Rund 40 Millionen Tagesbesucher plus zwei Millionen Übernachtungsgäste in 2015 – das könnte 42 Millionen Postkarten aus Bremen bedeuten, verschickt in alle Welt. Ein gutes Geschäft wäre das für Kartenverkäufer und Post. Und gute Werbung für das hanseatische Image...
Doch diese Gleichung geht nicht auf, denn Postkarten haben es schwer in dieser Zeit. Da sind zum Beispiel Whatsapp, Facebook und Co.. Und ein schnelles Selfie mit dem Smartphone ist unkompliziert und noch dazu gratis. Postkarte aussuchen und schreiben, Adresse ausfindig machen, dann Briefmarke kaufen, das Ganze einwerfen und noch drei Tage warten, bis endlich per SMS der „Erhalten-Smiley“ kommt – viel zu aufwendig. Oder?
„Es herrscht ungebrochenes Interesse an der Postkarte. Das beliebteste Motiv sind die Bremer Stadtmusikanten, daran will man eine Erinnerung haben“, sagt Vera Pohl, Inhaberin vom Sieben-Faulen-Laden in der Böttcherstraße. „Damit wird die Stadt identifiziert“, sagt Pohl. Die Verkäuferin Felice Ritter meint hingegen: „Es ist schwer zu sagen, welches Motiv am meisten gefragt wird. Die ausländischen Touristen sind vor allem an Mehrbilderkarten von der Innenstadt interessiert.“
Viele der Touristen kommen aus Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien. „Die meisten Besucher kommen anlassbezogen zu Events, wie der Breminale oder La Strada“, sagt Peter Siemering, Geschäftsführer der Bremer Touristik-Zentrale (BTZ). „Rund ein Viertel der Touristen besuchen hier Freunde oder Verwandte.“ Es sind also viele Kurzurlauber und Tagesgäste unterwegs. Zeit zum Kartenkauf bleibt trotzdem. „Die Besucher sind immer auf der Suche nach einem Mitbringsel“, sagt Anke Bischoff vom Bremen-Shop Schnoortreppe. „Postkarten werden gerne als Andenken gekauft“, sagt sie. Doch nicht auf Schönheit, sondern auf den Preis käme es an: „Wir bieten zwei verschiedene Kartengrößen. Oft entscheiden sich die Kunden einfach für die billigste Karte und nicht für bestimmte Motive.“
Gedruckt werden die Ansichtskarten unter anderem vom Schöning-Verlag mit Sitz in Lübeck. „Die Ansichten für die Karten finden wir über das Internet“, sagt Silke Gödecke, verantwortlich für die Verlagsherstellung. Gefällt ein Motiv, wird es entweder direkt online eingekauft oder bei lokalen Fotografen bestellt. Das meiste laufe heutzutage aber über Agenturen. Gödecke: „Die bieten so viele verschiedene Ansichten, dass wir kaum selber gucken müssen.“
Ob das Postkartengeschäft sich in Zeiten von Smartphones finanziell noch lohne, könne sie nicht beurteilen. „Ich kriege jedenfalls oft Ansichtskarten und freue mich darüber“, sagt Gödecke. Die top Drei der Bremer Motive sind die Stadtmusikanten, das Rathaus und alles rund um den Marktplatz. „Die werden immer nachgefragt und am meisten gedruckt“, sagt Gödecke. Enttäuschend sei der Verkauf der Universum-Karte gewesen: „Als das Ufo ähnliche Gebäude neu war, hatte ich mir viel versprochen. Aber es ist gefloppt.“
Fotos als digitale Postkarte
Wolfgang Gurlit hat 2006 eine Internetseite ins Leben gerufen. Web-Besucher können seine Fotos als digitale Postkarten in alle Welt versenden. „Es gibt viele, die das machen, meistens sind es diejenigen, die auch noch richtige Karten verschicken“, sagt Gurlit. Mit seinem Angebot will er der echten Ansichtskarte keine Konkurrenz machen. Im Gegenteil: Er hält es für wichtig, dass der Stift in die Hand genommen wird: „Einen kleinen handgeschriebenen Text per Post zu verschicken ist im Vergleich zu Whatsapp und Facebook geradezu originell“, sagt Gurlit. Früher habe man wenigstens die Email noch briefähnlich formuliert. „In Zeiten des Smartphones hat Schreiben und Texten nur noch Comic-Niveau.“
Das jedoch ist tatsächlich das Besondere der Postkarte: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie in Österreich und Deutschland als sogenannte Korrespondenzkarte eingeführt. Damals war eine Seite für den Text, die andere Seite für die Adresse bestimmt. Nach und nach wurde die Textseite aber immer mehr für Zeichnungen und Grafiken genutzt. Bilder und Fotografien folgten. Text wurde Beiwerk, den Schreibern kam es vor allem auf die Motive an.
Auch heutzutage sind es die Urlaubsbilder, die man den Freunden und Verwandten zeigen will. Auf dem Bremer Marktplatz jedenfalls machen nahezu alle Touristen Fotos vor Roland und Rathaus- und viele versenden sie unmittelbar mit dem Handy.
Dennoch: Wenn ihnen Gelegenheit zum Kartenschreiben gegeben wird, sind die meisten begeistert. Der Weser-Kurier hat ihnen die Möglichkeit gegeben, einen Gruß aus der Hansestadt per Post zu verschicken. Und die Touristen haben den Stift in die Hand genommen. Warum und was sie geschrieben haben, können Sie auf dieser Seite lesen.
Besucher in Bremen

Naomi und Claire schreiben ihrer Freundin Katie, sie wollen sie mit der Postkarte überraschen.
Die Zwillingsschwestern Naomi und Claire Wagner und ihr Bruder Caleb kommen aus den USA. Die drei sind gemeinsam mit ihrer Familie zwei Monate lang in Europa unterwegs.
Naomi und Claire schreiben ihrer Freundin Katie, sie wollen sie mit der Postkarte überraschen und sich bedanken: Katie hatte ihnen vor kurzem einen Brief geschickt. „Wir haben uns sehr gefreut von dir zu hören.“ Die beiden Mädchen sitzen auf dem Marktplatz, schreiben konzentriert und verzieren die Karte anschließend mit Herzen. Auch die Bremer Stadtmusikanten zeichnen sie nach. Abwechselnd fügen sie der Karte mehr und mehr Text hinzu, bis kein Platz mehr ist. „Ich hoffe, du kannst meine Schrift lesen. Ich schreibe so klein, weil ich den ganzen Platz ausnutzen will.“
Bruder Caleb sitzt im Schneidersitz daneben und benutzt seine Knie als Unterlage. Er schreibt an seinen Freund in New Jersey. „Hallo aus Bremen! Mit meiner Karte an dich werde ich in einer deutschen Zeitung sein.“ Er bittet ihn um Nachricht per Email oder Facebook. „Ich erzähle dir, was es mit der Postkarte auf sich hat, wenn wir uns wieder hören. Wir genießen unsere Zeit hier in Bremen und die Trips in Europa sehr.“ Er grüßt seinen Freund im Namen der ganzen Familie und endet mit den Worten: „Alle stehen um mich herum und schauen mir beim Schreiben zu.“

Gerhard und Beate Hamann schauen sich Bremen an.
Gerhard und Beate Hamann sind für zwei Tage in Bremen, um zwei Freunde zu besuchen. Gerade angekommen werden erst mal die üblichen Sehenswürdigkeiten abgeklappert: „Stadtmusikanten, Schnoor und gerade habe ich erfahren, warum der Roland spitze Knie hat“, sagt Beate Hamann. Sie ist es, die nach einigem Zögern den Stift in die Hand nimmt und schreibt: „Herzliche Grüße von uns Vieren“. Dann noch unterschreiben und ab an die Eltern. Endlich mal, denn normalerweise vergisst das Ehepaar, die gekauften Ansichtskarten abzuschicken. „Wir nehmen uns immer vor, aber vergessen es dann doch und nehmen den Kartenhaufen mit nach Hause“, sagt Gerhard Hamann. Der Wille sei aber stets da. Diese Karte geht nach Berlin.

Auch Gerd Hauser schreibt begeistert eine Postkarte.
Viele Grüße aus Bremen, ein unvergesslicher Tag, bis bald Ich“, schreibt Gerd Hauser auf die Postkarte. Er adressiert sie an sich selber – eine Erinnerung an den Tagesausflug in die Hansestadt. „Ich schreibe gerne Karten, das ist persönlicher“, sagt er. Mindestens fünf Karten kaufe er immer, schickt sie an Tante, Onkel, Schwager und andere Verwandte. Hauser: „Der Text ist natürlich auch immer etwas anders, da gebe ich mir schon Mühe.“ Auf seine eigenen Grüße aus Bremen freut er sich schon jetzt. In wenigen Tagen kommt die Postkarte in Liebenau bei Nienburg an.

Udo Wagner ist hingegen kein Fan vom Postkarten schreiben.
Udo Wagner findet es schrecklich zu schreiben. Wenn er schreibt, dann Emails oder SMS. „Stift in der Hand, bin ich nicht mehr gewohnt“, sagt er. Dennoch: Wagner traut sich, und Partnerin Brigitte Schlegel bietet ihren Rücken gern als Schreibunterlage an. Die beiden kommen aus Fürth. Die Hansestadt gefällt ihnen wegen der vielen alten Häuser. Nach einigen Minuten ist Wagner fertig: „Viele Grüße aus Bremen“, steht da. Und wohin gehen die Grüße: „Na, an die Mutti, ich kann nur diese eine Adresse auswendig“, sagt Wagner.

Imad Ahmed verschickt selten Karten, obwohl er es eigentlich mag.
Wie war noch mal ihre Adresse? Imad Ahmed versucht sich zu erinnern, doch es fällt ihm nicht ein. „Ich mag es Karten zu schicken, aber ich tue es selten“, sagt er. Seit er in Deutschland ist, hat er noch nie per Post geschrieben. Er hat nur die Telefonnummern seiner Freunde und Verwandten im Smartphone gespeichert- was auch jetzt nützlich ist: Per Whats-app bekommt er schließlich heraus, wie Straße und Postleitzahl lauten. „Viel Glück, bleib stark. Es ist schön hier, bis bald“, schreibt der Syrer seiner Freundin. Und dass er sich freue, wenn sie sich wiedersehen. „Dann habe ich viel zu erzählen.“

Susanne Oberhauser-Hirschoff und Elena Hirschoff.
Susanne Oberhauser-Hirschoff und Elena Hirschoff sind auf Durchreise in der Hansestadt gelandet. Zuerst waren die Frauen enttäuscht „Der erste Blick auf den Bahnhofsvorplatz war nicht einladend. Gut, das wir uns getraut haben, weiter in die Stadt zu gehen“, sagt Susanne Oberhauser-Hirschoff. Nachdem sie den schönen Marktplatz gesehen hat, schreibt sie gern eine Karte aus Bremen. „Liebe Mama, Grüße und Küsse gesponsert vom Weser-Kurier.“ Darunter ein Smiley, passend zur bunten Karte, auf denen die Stadtmusikanten gemalt sind. Für Elena Hirschoff bleibt noch Platz für eine Unterschrift. Dann geht die Ansichtskarte ab nach Nürnberg.