Oberschule am Waller Ring, Dienstagvormittag, 11 Uhr. In Raum D11 hat Noel Göckel einen Stapel Biberschwanz-Dachziegel und eine Konstruktion aus Sparren und Traglatten aufgebaut, um die sich in diesem Moment acht Jungen und Mädchen versammeln. „Ihr seid jetzt in der neunten Klasse. Jetzt geht es auf die Zielgerade zu entscheiden, was Ihr machen wollt. Wisst ihr da schon was?“, begrüßt der junge Mann in Zimmermannskluft die Jugendlichen. Deren Antworten lassen darauf schließen, dass es eher noch keine konkreten Pläne gibt: „Erst mal Abitur.“ „Weiß noch nicht genau.“
24 Unternehmen sind an diesem Tag in der Waller Schule vor Ort, um genau das zu ändern: Beim zweiten Bremer Berufsparcours wollen sie sich mehr als 700 Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgängen neun und zehn von fünf Schulen im Bremer Westen vorstellen und für eine Ausbildung in ihrem Haus werben.
Darunter der Dachdeckerbetrieb Schmidt, bei dem Göckel gerade seine Zimmermanns-Ausbildung macht. „Ich möchte euch heute zeigen, was wir machen. Wir sind auf dem Dach unterwegs“, erklärt der junge Mann in der klassischen schwarzen Zunfthose und zeigt kurz am Modell-Dach, wie die Dachpfannen so angeordnet werden, dass kein Regenwasser durchkommt. „Habt Ihr Bock, das mal selbst zu machen?“ Schon haben alle Jugendlichen Tondachziegel in den Händen und haken sie in die Traglatten ein.
Die Übung macht ihnen sichtlich Spaß. Macht sie eventuell sogar Lust auf mehr? „Die Platten sind schon schwer“, findet die 14-jährige Tabea: „Ich könnte mir nicht vorstellen, das jeden Tag zu machen.“ Ahmed winkt ebenfalls ab: „Das ist ein toller Beruf, aber nichts für mich – ich habe Höhenangst.“
Noel Göckel ging es vor einigen Jahren ähnlich wie vielen Neunt- und Zehntklässlern, mit denen er an diesem Tag ins Gespräch kommt. Er habe erst einmal Abitur gemacht und wollte eigentlich studieren, erzählt er – habe sich dann aber für kein Fach entscheiden können. Die Ausbildung gefalle ihm gut: „Da lerne ich nicht nur mit Holz zu arbeiten, was ein tolles Material ist, sondern auch Dachdeckerarbeiten.“ Angesichts der Auftragslage brauche er sich keine Sorgen um seinen Job zu machen, meint er. Die Tätigkeit sei außerdem sehr abwechslungsreich: „Jeden dritten Tag ist man auf einer anderen Baustelle.“
Nach einer Viertelstunde wechseln die Schüler zur nächsten Station. 36 verschiedene Übungen absolvieren sie an diesem Tag: Bei Glasermeister Sebastian Kamp von der Firma Glas Construction schneiden sie einen Taschenspiegel zu, und bei Küchenmeister Thomas Bötefür von der Bremer Gastrogemeinschaft können sie ausprobieren, wie man professionell Gurken zerkleinert. An anderen Stationen werden Verbände angelegt, Flüssigkeiten pipettiert, Rohre abgedichtet, Glühbirnen in Autoscheinwerfer eingebaut oder Aderleitungen gebaut.
Der Berufsparcours gastiert zum zweiten Mal am Waller Ring. Mit der Premiere im Juni habe die Schule gute Erfahrungen gemacht, sagt Schulleiterin Renate Riebeling: „20 Prozent des jetzigen zehnten Jahrgangs – das sind 23 Schülerinnen und Schüler – haben im September ein Praktikum bei einer Firma absolviert, die sie vorher hier kennengelernt haben. Das ist aus unserer Sicht ein Erfolg – auch wenn bis jetzt leider noch keine Lehrstellen dabei herausgekommen sind.“
Die Initiative zu einer Veranstaltung, auf der Betriebe und potenzielle Nachwuchskräfte sich kennenlernen können, kam von Frank Priewe vom Rotary Club Bremen-Neuenlande, der das Projekt gemeinsam mit Helmut Möring von der Firma Jobtixx angeschoben hat und als Unterstützer die Bundesagentur für Arbeit, die Unternehmensverbände im Lande Bremen und die Handwerkskammer gewinnen konnte. Für die Umsetzung wurde mit Karin Ressel vom Technikzentrum Minden-Lübbecke, wo der Berufsparcours entwickelt wurde, ein Profi dazugeholt: Die Diplom-Verwaltungswirtin und Diplom-Pädagogin hat in fast 30 Berufsjahren mehr als eine Million Jugendliche in der Übergangsphase zwischen Ausbildung und Beruf erlebt und weiß: „90 Prozent sind zu großen Teilen orientierungslos. Nur etwa zehn Prozent finden ihren Weg relativ einfach.“
„Das Thema beschäftigt uns seit Wochen und Monaten“, sagt Staatsrat Kai Stührenberg aus dem Wirtschaftsressort, das bis Mitte 2023 sowohl die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze als auch die Zahl der Jugendlichen halbieren will, die nach dem Schulabschluss noch keine Perspektive haben. Einen Weg zur besseren beruflichen Orientierung sieht man dort im Berufsparcours, den das Ressort deshalb gemeinsam mit den anderen beteiligten Akteuren fest etablieren und verstetigen will. Acht Veranstaltungen sollen 2022 in Bremen umgesetzt werden, so Stührenberg: „Denn wir haben ganz viele Jugendliche, die nicht wissen, was sie können und welche Möglichkeiten und Ausbildungsberufe es gibt. Hier können sie herausfinden, was sie interessiert."