Vegesack. Einem der bekanntesten Traditionsschiffe im Vegesacker Museumshaven droht das Aus. Ab morgen darf die "Atlantic" keine zahlenden Passagiere mehr befördern. Ihr Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe läuft aus, weil die zuständige Berufsgenossenschaft Verkehr bezweifelt, dass es sich bei der über 140 Jahre alten Gaffelketch überhaupt um ein Traditionsschiff handelt. Aber was ist die "Atlantic" dann?
Harald Hanse ist ratlos. Der 71-Jährige sitzt an Bord seiner "Atlantic" im Museumshaven und kann noch gar nicht recht glauben, dass ihm die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen werden soll. Seit rund 25 Jahren veranstaltet er Segeltörns auf Weser, Nord- und Ostsee, mit denen er den Unterhalt des Zweimasters finanziert.
Bisher kam er mit den zuständigen Behörden halbwegs klar, auch wenn der bürokratische Aufwand über die Jahre zunahm. Nun allerdings droht richtiges Ungemach. Es geht um die Einordnung der "Atlantic" als Traditionsschiff. Dieser Status begründet nämlich bestimmte Ausnahmen von den Bestimmungen der allgemeinen Passagierschifffahrt. Bei Traditionsschiffen sind die Anforderungen an die Qualifikation der Besatzung oder den Brandschutz geringer, auch braucht ein solches "historisches Wasserfahrzeug" keine Querschotten im Rumpf.
Seit einiger Zeit nun fasst die Schifffahrtsabteilung der Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr den Begriff der Traditionsschiffe enger als früher. Salopp ausgedrückt: Es soll nicht mehr jeder alte Kahn unter dem Deckmäntelchen der Traditionspflege für normale Fahrgastschifffahrt eingesetzt werden dürfen. Gefordert wird jetzt, dass einschlägige Schiffe ihre ursprüngliche Gestalt bewahrt haben müssen oder dieser Zustand wiederhergestellt wird.
Diesem Anspruch allerdings kann die "Atlantic" kaum gerecht werden. 1871 als Dampfschraubenschlepper auf Kiel gelegt, wurde sie im Laufe der Jahrzehnte immer wieder für unterschiedliche Zwecke umgebaut. So war sie unter anderem in den 1950er Jahren für die Firma Biomaris als Seewassertanker vor Helgoland im Einsatz, zuvor als Frachtsegler im Ostseeraum. Das heutige Schiff ist also in gewisser Weise historischer Mischmasch und nicht klar profiliert. Das ist der Grund, warum man bei der BG Verkehr den Daumen über die "Atlantic" gesenkt hat: Für die Hamburger Experten ist sie kein Traditionsschiff mehr, und deshalb bekommt sie auch nicht das solchen Schiffstypen vorbehaltene Sicherheitszeugnis. Punkt, aus.
Harald Hanse und sein Mitstreiter Heinz-Konrad Reith haben bereits rechtlichen Rat eingeholt. Was sie hörten, war nicht ermutigend. "Die BG Verkehr stützt sich bei ihrer engen Auslegung auf ein Gerichtsurteil. Dagegen kommt man nicht an", ahnt Reith. Harald Hanse macht sich über seine persönliche Situation keine Illusionen: "Normalerweise haben die mich insolvent gemacht." Er habe ab morgen keine Möglichkeit mehr, durch Einnahmen aus Passagierbeförderung den Unterhalt der "Atlantic" zu bestreiten.
Verband will Druck machen
Im Vegesacker Museumshaven ist Hanse derzeit der einzige Skipper, in dessen Besitzstand derart drastisch eingegriffen wird. Der Fachverband GSHW (Gemeinsame Kommission für historische Wasserfahrzeuge) führt jedoch eine inoffizielle "Todesliste" mit 15 weiteren deutschen Schiffen, die ebenfalls ihren Status einbüßen sollen. "Das sind rund 10 Prozent aller Traditionsschiffe", sagt Gerhard Bialek vom erweiterten GSHW-Vorstand. Er will nun die Interessen der betroffenen Eigner bündeln und politisch Druck machen. "Es kann nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, dass zahlreiche beliebte Schiffe zu einem Haufen Sondermüll werden." Aus seiner Sicht wäre es geboten, für alle Traditionsschiffe, die in der Vergangenheit anerkannt waren, eine Art Vertrauensschutz zu gewähren. "Zumindest muss es eine Interimslösung geben, bis das Bundesverkehrministerium die ohnehin geplante Überarbeitung der Richtlinie für Traditionsschiffe abgeschlossen hat", fordert Bialek.
Ein Einlenken der BG Verkehr ist jedoch derzeit nicht in Sicht. Ihr Justiziar Kai Krüger kann Harald Hanse nur eine sehr kostenträchtige Alternative aufzeigen. Sein Vorschlag: Rückbau der "Atlantic" zum Wassertanker nach Art der 50er Jahre. Dann hätte das Schiff wieder ein klares historisches Profil – nur eben keine Masten und Segel mehr.