Bei ungemütlichen sieben Grad griffen am Mittwoch im zugigen Mäusetunnel fünf Männer und eine Frau ein letztes Mal in diesem Jahr zu Spachtel und Fliesenbruch. Es wird kalt in der 90 Meter langen Bahnunterführung zwischen Almata-Hochhaus und Hagenweg; deshalb geht das Kunst-Gemeinschaftsprojekt jetzt in die Winterpause. „Den Rest machen wir 2023 und schließen das Ganze dann mit einem großen Fest ab“, sagt der ehemalige Schulleiter und Waller Beiratspolitiker Jupp Heseding, der das Projekt gemeinsam mit dem Bremer Künstler Mirsad Herenda leitet.
Begonnen hatte alles im Frühjahr 2019 mit einem Gestaltungswettbewerb in Kooperation mit dem Waller Jugendforum. Der Tunnel war seit Jahrzehnten ein „Ort des Grauens“, was die Stadtteilpolitiker ändern wollten. Nun war der ideale Zeitpunkt dafür: Im Sommer 2020 wurde der Tunnel mit Mitteln des Waller Stadtteilbudgets und unter Federführung des Amts für Straßen und Verkehr (ASV) gereinigt, aufgearbeitet und grundiert, erhielt eine neue Beleuchtung, mehr Platz zwischen den Absperrbügeln und ein Entwässerungssystem mit einer Pumpenanlage. Daran anschließend sollten im Frühling 2021 die Tunnelwände künstlerisch gestaltet werden.
Dafür war ein Entwurf von Mirsad Herenda ausgewählt worden, der unter dem Arbeitstitel „Verbindungen“ die aktive Beteiligung vieler Menschen aus dem Stadtteil einplante. Heseding, damals noch Delegierter für Jugendbeteiligung, begleitete das Projekt im Auftrag des Beirats.
„Der Tunnel ist lang und wird, wenn man daran arbeitet, immer länger“, sagt er rückblickend. Denn die Jugendlichen wurden mit der 400 Quadratmeter großen Fläche nicht so einfach fertig wie gedacht. So entstand die Idee, die Schulen mit einzubeziehen: Schülerinnen und Schüler der Schulzentren Walle und Utbremen, der Oberschulen am Waller Ring und Helgolander Straße und auch der Grundschulen am Pulverberg und Melanchthonstraße gestalteten nun Mosaike aus Fliesenbruch und Keramikteilen, die die Kinder und Jugendlichen mit viel Liebe kunstvoll hergestellt hatten. „Jede Woche bin ich mit einer großen Kiste zum Brennofen gefahren“, erzählt Heseding. Mirsad Herenda ist jedes Mal aufs Neue fasziniert von den vielen kleinen Keramikteilen mit Schuhabdrücken, Blättern, Buchstaben, Gesichtern, Namen und sogar den Bremer Stadtmusikanten: „Jedes einzelne davon ist ein kleines Kunstwerk. Inzwischen kommen Eltern, Omas und Opas hierher und gucken sich an, was ihre Kinder und Enkel gemacht haben. Früher sind hier alle einfach nur schnell durchgefahren.“
Mit bis zu 60 Kindern waren Heseding und Herenda nun regelmäßig im Mäusetunnel am Arbeiten – und kamen immer öfter mit Passanten ins Gespräch. „Beim nächsten Mal waren die dann auch mit dabei. Es meldeten sich auch Leute, die hier durchgefahren waren und daraufhin mitmachen wollten“, erzählt Heseding. Das Kunstprojekt hatte sich zum Bürgerprojekt entwickelt.
Seit diesem Sommer wird jeden Mittwoch an der zweiten Wand gearbeitet, die sie die „Blumenwiese“ nennen. Den harten Kern bilden seit einiger Zeit – abgesehen von Mirsad Herenda – ausschließlich Menschen im Rentenalter. „Ich bin hier als Jugendlicher schon durchgefahren und fand es damals schon zu unfreundlich“, erklärt Christian Hempe, was ihn zum Mitmachen motiviert. Kleingärtner Manni hat schon viele weggeworfene Fliesen im Parzellengebiet eingesammelt und im Tunnel zu Kunst verarbeitet. Fast bis zur Hälfte von Wand Nummer zwei hat sich die Gruppe mittlerweile vorangearbeitet, alle wollen nächstes Jahr wiederkommen und hoffen auf Sponsoren und Fliesen-Spenden. Mirsad Herenda ist sich ganz sicher: „Wir schaffen das!“