Günstiger Wohnraum für möglichst viele Menschen. Bei dieser Beschreibung bauen sich schnell Bilder von heruntergekommenen Plattenbaukomplexen und anonymen Mietskasernen auf. Wie es anders gehen kann, ist zurzeit im Hafenmuseum Speicher XI zu sehen. „Wohnen hoch drei“ lautet der Titel der Sonderausstellung, und die drei Potenzen im Titel repräsentieren den Anspruch: bezahlbar besser bauen. Bis Anfang Juli ist Zeit, sich die Galerie internationaler Vorbilder anzuschauen.
Die Ausstellung stellt 15 „Best Practice“-Beispiele aus Metropolen und Metropolregionen vor, die so unterschiedlich sind wie die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Bewohner. Das Wiener Studentenheim und die grüne Reihenhaussiedlung im französischen Mulhouse, das gemeinschaftlich geplante Neuköllner Mehrfamilienhaus, der sanierte Nachkriegs-Wohnkomplex in Bordeaux, das Hamburger Selbstbau-Skelett und das New Yorker Townhouse: Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie in ihren jeweiligen Umfeldern vergleichbar günstigen Wohnraum schaffen, ohne dass man es ihnen direkt ansehen kann. Mit dem Bremer Punkt der Gewoba, dem Blauhaus in der Überseestadt und dem Engenmoor-Neubau der Städtischen Wohnungsgesellschaft Bremerhaven haben die Ausstellungsmacher auch drei lokale Projekte geprüft und in diese Kategorie aufgenommen. In einigen Jahren könnten es auch diverse Projekte auf der Überseeinsel in die Kollektion schaffen.
Künftige Bewohner werden in die Planungen einbezogen
Bei der Auswahl wurden neben der Wirtschaftlichkeit systematische Qualitätsmaßstäbe angelegt. Dazu zählten die Kuratoren unter anderem Ausstattung, Behaglichkeit, Lage, Anbindung und Außengelände. Weiteres Kriterium war zudem die Möglichkeit, die künftigen Bewohner in die Planungen mit einzubeziehen und ihren Lebensmodellen und Wohnvorstellungen Raum zur Entfaltung und Entwicklung zu geben, erklärte Klaus Dömer, der die Ausstellung gemeinsam mit Joachim Schultz-Granberg entwickelt hat. Denn mit dem gesellschaftlichen Wandel müssen auch Wohnungen neu auf die Menschen zugeschnitten werden. In das standardisierte Modell drei Zimmer, Küche, Bad passen viele Haushalte eben nicht mehr, so der Münsteraner Architekt und Autor mehrerer Bücher und Studien zu den Themenschwerpunkten „Affordable Living“.
Mit der Ausstellung, die in den vergangenen Jahren bereits in elf Städten gezeigt wurde, wolle man „zum Diskurs anregen und das Thema aus der Forschungsbrille herausholen“, so Dömer im Rahmen der gut besuchten Ausstellungseröffnung. Städte auf der ganzen Welt stünden vor der Herausforderung, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Sein Wunsch: „Wir müssen alle Akteure erreichen: Von Nutzerinnen und Nutzern über Ingenieure bis zu Verwaltung und Politik“.
Architektonische Beispiele flankiert von Installationen
Mit Station Nummer elf hat die Ausstellung einen neuen Namen und einen neuen Kontext erhalten, und wird in den kommenden Monaten von einem Veranstaltungsprogramm mit Führungen, Vorträgen und Schulklassenprojekten begleitet. Das Hafenmuseum Speicher XI ist eine Kooperation mit dem Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) eingegangen, das ebenfalls im Speichergebäude angesiedelt ist. „Allen Menschen ein gutes, bezahlbares Wohnen zu ermöglichen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – und ein in der Bremer Landesverfassung verbürgtes Recht“, erklärt Christian von Wissel, Wissenschaftlicher Leiter des gemeinnützigen Vereins, der sich die Erforschung der Bremer Architekturgeschichte zur Aufgabe gemacht hat. Dritte im Bunde sind Lehrende und Studierende des Forschungsfelds Wohnen und Ausstellen des Mariann-Steegmann-Instituts, das sich an der Universität Bremen der Erforschung von Kunst und Gender widmet.
„Wohnen betrifft uns alle“, betonte Kunstwissenschaftlerin und Institutsleiterin Kathrin Heinz. Die architektonischen Beispiele werden im Bremer Ausstellungsraum von Installationen flankiert, die sich künstlerisch mit grundlegenden Fragen des Wohnens auseinandersetzen: So zum Beispiel das Haus aus Abfallmaterialien, das die Bremer Künstler Felix Dreesen und Paul Putzier auf einem Gelände vor dem Speicher XI errichten werden, oder die begehbaren Musterräume der Künstlerin Folke Köbberling. Für Anne Schweisfurth, Kuratorin im Hafenmuseum, ließe sich kaum ein besserer Ort finden, um sich über die Zukunft des Wohnens Gedanken zu machen. Aus den Fenstern des denkmalgeschützten Speichergebäudes habe man seit 17 Jahren die Entstehung eines neuen Wohngebietes im Blick, und ein konkretes Beispiel vor Augen, wie der Wohnungsbau bundesweit funktioniere. „Nicht gut“, lautete ihr kritisches Urteil. Denn das Wohnen sei bereits jetzt für viele nicht mehr bezahlbar, und der Verdrängungsprozess habe im Bremer Westen längst begonnen.
Die Ausstellung „wohnen³“ läuft bis 3. Juli. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags, 11-18 Uhr. Für Schulklassen auf Anfrage montags bis freitags ab 9 Uhr. Für Dienstag, 14. Dezember, 18 Uhr, lädt das Bremer Zentrum für Baukultur zum Vortrag „Kleine Eingriffe für ein Wohnen in der Postwachstumsstadt“ von Architektin Niloufar Tajeri ein. Nähere Infos: www.hafenmuseum-speicherelf.de.