Patchwork, Regenbogen, alleinerziehend: Längst nicht alle Familien entsprechen dem alten Bild von Mutter, Vater und zwei Kindern. Wer einem Fünfjährigen erklären will, was Familie alles sein kann, kommt schnell an seine Grenzen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach. David (Name geändert) hat zwei Mamas, und das finden manche Kinder komisch. „Das geht doch gar nicht, man kann nur eine Mutter haben“, solche Kommentare hört der Neunjährige öfter. Seine Eltern stärken ihm den Rücken, damit er auf blöde Sprüche selbstbewusst reagieren kann. Und sie versuchen, Vorurteile durch Offenheit auszuräumen. „Man muss gut im Gespräch bleiben mit Erzieherinnen und Erziehern, mit Lehrerinnen und Lehrern, und die Kinder ermutigen zu reden“, sagt Natalia Matter, eine von Davids Müttern.
Sie erzählt freimütig, dass sie mit Hilfe der Samenspende eines guten Freundes schwanger wurde. Ihre Frau hat David nach der Geburt adoptiert, und der leibliche Vater ist heute sein Patenonkel. David nennt ihn nicht „Papa“, sondern bei seinem Vornamen.
Ungefähr 7000 gleichgeschlechtliche Paare mit minderjährigen Kindern im Haushalt gibt es in Deutschland laut Familienreport des Bundesfamilienministeriums. Solche Regenbogenfamilien entstehen zum Beispiel, wenn einer der Partner seine Kinder aus einer früheren Beziehung mit in die neue Partnerschaft bringt. Manche schwule und lesbische Paare entscheiden sich auch gemeinsam für ein Kind, das sie zusammen aufziehen, wie bei David und seinen Eltern. Trotz der Ehe für alle ist diese Variante aber noch immer mit rechtlichen Hürden verbunden.
Vielfältige Beziehungsmodelle
Annette Mattfeldt vom Bremer Verein „Rat und Tat-Zentrum für queeres Leben“ hält vom Zahlenwerk nicht viel. Etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen in Deutschland leben in gleichgeschlechtlichen Beziehungen“, sagt die Diplompsychologin. Die Beziehungsmodelle seien aber so vielfältig, dass Zahlen zu wenig aussagen, findet sie. Der seit 2009 im Duden verankerte Begriff „Regenbogenfamilie“, was so viel heißt wie Familie mit gleichgeschlechtlichem Elternpaar, erfasse nur einen kleinen Teil der vielen möglichen Konstellationen. Nicht inbegriffen seien etwa Partnerschaften intersexueller oder transgender Personen. Auch gäbe es eine große Anzahl statistisch nicht erfasster Paare, eben wie bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, in die einer der Partner ein Kind aus einer vorangegangenen heterosexuellen Beziehung eingebracht hat.
Manchmal entsteht eine neue Familienkonstellation einfach aus Umständen heraus, etwa weil die Eltern sich trennen. Nach wie vor sind die meisten Elternpaare verheiratet, insgesamt 5,5 Millionen.
1,6 Millionen Elternteile sind alleinerziehend. Der Anteil von Stieffamilien macht Umfragen zufolge zwischen sieben bis
13 Prozent aller Familien in Deutschland aus, das besagt eine Studie des Familienministeriums. In Stieffamilien leben Kinder mit einem leiblichen und einem sozialen Elternteil zusammen. Eine Variante davon ist die Patchworkfamilie, die aus Eltern mit ihren gemeinsamen Kindern und Kindern aus einer früheren Partnerschaft besteht.
Katharina Grünewald geht diese Definition von Patchwork nicht weit genug. Sie verwendet den Begriff auch dann, wenn nur einer der Partner bereits Kinder aus einer früheren Beziehung hat. Die Psychologin berät in ihrer Hamburger Praxis Patchworkfamilien und lebt selbst in einer solchen Konstellation. „Die Realität ist vielfältig, und trotzdem haben wir oft noch ein klassisches Bild von Familie im Kopf, von Vater, Mutter und zwei Kindern“, beobachtet Grünewald. Sie versteht Familie als ein Netz aus Beziehungen, das vollkommen unterschiedlich aussehen kann. Auch wer zur Familie gehört, empfindet womöglich jeder Beteiligte anders. Für ein Kind, das seinen Vater am Wochenende besucht, zählt vielleicht der kleine Halbbruder dazu, nicht aber die neue Frau des Vaters.
Vor allem jüngere Kinder begegnen den vielfältigen Familienformen mitunter selbstverständlicher als Erwachsene. Oft gehören Trennungs- oder Patchworkfamilien für sie zum Alltag: Der Freund aus dem Kindergarten sieht seinen Vater nur am Wochenende, ein Mädchen wird beim Turnen mal von dem einen, mal von dem anderen Vater abgeholt.
Am Interesse des Kindes orientieren
Im Gespräch über unterschiedliche Familienformen sollten sich Eltern stets am Interesse der Kinder orientieren, empfiehlt Christiane Zießler. „Es sollte schon einen Anlass geben, über so etwas zu reden, entweder eine Frage des Kindes oder eine Situation, die man gemeinsam erlebt“, sagt die Psychologin, die in der Berliner Beratungsstelle Familie im Zentrum arbeitet. Solche Gespräche können Eltern durch Bücher zum Thema unterstützen. Inzwischen gibt es eine große Auswahl an Literatur über verschiedene Familienkonstellationen. Bücher, in denen Kinder Figuren finden, mit denen sie sich identifizieren können.
Das Rat-und-Tat-Zentrum in der Theodor-Körner-Straße 1, das auch Kinderwunsch- und Familienberatung anbietet, hat in Zusammenarbeit mit der Bremer Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen nach Berliner Vorbild den Medienkoffer „Familien und vielfältige Lebensweisen“ für Kita- und Grundschulkinder zusammengestellt. Darin enthalten sind rund 20 Kinderbücher, ein Familienspiel und Fach- und Begleitliteratur für Fachkräfte der frühkindlichen Bildung. Die Koffer können von allen Interessierten ausgeliehen werden (über www.ratundtat-bremen.de oder Telefon 04 21 / 70 41 70). „Die familiäre Vielfalt ist heute zwar Realität, in vielen Bereichen und Köpfen aber noch nicht angekommen“, sagt Caro Schulze, Diplom-Soziologin beim Rat-und-Tat-Zentrum. Für ihren zehnjährigen Sohn sei es selbstverständlich, dass er mit zwei Müttern aufwachse, sagt sie.
Wenn Kinder ihr Fragen zu ihrer Familie stellen, erzählt Natalie Matter ihnen, dass ihre Frau und sie sich genauso gern mögen wie andere Eltern und sich auch Kinder gewünscht haben. Weil zwei Frauen zusammen aber keine Kinder bekommen können, habe ihnen ein Mann geholfen, den sie sehr gut kennen. „Ganz kleinen Kindern sagen wir einfach: Der Mann hat uns geholfen. Bei älteren Kindern erklären wir, dass er uns seinen Samen geschenkt hat.“
Viele Eltern sind dankbar für solche Erklärungshilfen und haben ihr erzählt, dass einige Mädchen jetzt ein neues Rollenspiel entdeckt haben. „Mama, Mami, Kind“ funktioniert nämlich auch, wenn kein Junge mitspielen will. Familie, das haben die Kinder längst begriffen, kann ganz unterschiedlich sein.