In Vegesack hat ein Mann vermutlich seine Mutter getötet, weil er mit ihrer Pflege überfordert war. Wie kann es zu einer solchen Tragödie kommen?
Miriam Sonnenberg: Ich kann nur spekulieren, da ich den Fall nur aus der Presse kenne.
Warum konnten die Probleme unentdeckt bleiben?
Es gibt gerade ältere Menschen, die wollen keine Fremden im Haus haben. Gerade beim Thema Demenz gibt es Phasen, in denen Hilfe vom Pflegebedürftigen aggressiv abgewehrt wird. Dann kann es passieren, dass der Patient den Pflegedienst nicht ins Haus lässt.
Wie können solche Extremsituationen in Zukunft verhindert werden?
Ich denke, dass man den Fall zum Anlass nehmen sollte, um auf die vielzähligen Unterstützungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige hinzuweisen. Gerade wir hier in Bremen-Nord haben ein gutes Netzwerk. Und es gibt Möglichkeiten für Angehörige, die eine Auszeit nehmen wollen. Es gibt zum Beispiel Tages- und Kurzzeitpflegeplätze.
Aber zu wenig, oder?
Ich könnte mir vorstellen, dass man die Tagespflegeplätze noch erweitern müsste. In der Kurzzeitpflege fehlen auf jeden Fall Plätze.
Sie beraten jeden Monat rund 300 Angehörige von Pflegebedürftigen in Bremen-Nord. Was sind die Hauptsorgen?
Wir beraten klassischerweise die Kinder oder Ehepartner von Menschen, die pflegebedürftig geworden sind und jetzt überlegen, wie sie überhaupt mit der Situation umgehen. Wir unterstützen zum Beispiel bei der Antragstellung bei der Pflegekasse und dann bei der Frage, wie es weiter geht.
Nach Angaben des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen entscheiden sich überdurchschnittlich viele Bremer, ihre Angehörigen zuhause zu versorgen. Warum?
Vielfach wird Pflege als gegeben hingenommen. Als etwas, das man machen muss.
Von welchen Belastungen erfahren sie in den Beratungsgesprächen?
Was wir häufig erleben, ist, dass Belastungen im Gespräch eher beiläufig erwähnt werden. Viele Pflegende geraten unter Druck, wenn sie ständig präsent sein müssen, sich ständig um jemand anderen kümmern müssen und nicht mehr so viel Zeit für Dinge haben, die sie selbst gern tun würden. Man hat eine ganz neue Situation mit neuen Herausforderungen, zum Beispiel, wenn Demenzkranke ihre Ehepartner nicht mehr erkennen. Damit muss man umgehen. Sich alleine zu fühlen, kann man niemandem nehmen. Aber wenn man Unterstützung erfährt, relativiert sich oft die Belastung.
Studien gehen davon aus, dass es auch in der familiären Pflege Fälle von Gewalt gibt, zumindest wird die Beziehung zwischen den Pflegenden und Pflegebedürftigen im Report „Gewaltprävention in der Pflege“ des Berliner Zentrums für Qualität in der Pflege als problematisch beschrieben. Ist Gewalt in der häuslichen Pflege bei Ihnen ein Thema?
Einige Angehörige öffnen sich in den Gesprächen schon. Sie teilen uns beispielsweise mit, dass sie in Überforderungssituationen Aggressionen bei sich erleben, und sie berichten uns auch von aggressivem oder drohendem Verhalten der pflegebedürftigen Personen. Die Situation im Pflegealltag verändert, da kommen auch Emotionen hoch.
Das Gespräch führte Patricia Brandt
Traumberuf Altenpfleger? Für viele junge Leute gilt das nicht. Mit einer Imagekampagne für Pflegeberufe will ein Bündnis aus Kommunen und Verbänden nun Nachwuchskräfte nach Südostniedersachsen locken. Am Mittwoch stellte das regionale Netzwerk zur Fachkräftesicherung in der Pflege die Werbefilme und Plakate mit dem Motto „Ich pflege gern“ in Braunschweig vor. Unterstützt werden die Träger von Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD).
Nach Angaben des Bündnisses fehlen bis 2030 allein in der Region rund um Braunschweig 6000 Pflegekräfte. Niedersachsenweit werden es nach Schätzungen der Landesregierung 21 000 bis 52 000 sein. Obwohl Altenpfleger ein hohes Ansehen genössen, wolle kaum jemand diese Tätigkeit übernehmen, beklagt das Netzwerk, das sich um die Sicherung des Fachkräftenachwuchses kümmern will. Ein Grund für den wachsenden Personalmangel sind die mäßigen Arbeitsbedingungen in der Pflege. Die Bezahlung halten viele für unzureichend, die Arbeitsbelastung für zu hoch.
Ministerin Reimann sagte, Pflegeberufe müssten aus ihrem „Mauerblümchen-Dasein“ herauskommen. Mit der Kampagne will das Netzwerk auch den Ruf der Pflegeausbildung aufpolieren. „Wir wollen aufklären, was die Pflege für ein toller Beruf ist“, sagte der Sprecher der Trägergemeinschaft, Oliver Syring. Die Gewerkschaft Verdi hält die Werbeaktion allein für unzureichend: „Bevor man irgendwelche Imagekampagnen startet, sollte man die Arbeitsbedingungen auch tatsächlich verbessern“, sagte ein Sprecher des Verdi-Landesverbands Niedersachsen.
Miriam Sonnenberg ist 45 Jahre alt, lebt in Bremen Nord und ist studierte Sozialpädagogin. Die Pflegeberaterin berät seit eineinhalb Jahren im Pflegestützpunkt Vegesack Angehörige von Pflegebedürftigen.