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Ausstellung im Geschichtenhaus Protestbewegungen in Prag

„Freiheit in Gefahr? 30 Jahre nach der ‚Samtenen Revolution‘ 1989 in der Tschechischen Republik“ – unter diesem Titel steht eine Fotoausstellung in der Galerie des Vegesacker Geschichtenhauses.
08.11.2019, 18:12 Uhr
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Von Georg Jauken

Vegesack. Anfang Juni zogen 120 000 regierungskritische Demonstranten durch Prag. Drei Wochen später verlangten schon 250 000 Menschen unabhängige Ermittlungen gegen den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš. Die Bilder von den Protesten gegen den früheren Mitarbeiter der kommunistischen Staatssicherheit, der als Unternehmer zum Milliardär aufstieg, Steuern hinterzogen und sich zu Unrecht EU-Gelder erschlichen haben soll, erinnern an die Aufnahmen von den Massenkundgebungen in Prag 1989.

Eindrücke in die Protestbewegungen damals und heute vermittelt die Foto-Ausstellung „Die Freiheit in Gefahr? 30 Jahre nach der Samtenen Revolution“, die noch bis zum 24. November im Vegesacker Geschichtenhaus zu sehen ist.

Eine Woche vorher, am 17. November, jähren sich zum 30. Mal die Studentenproteste in Bratislava und Prag, mit denen 1989 die heiße Phase des Systemumbruchs in der damaligen Tschechoslowakei eingeläutet wurde. Zwar wurden etliche Studenten von Ordnungskräften zusammengeschlagen und verhaftet, alles in allem verlief der Umbruch jedoch weitgehend gewaltlos und ging deshalb als „Sametová revoluce“ (Slowakisch: Nežná revolúcia) in die Geschichte ein, erzählt der Bremer Jurist Dirk Harms vom Verein Porta Bohemica für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit in Europa.

Die von Harms und seiner Frau Vera Harms initiierte Ausstellung fragt nun, was aus dieser samtenen Revolution geworden ist und stellt dazu Aufnahmen von 1989 denen der aktuellen Protestbewegungen gegenüber. So gibt es gleich neben einem Foto von der Demonstration auf dem Prager Wenzelsplatz Anfang Juni eine Aufnahme von einer Demonstration mit einer halben Million Menschen auf dem Letná-Plateau im November 1989. Aus den Gesichtern der Demonstranten ist Hoffnung und Freude abzulesen, aus manchen allerdings auch Unsicherheit und Skepsis, Furcht und Entschlossenheit. Einer ist vor allem strahlend und erleichtert zu sehen: Václav Havel, der nur drei Wochen nachdem die protestierende Bevölkerung die Bildung einer Übergangsregierung erzwungen hatte, am 29. Dezember 1989, zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Ein halbes Jahr später gab es freie Wahlen. Die Einparteienherrschaft der Kommunisten war endgültig am Ende. Heute stützt sich die Minderheitsregierung Babiš auf die Stimmen der Kommunisten.

Die historischen Fotos (schwarz-weiß) stammen von Karel Cudlín (Jahrgang 1960). Er war unter anderem persönlicher Fotograf von Präsident Havel und gilt als einer der wichtigen Vertreter der tschechischen Dokumentarfotografie. Seine Bilder zeigen auch, wie sich DDR-Bürger über Mauern und Zäune in die westdeutschen Botschaft in Prag flüchteten. 1991 dokumentierte er den Abzug der sowjetischen Soldaten aus Milovice nordöstlich von Prag.

Die Aufnahmen der aktuellen Protestbewegung für Demokratie und eine unabhängige Justiz sind von Tomáš Rimpel (Jahrgang 1946), dem Bruder von Vera Harms. 1968 hatte er die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts miterlebt. Er reagierte entsetzt und verließ eine Woche später sein Land in Richtung Deutschland. Erst zu Weihnachten 1989 konnte er erstmals in seine Heimatstadt Prag zurückkehren. Mit seinen aktuellen Fotos dokumentiert Rimpel die als Störche verkleideten Demonstranten vor dem tschechischen Parlament, eine Anspielung auf die angeblich von Regierungschef Babiš für sein privates Wellness-Ressort „Storchenest“ abgezweigten EU-Gelder. Dokumentiert werden aber auch Demonstrationen ganz anderer Art.

Einige Bilder zeigen die russische Gemeinde Prags in alten Armeeuniformen und mit Stalin-Bildern in der Hand im Gedenken an den Sieg über die Nationalsozialisten 1945, andere eine Gegendemonstration der in Tschechien lebenden Ukrainer. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zu sehen. Die Bilder zeigen Sympathie-Kundgebungen, aber auch Proteste der „Merkel-muss-weg-Fraktion“ anlässlich ihres Besuchs in Prag während der sogenannten Flüchtlingskrise 2016.

„Vor allem die alten Bilder gehen mir sehr nah“, sagt Vera Harms beim Blick auf die Fotodokumente des Umbruchs 1989. „Das war es, was wir uns ersehnt hatten, eine demokratische Gesellschaft und bürgerliche Freiheiten.“ 20 Jahre zuvor war sie ihrem Bruder Tomáš Rimpel in den Westen gefolgt. „Ich werfe mir bis heute vor, dass ich im November 1989 nicht da war.

Deshalb sind wir im Dezember dort gewesen zur Wahl von Václav Havel zum Präsidenten.“ Und deshalb wollen sie und ihr Mann auch in ein paar Tagen wieder nach Prag reisen – 30 Jahre nach dem Anfang vom Ende der Herrschaft der Kommunisten.

Die von der Heinrich-Böll-Stiftung Bremen unterstützte Ausstellung wollten sie unbedingt vorher eröffnen. „Wir wollten informieren, weil die Medien recht wenig über das Nachbarland Tschechien schreiben“, sagt Vera Harms. Umso mehr freut sich sich über die 70 Besucher allein zur Ausstellungseröffnung.

Info

Zur Sache

Fotoausstellung im Geschichtenhaus

In der Ausstellung „Die Freiheit in Gefahr? 30 Jahre nach der ,Samtenen Revolution' in der Tschechischen Republik“ sind Fotografien von Karel Cudlín und Thomas Rimpel im Vegesacker Geschichtenhaus, Zum Alten Speicher 5a, zu sehen. Die Öffungszeiten sind mittwochs bis sonnabends von 10 bis 17 Uhr.

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