Seit 100 Jahren existiert die Caritas in Bremen – eine lange Zeit, in der es viele Höhen und Tiefen gab. Welche Meilensteine haben Sie miterlebt?
Martin Böckmann: Meilensteine sind für mich, wenn wir neue Aufgabenfelder erschließen. In der ersten Zeit waren das bauliche Maßnahmen, also die Errichtung von fünf Altenheimen entweder als Neubau oder als Komplettsanierung. Ich glaube, dass das die wesentliche Grundlage dafür ist, wie wir uns heute darstellen: offen und modern – nicht nur durch die Beratung und die Mitarbeiter, sondern auch durch die Immobilien.
Gab es auch weniger schöne Zeiten?
Wir hatten eine ganz schwierige Situation im Pflegemarkt, bundesweit, aber auch in Bremen. Gerade in diesem engen Stadtstaat gibt es sehr viele Pflegeanbieter. Daher sind wir in einem richtigen Wettbewerb unterwegs, nicht nur um die Kunden, auch ums Pflegepersonal.
Wie wirkt sich diese Konkurrenz auf die Arbeit der Caritas aus?
Für die Caritas war es durch ihr besonderes Arbeitsrecht und die daraus entstehenden Vergütungsstrukturen schwierig, sich auf diesem Markt zu behaupten. Wirtschaftlich konnten wir eine Zeit lang schlecht mithalten. Wir mussten uns also neu aufstellen und haben mit den anderen großen Trägern einen Landesbranchen-Tarifvertrag für die Pflege initiiert. Ziel war es, den Wettbewerb über Leistung und Qualität sicherzustellen und nicht nur über Vergütung und Entlohnung.

1Martin Böckmann
Was das Thema Armut angeht, führt Bremen immer wieder die Ranglisten an. Viele Projekte und Angebote der Caritas unterstützen seit jeher bedürftige Menschen. Wie sieht Ihre Arbeit in diesem Bereich heute aus?
Vor einem Jahr haben wir mit einem unserer Mitglieder, der katholischen Kirche St. Johann, die Johannis-Oase eröffnet. Das ist eine Duschgelegenheit für obdachlose Männer und Frauen. Dort können sie an mehreren Tagen pro Woche duschen, ihre Wäsche waschen. Wir merken, wie die Nachfrage steigt, sodass wir einen weiteren Öffnungstag in der Woche planen. Dann gibt es noch das „Klederschnoor“, ein Geschäft mit Kleiderspenden für bedürftige Menschen. In den Wintermonaten läuft unser Projekt „Wärme auf Rädern“. Menschen, die in Not sind, bekommen dort Suppe ausgeschenkt. Der Bedarf derer, die das in Anspruch nehmen, steigt auch. Dann wären da noch die allgemeine Sozialberatung und die Bahnhofsmission.
Die Arbeit einer Wohlfahrtsorganisation ist auch immer ein Spiegel der Zeit, oder?
Absolut. In der Bahnhofsmission, die wir seit ganz vielen Jahren zusammen mit der Inneren Mission betreiben, nimmt der Zulauf von Menschen mit Unterstützungsbedarf von Jahr zu Jahr zu. Das, finde ich, ist ein ganz wichtiges gesellschaftspolitisches Signal. Derzeit haben wir in dieser kleinen Bahnhofsmission 56.000 Kontakte pro Jahr, das sind im Schnitt 150 am Tag. Es ist ganz wichtig, dass wir diese Menschen nicht aus dem Blick verlieren.
Die Klagen der Vereine und Verbände, dass sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren, sind bekannt. Wie ist die Lage bei der Caritas?
Bei uns sieht es wunderbar aus. Insgesamt haben wir etwa 350 Männer und Frauen aus allen Altersschichten und Sozialstrukturen, die sich in unterschiedlichster Form einbringen. Aber: Man muss sich darum bemühen, das ist kein Selbstläufer. Man muss Menschen, die sich da austoben wollen, eine Basis zu Verfügung stellen, sie auch begleiten, aber darf sie nicht einschränken.
Welche Wünsche haben Sie an die Politik in Bezug auf Ihre Arbeit?
Man muss das Übel bei der Wurzel packen: Gerade in jungen Jahren ist Bildung eine große Voraussetzung dafür, wie das Leben weitergeht. Da gibt es aus meiner Sicht die ganz klare Forderung, dass es entsprechende Strukturen gibt. Dann ist sozialer Wohnungsraum in Bremen ein Riesenthema, wo wir unheimliche Bedarfe haben. Selbst unsereins hat es mitunter schwer, etwas zu kaufen oder mieten, weil es entweder nichts gibt oder zu teuer ist. Was ist mit den Menschen, die nichts haben? Da muss etwas passieren.
Geld ist doch sicher auch ein Thema? Die Sozialberatung zum Beispiel wird ausschließlich aus der Kirchensteuer finanziert.
Ja, viele unserer Angebote können nur aufrechterhalten werden, weil Kirchensteuermittel einfließen. Das finde ich auch gut; es gibt ja oft die Frage: Was machen die Kirchen eigentlich mit dem ganzen Geld? Nichtsdestotrotz würde ich mich freuen, wenn ein Projekt wie die Bahnhofsmission irgendwann zumindest teilweise öffentlich mitfinanziert wird.
Die Caritas wurde vor 100 Jahren als Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche gegründet. Welche Rolle spielt der Glaube heute?
Der Glaube des Einzelnen spielt nicht die oberste Rolle. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter das, was wir an unserer christlichen Orientierung, am Menschenbild, ausmachen, als Ziel in ihrer täglichen Arbeit sehen – und dass das Ziel gemeinsam erreicht wird.
Muss man dazu Christ sein?
Wenn die Mitarbeiter christlichen Glaubens sind, ist das gut. Aber wir sehen, dass das mit Mitarbeitern, die einen anderen Glauben oder kulturellen Hintergrund haben, ebenso gut gehen kann. Ich finde es eine tolle Sache, dass wir da an einem gemeinsamen Strang ziehen und nehme das als Bereicherung und Belebung wahr.
Welcher Punkt liegt Ihnen, bezogen auf Ihre Arbeit, besonders am Herzen?
Mir ist es ein großes Anliegen, dass die Gesellschaft die Arbeit in den sozialen Diensten, unabhängig davon, ob es Pflege oder Erziehung ist, würdigt und anerkennt. Auch in den Medien sollte nicht ausschließlich negativ darüber berichtet werden. Es darf nicht immer nur gesagt werden, in der Pflege verdient man schlechtes Geld. Da arbeiten wir dran. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind.
Was sollte sich also ändern?
Gerade um junge Menschen für diesen Beruf zu interessieren, muss das Positive dargestellt werden. Was gibt es Schöneres, als Menschen zu helfen? Vor allem, wenn diese froh darüber sind, dass junge Leute sie unterstützen – in der schwierigen Situation des Alterns oder auch des Sterbens. Wir werden auch in die Situation kommen, und die Technik wird es nicht richten können. Ich glaube nicht, dass wir in 30 Jahren von Robotern gepflegt werden. Das möchte ich mir auch nicht vorstellen. Sicher wird eine Menge möglich sein, aber nicht ohne persönliche Zuwendung. Da werden wir immer gute, motivierte Fachkräfte brauchen.
Das Gespräch führte Kristina Bellach.
Zur Person:
Martin Böckmann ist 51 Jahre alt, Vater von zwei Söhnen und Vorstandsmitglied der Caritas in Bremen. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften arbeitete er bei der Caritas in Paderborn. 1996 wechselte er zur Caritas Bremen.