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Situation in den Bremer Kitas "Bei Erzieherinnen geht die Angst um"

In der Kita des Erziehers Oliver Petsch hat sich bereits die Hälfte der Belegschaft angesteckt. So kann es in seinen Augen nicht weitergehen – er sagt, wie man das Problem lösen könnte.
09.12.2021, 15:45 Uhr
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Von Frank Hethey

Herr Petsch, Sie und eine Gruppe gleichgesinnter Erzieherinnen und Erzieher fordern, eine Testpflicht in Bremer Kitas einzuführen. Warum reicht Ihnen die behördliche Empfehlung nicht? 

Weil der Infektionsschutz in den Kitas mehr als mangelhaft ist. In unserem Haus hatte bereits die Hälfte der Belegschaft das Coronavirus, eine Kollegin sogar zweimal. Allein in unserer Einrichtung gab es in den letzten Wochen sechs Impfdurchbrüche. Die Entwicklung ist besorgniserregend, gerade auch angesichts steigender Inzidenzwerte und der Omikron-Variante. Bei den Erzieherinnen und Erziehern geht die Angst um.

Hat denn die behördliche Aufforderung zum Testen so wenig Wirkung? Im Schreiben der Bildungsbehörde heißt es, Kinder sollen nicht ungetestet in die Kita kommen. Zweimal in der Woche sollen die Eltern einen Schnelltest mit dem Kind durchführen.

Einige Eltern sind sehr engagiert, andere aber gar nicht. Die einen Eltern testen fleißig, den anderen ist es völlig egal. Und diese Eltern sind meistens schon immer ziemlich lax mit den Corona-Bestimmungen umgegangen. Die sagen einfach: Wir testen unsere Kinder nicht, es gibt ja keine Verpflichtung.

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Anders als in den Schulen.

Das ist für uns eben nicht nachvollziehbar: warum die Testpflicht in den Schulen besteht, aber nicht in den Kitas. Damit wird unser aller Gesundheit aufs Spiel gesetzt, auch die der Kinder. In unserem Haus war ein Kind im Rollstuhl schwer am Covid-19-Virus erkrankt, es hatte eine Lungenentzündung und musste an ein Sauerstoffgerät angeschlossen werden. Die Behörde verdrängt lieber die Probleme, statt sie zu lösen.

Die Behörde sagt, in der Kita könne man nicht so testen wie in der Schule, wo die Kinder die Tests selbst machen. Die Erzieher in den Kitas dürften den Kindern keine Stäbchen in die Nase stecken.  

Es ist im Grunde egal, wer die Tests vornimmt. Um es einfacher zu machen, fordern wir verpflichtende Lolli-Tests (Coronatests zum Lutschen) für alle Kinder, regelmäßig mindestens einmal wöchentlich. Notfalls würden wir das auch übernehmen – Hauptsache, es wird wirklich gemacht und nicht nur ein unterschriebener Zettel abgegeben. Das wollen auch viele Eltern. Es fehlt einfach jegliche Teststrategie. Den Einrichtungen nur ein paar Kisten Nasal-Antigen-Tests in die Ecke zu stellen, ist keine Teststrategie.

Sie werfen der Behörde vor, zu viel Rücksicht auf Testverweigerer zu nehmen.

Wir haben unsere Bedenken mitgeteilt. Die Antwort war: Es sollen keine Kinder an der Tür abgewiesen werden. Aber bei einer Testpflicht würden die meisten Eltern ihre Kinder nicht zu Hause lassen, sondern endlich anfangen, sie zu testen. Ich bin mir sicher: 90 Prozent der Eltern würden sofort einwilligen. Hier zeigt sich endgültig die verdrehte Sicht der Behörde – sie stellt die zweifelhaften Bedürfnisse von Testverweigerern über die Gesundheit und das Wohlergehen aller anderen Kinder und Erwachsenen in den Kitas. 

Die Behörde verweist auf niedrige Infektionszahlen in den Kitas. Nach Stand vom Donnerstag 54 infizierte Kinder und 21 infizierte Erwachsene bei 14 Ausbrüchen.

Aber das sind doch keine Zahlen mit Aussagewert, wenn es keine Testpflicht gibt. Bei den hohen Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen möchte man gar nicht über die Dunkelziffer in den Kitas nachdenken, in denen seit Monaten jegliche Teststrategie fehlt. Wir würden sogar vermuten, dass Kitas wesentliche Treiber des Infektionsgeschehens sind.

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Sie meinen, weil sich viele Kinder infizieren, aber keine Symptome zeigen.

Ganz genau. Das ist nicht nur ein Risiko für die Menschen, die in den Kitas arbeiten. Die infizierten Kinder tragen das Virus auch in die Familien. Für uns Beschäftigte ist das ziemlich ambivalent: Da wird jetzt über die Impfpflicht diskutiert, aber in den Kitas gibt es noch nicht einmal eine Testpflicht.

Laut Behörde gibt es bundesweit keine Testpflicht in den Kitas. Streng genommen noch nicht mal in den Schulen – sondern nur ein Betretungsverbot, wenn kein Test vorgenommen wird. 

Es gibt einen Rechtsanspruch auf Betreuung, den stellen wir auch gar nicht infrage. Damit geht aber auch eine Pflicht einher, sich um die Gesundheit der Kinder zu kümmern. Dass es anderswo auch keine Testpflicht in den Kitas gibt, kann aber doch kein Argument dagegen sein. Nun soll Bayern aber gerade eine Testpflicht in den Kitas angekündigt haben...

... die gibt es ab dem 10. Januar 2022. Kinder dürfen ihre Krippe oder den Kindergarten dann nur noch betreten, wenn sie dreimal wöchentlich getestet werden.

Es ist mir völlig schleierhaft, warum Bremen auf stur schaltet. Die einzige einleuchtende Erklärung: Die Kitas sollen um jeden Preis offen bleiben. Wahrscheinlich fürchtet man, es könnte sich zeigen, dass die Kitas ein Infektionstreiber sind, wenn man einmal anfängt zu testen. Und dass bei Schließungen keine Betreuung angeboten werden kann. Dabei fordern wir gar keine generellen Schließungen.

Das Interview führte Frank Hethey.

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Zur Person

Oliver Petsch (40)

ist Erzieher in einer Bremer Kita. Mit einer Gruppe von Erziehern setzt er sich seit Monaten für bessere Rahmenbedingungen in den Kitas ein.

Zur Sache

Zwei Schnelltests pro Woche empfohlen, nicht vorgeschrieben

Für jedes Kind und jeden Beschäftigten stellt die Bildungsbehörde zwei Schnelltests pro Woche bereit. In einem Schreiben vom 16. November betont die Behörde, ein regelmäßiges Testen von Kindern und Beschäftigten sei "sehr wichtig". Das Prozedere: Die Eltern sollen ihre Kinder zu Hause testen und bei einem positiven Ergebnis nicht in die Kita bringen. Dabei handelt es sich aber nur eine Empfehlung. Eine Testpflicht wie in den Schulen gibt es in den Kitas aber nicht, nach derzeitigem Stand ist auch keine vorgesehen. An einigen Kitas sollen in den kommenden Wochen zusätzlich freiwillige Lolli-Tests für ganze Kita-Gruppen stattfinden. Damit sollen Erkenntnisse für einen flächendeckenden Einsatz gesammelt werden, sagt Maike Wiedwald, Sprecherin des Bildungsressorts.     

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