Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Arbeit im Fokus Einsatz für eine Anstellung

Genesungsbegleiterin Ute de Vries nutzt in Bremen-Walle ihre eigenen Erfahrungen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen bei der Jobsuche zu unterstützen.
11.01.2024, 07:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Anke Velten

Wie es ist, völlig den Boden unter den Füßen zu verlieren, habe sie am eigenen Leib erfahren, sagt Ute de Vries. Nach einer schweren psychischen Erkrankung musste sie ihre Arbeit als Pflegefachkraft aufgeben, wurde viel zu früh verrentet. Doch sie hat auch erlebt, dass es möglich ist, die Krise zu bewältigen und in ein zufriedenstellendes Berufsleben zurückzufinden.

Als Genesungsbegleiterin kann sie mit ihren eigenen Erfahrungen anderen Menschen dabei helfen, beruflich Fuß zu fassen. „Ich weiß, dass es geht“, sagt die 59-jährige Oldenburgerin. Ihr Arbeitsplatz ist die Beratungsstelle von „Arbeit im Fokus“ in Walle. An der Travemünder Straße finden Menschen mit einer Vorgeschichte von psychischen Erkrankungen, mit Suchterkrankungen oder kognitiven Beeinträchtigungen das Verständnis, die Ermutigung und die Hilfe, die sie brauchen.

Das Besondere: Im multiprofessionellen Coaching-Team spielen Kolleginnen und Kollegen mit eigenen Krisenerfahrungen eine gleichberechtigte Rolle. „Ganzheitliche Betreuung“ heißt die Methode, die jetzt auch vom Jobcenter mitgetragen wird. Mit diesem Angebot ist das Waller Zentrum für Bildung und Teilhabe stadtweit einmalig.

Erste gemeinsame Schritte

Mehr als 254 arbeitssuchende Menschen haben bei „Arbeit im Fokus“ in den vergangenen vier Jahren Rat gesucht. Dreiviertel davon entschieden sich nach dem ersten Gespräch, sich gemeinsam mit den Coaches auf den Weg zu machen – ganz freiwillig, ohne Druck oder Sanktionen.

66 Erfolgsgeschichten kann das Team mittlerweile erzählen. Zum Beispiel von dem jungen Mann, den nach seiner Erzieherausbildung eine psychische Erkrankung aus der Bahn geworfen hatte und der mit einem Berufsabschluss, aber ohne praktische Erfahrung, mit wenig Mut und vielen Ängsten in die Beratungsstelle gekommen war. „Wir haben ihn bei den Bewerbungen unterstützt, mit ihm gemeinsam passende Arbeitsstellen ausgewählt“, erzählt Ursula Heiligenberg. „Nach jedem Vorstellungsgespräch kam er zu uns, um zu berichten.“ Und alle freuten sich miteinander, als die erste Zusage eintraf. „Mittlerweile hat er ganz selbstständig die Stelle gewechselt und etwas gefunden, was ihm noch besser zusagt“, erzählt sie.

Oder die Klientin ohne Berufsausbildung, die eine Stelle im Verkauf suchte und mit dem Rückhalt der Coaches von „Arbeit im Fokus“ auch fand. „Wir haben ihre Unterlagen aktualisiert, mit denen sie dann in verschiedenen Geschäften vorsprach“, berichtet Heiligenberg. „Ich habe währenddessen in einem Café gewartet, als Ermutigung und für Rückfragen.“ Für manche Klientinnen und Klienten ist es noch zu früh, eine feste Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt anzutreten. Dann können Praktika ein guter Anfang auf dem Weg zur Stabilisierung sein, oder auch ein Ehrenamt – so wie bei der Akademikerin, Mitte 40, von der Heiligenberg auch erzählt. Sie habe eine ehrenamtliche Aufgabe gefunden, die ihren eigenen Interessen entspricht, und könne dort ihre Belastungsfähigkeit testen. „Ein guter erster Schritt“, sagt die Projektkoordinatorin.

Der Weg in den Job

Menschen mit psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen oder kognitiven Beeinträchtigungen haben selten einen kerzengeraden Lebensweg, einen lückenlosen Lebenslauf vorzuweisen. Die Jobsuche ist für sie damit viel schwieriger als für andere. Die Bedeutung von Arbeit liege indes nicht allein darin, den Lebensunterhalt bestreiten zu können, erklärt Monika Möhlenkamp. Es geht auch um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, um den Grund, morgens aufzustehen, um eine Aufgabe, um den Kontakt mit anderen Menschen, um Bestätigung und Selbstvertrauen.

Im Hilfssystem gut vernetzt

„Die Menschen unserer Zielgruppe brauchen mehr als Berufsorientierung und -beratung“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle. „Wir sind im Hilfesystem sehr gut vernetzt, haben eine gute Kooperation mit sehr engagierten Fallmanagern im Jobcenter. Auf Wunsch begleiten wir bis an die Tür der Personalabteilung. Bei Bedarf beraten wir auch in der jeweiligen häuslichen Umgebung.“ Auf diese Weise könne man die Menschen ganz anders abholen, erklärt Möhlenkamp. „Sie müssen das nicht alleine bewältigen. Wir stärken ihnen den Rücken.“
Ein Dutzend feste und freie Genesungsmitarbeiterinnen und – mitarbeiter arbeiten in jedem Einzelfall im Tandem mit den professionellen Coaches zusammen. Es sind Kolleginnen und Kollegen, die eigene Krisenerfahrungen haben und sich anschließend im Rahmen einer Ex-In-Fortbildung qualifizieren ließen. Ex-In „Wir können die Hoffnung vermitteln, dass man aus der Krise wieder herauskommt“, erklärt Ute de Vries. Ex-In leitet sich ab vom englischen Experienced Involvement, was übersetzt die Einbeziehung von Erfahrenen beziehungsweise Erfahrungswissen bedeutet. Auch dies ist ein stadtweites Alleinstellungsmerkmal der Waller Beratungsstelle.

„Arbeit im Fokus“ besteht seit 2020 als Arbeitsbereich des Zentrums für Bildung und Teilhabe der Initiative zur sozialen Rehabilitation. Der gemeinnützige Verein entstand Anfang der 1980er-Jahre im Rahmen der Psychiatrie­reform und nach der Auflösung der psychiatrischen Klinik Kloster Blankenburg.

Gutschein vom Jobcenter

Ziel des Vereins war und ist die pädagogische, soziale und lebenspraktische Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen, kognitiven Beeinträchtigungen und Suchterkrankungen. Bislang wurde „Fokus in Arbeit“ über EU-Mittel finanziert. Seit dem 1.  Januar dieses Jahres kann die Ganzheitliche Betreuung nach §16k des Sozialgesetzbuchs  II angeboten werden. Die freiwillige Maßnahme wird über das Gutscheinverfahren von den Jobcentern an Menschen im Bürgergeldbezug vergeben.

„Nachdem wir bislang vor allem Menschen aus dem Bremer Westen begleitet haben, gehen wir davon aus, dass sich künftig zunehmend auch Klientinnen und Klienten aus den übrigen Stadtteilen bei uns melden werden“, erklärt Monika Möhlenkamp. Näheres dazu wird bei zwei Informationsveranstaltungen erklärt. Der erste Termin am Mittwoch, 17.  Januar, 10 bis 11 Uhr, läuft online. Der zweite Termin am Dienstag, 30. Januar, 10 bis 11 Uhr, ist eine Präsenzveranstaltung in der Beratungsstelle an der Travemünder Straße 3. Für beide Termine wird um Anmeldung unter der Telefonnummer 3 80 19 50 oder per E-Mail an arbeitimfokus@izsr gebeten. Nähere Informationen zur Arbeit und zu den Angeboten der Beratungsstelle sind im Internet zu finden auf www.arbeitimfokus.de.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)