sorge, wenn der Vorstand weiter zuständig sei: "Es ist eben nicht das Ende." Groß sieht das Bild so: "Herr Lakos sitzt weiter am Steuer, wir sind auf dem Beifahrersitz als Lotse dabei, um auf Untiefen aufmerksam zu machen." Viele Dinge müssten schließlich anfangs geklärt werden – zum Beispiel, dass Lieferanten Zahlungen zugesichert werden: "Sie sind in einer neuen Welt. Gewisse Spielregeln müssen neu definiert werden." In diesem Fall sei das gut gelungen. Der Geschäftsbetrieb laufe hier reibungslos weiter.
Warum schaut der Vorstand mit Zuversicht in die Zukunft?
Lakos' Vorstandskollege Peter Wilson äußerte sich bereits bei der Bekanntgabe des Insolvenzantrags Anfang des Monats sehr zuversichtlich. Die Unternehmensgruppe könne schon im nächsten Jahr "leistungsfähiger denn je aufgestellt sein". Für den Weg aus der Krise sieht der Vorstand gute Chancen: Auf dem Bau sei wieder ein Anziehen der Geschäfte zu erwarten. In Deutschland werde schließlich deutlich mehr Wohnraum benötigt. Fliesen könnten zudem künftig vermehrt nachgefragt werden, erwartet Lakos, wenn Verbraucher bei einer Wärmepumpe auf eine Fußbodenheizung setzten.
Wie äußert sich die Krise?
Viele können es sich wegen der hohen Zinsen nicht mehr leisten, den Wunsch vom Eigenheim zu verwirklichen. Die Baukosten sind zugleich stark gestiegen. Aus Sicht von Steuler ist die Baukrise "historisch einmalig" in der Nachkriegszeit. Die Diskussion ums Gebäudeenergiegesetz habe für Verunsicherung gesorgt. Alles zusammen bremst den Neubau. In ganz Europa seien die Märkte derzeit stark rückläufig. In den vergangenen Monaten seien die Umsätze im Fliesengeschäft spürbar gesunken. Im Juni habe es einen "drastischen Einbruch" gegeben.