Vegesack. Rund 40 Prozent der Fünftklässler der Gerhard-Rohlfs-Oberschule haben Probleme mit dem Sehen. Das ist das Ergebnis einer von der Volkshochschule (VHS) Nord und der Bildungsbehörde unterstützten Untersuchung aus diesem Jahr. Die VHS will nun weitere Schulen und Familien für Schwierigkeiten besonders bei der Augenmotorik und Blicksteuerung sensibilisieren. Wünschenswert seien Sehtrainer in den Klassen.
„Unser Projekt Bildungspartnerschaften soll langfristig die Aufmerksamkeit auf die Fähigkeit, gut zu sehen, als Grundvoraussetzung für gutes Lernen in der Schule, lenken“, berichtet Monika Göckel. Sie ist die Projektkoordinatorin bei der Regionalstelle Nord der VHS. „Bei sehr vielen Kindern leidet die Fähigkeit, in der Nähe und in der Ferne gut zu sehen, und sehr oft funktioniert die Blicksteuerung nicht optimal – besonders nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie.“
Wer Probleme mit der Blicksteuerung hat, könne nicht von einem Buchstaben zum anderen springen oder in eine neue Zeile wechseln, erläutert Monika Göckel. Dies führe dazu, dass die Schüler das Lesen meiden. "Sie bekommen Kopfschmerzen, sagen, ihre Augen tun weh, und sie können sich nicht konzentrieren. Lernen fängt aber mit den Augen an. Wenn ich keinen Text lesen kann, kann ich ihn nicht verstehen, wenn ich Zahlen nicht erkennen kann, kann ich nicht rechnen.“
Als ursächlich für die Probleme sieht die Projektkoordinatorin lange Bildschirmzeiten, wenig Bewegung und schlechte Ernährung. Denn für die Entwicklung des komplexen Sehorgans seien Tageslicht, Bewegung und Ernährung wichtig, so die Biologin. Durch die Corona-Pandemie hätten viele Kinder aber noch häufiger als sonst vor dem Bildschirm gesessen.
Insgesamt haben 63 Kinder an dem Augenscreening teilgenommen, „davon waren 25 auffällig und stark auffällig“, heißt es beim Verein für visuelles und kognitives Training, der die Untersuchung vornahm. Die Konzentration und die Aufmerksamkeitsspanne sei im Vergleich zu den Tests aus 2020, bei denen 56 Fünftklässler gescreent wurden, noch weiter gesunken. Vereinsvorstand Sven Munderloh: „Auch die große Anzahl an Kindern, die auch bei einfachen Tests die Aufgabe nicht verstanden haben, ist gestiegen.“
Initiiert hat die Untersuchungen der Sozialarbeiter der Schule, Michele Lapenna, ebenfalls Visual- und Kognitionstrainer. Wenn Schüler Schwierigkeiten beim Sehen im Unterricht hätten, würde ihnen schnell langweilig. „Sie hippeln und stören“, weiß er aus Erfahrung. Die Sehproblematik falle aber auch im Sport oder im Alltag auf: „Wenn man Bälle nicht fangen kann oder eine Tischkante nicht sieht.“
Das Augenscreening in der Oberschule sei jedoch nicht mit einem regulären Sehtest beim Augenarzt oder Optiker gleichzusetzen gewesen. Bei den Screenings sei beispielsweise eine Brock-Schnur eingesetzt worden, um die Augenkoordination zu prüfen. Dabei handelt es sich um eine Schnur mit drei verschiedenfarbigen Perlen, die an die Nase gehalten wird.
„Wir sind keine Augenärzte“, betont Michele Lapenna, „wir können keine Augenkrankheiten erkennen. Es geht beim Augenscreening um die Augenmotorik.“ Im Zweifel rät Michele Lapenna Eltern immer, einen Augenarzt aufzusuchen.
Die VHS-Regionalstelle Nord schätzt die festgestellten Probleme als so hoch ein, dass sie im Rahmen des Projekts Bildungspartnerschaften weiterhin tätig werden will: „Wir wollen uns diesem Problem annehmen“, sagt Monika Göckel. Beim ersten Screening sei festgestellt worden, dass ein Teil der Schüler starke Auffälligkeiten beim Sehen aufwiesen. „Leichte Auffälligkeiten gab es sogar bei mehr als 70 Prozent der Schüler.“ Die VHS wolle deshalb Familien und Schulen sensibilisieren. „Denn man kann etwas tun. Wir können die Blicksteuerung trainieren. Unser Ziel ist es zum Beispiel, dass Kinder im laufenden Schulbetrieb für eine gewisse Zeit eine Sehtrainerin gestellt bekommen.“
Bereits im vergangenen Jahr waren den betroffenen Schülern sechswöchige Sehtrainings angeboten worden – ausgerechnet mithilfe von Computerprogrammen. „Ein Spaziergang in der Landschaft hilft schon, weil er die Augen entspannt und kurzfristig entlastet. Wenn mir aber Kinder sagen, dass sie ein Doppelbild sehen, wenn sie den Zeigefinger 15 Zentimeter vor die Nase halten, müssen wir die Augenmuskulatur trainieren“, erklärt Sven Munderloh. „Das machen wir zum Beispiel am Computer oder mit anderen Hilfsmitteln. Weil diese Kinder aber sehr computeraffin sind und wir eine gewisse Trainingsakzeptanz brauchen, setzen wir auch bestimmte Augentrainingsprogramme am Computer ein.“