Seit 1817 kommen die Badegäste
Das einstige Fischerdorf Warnemünde wurde im Jahr 1323 von Rostock gekauft, um den Zugang der Stadt zur Ostsee zu sichern. Während die Rostocker als Mitglied der Hanse das Geld nur so scheffelten, waren die Warnemünder arm. Im Jahr 1585 folgte der nächste Tiefschlag: Um die Interessen Rostocks zu wahren, wurde für Warnemünde ein Gewerbeverbot verhängt. Nur Fischer, Seelotsen und Seeleute durften arbeiten. Dieses Verbot wurde erst 1867 gelockert.
Zu diesem Zeitpunkt gab es tatsächlich längst einen Badebetrieb in Warnemünde – die ersten Gäste kamen 1817. Einen weiteren Einschnitt gab es 1903: Der regelmäßige Fährbetrieb nach Dänemark wurde eröffnet. Von der Mittelmole konnten Züge direkt auf die Schiffe gezogen werden. Hierzu ist der bis heute bestehende Bahnhof gebaut worden. Der Betrieb an der Mittelmole wurde 2006 eingestellt, seitdem laufen die Dänemarkfähren den Rostocker Stadthafen an.
Am 1. Mai 1945 besetzten sowjetische Truppen Rostock und Warnemünde. Weil das Land über keinen eigenen Seehafen verfügte, beschloss die SED-Führung später, in Rostock einen neuen Hafen zu bauen. Der erste Spatenstich erfolgte 1957. Drei Jahre später wurde das Becken B eröffnet. Noch im Jahr 1988 galt der Hafen bei Experten als zukunftsfähig, mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion brachen die Umschlagzahlen allerdings von 21 Millionen Tonnen auf drei Millionen Tonnen ein.
Noch zu DDR-Zeiten, im Jahr 1987, schlossen die beiden Hansestädte Rostock und Bremen ihre Städtepartnerschaft, die jedoch erst mit der Wende und der Wiedervereinigung an Gewicht gewann. Rostock zählt heute rund 203 000 Einwohner, der Ortsteil Warnemünde gut 7800.
Es fehlt an Wohnraum
Der Ortsbeirat Warnemünde kümmert sich aktuell vor allem um die Schaffung von Wohnraum sowie die Verkehrsproblematik. „Bei uns läuft es anders als in Bremen“, sagt Beiratssprecher Alexander Prechtel, „der Beirat legt die Themen fest und der Sprecher leitet die Sitzungen.“ Die Gremien werden durch die 53 Mitglieder der Rostocker Bürgerschaft gewählt, ein direktes Votum der Bürger gibt es nicht.
In Rostock gibt es 19 Ortsbeiräte, die kleiner sind als ihre Pendants in Bremen. Vegesack bietet 17 Mitglieder auf, Warnemünde nur neun. An der Warnow entsendet die CDU drei, die Linke zwei sowie SPD, Grüne, Unabhängige Bürger für Rostock sowie die Initiative Rostocker Bund/Graue/ Aufbruch 09 jeweils einen Vertreter in den Ortsbeirat.
Auf der Tagesordnung steht nach Auskunft des Beiratssprechers der dringend notwendige Bau von Wohnungen. Prechtel geht von 1000 Wohneinheiten in den kommenden fünf Jahren aus. Zielgruppe müssten junge Familien und Existenzgründer sein, um für sie ein ortsnahes Angebot zur Arbeitsstelle zu schaffen. Hintergrund: Seit der Wende seien zahlreiche Wohnungen in Feriendomizile umgewandelt worden. Das habe zu einer Verknappung regulärer Wohnungen und zu steigenden Preisen geführt. Dieser Trend sei seit etwa eineinhalb Jahren gestoppt, weil nur noch eine begrenzte Anzahl Ferienwohnungen ausgewiesen werden dürfte.
Was die Warnemünder seit einigen Jahren genauso bewegt, ist das Thema Verkehr. So fordert der Ortsbeirat ein Parkraumkonzept, das Anwohnerparken einschließt. „Es gibt in Warnemünde kaum Parkplätze“, sagt Franka Teubel, Leiterin des zuständigen Ortsamtes. Sie ergänzt: „Das ist bei Großveranstaltungen wie der Warnemünder Woche ganz schlimm.“
Warnemünde im Schnelldurchgang zu Wasser und an Land
Es ist ein wechselhafter Tag, ein ganz gewöhnlicher Wochentag. Trotzdem brummt das Tourismusgeschäft in Warnemünde. Es sind vor allem ältere Leute, die sich umschauen. Und Familien mit kleinen Kindern, für die Schule derzeit noch keine Rolle spielt. Auf der Seepromenade zwischen Hotel „Neptun“, dem Leuchtturm und dem „Teepott“ herrscht an diesem Tag Bewegung. Ein wenig zieht sich der Besucherstrom noch herüber bis zum Bahnhof, wo es unter einer kleinen Unterführung hindurch bis zum Kreuzfahrtterminal geht.
Vor dem Gebäude aus dem Jahr 1903 stehen einige Buden mit maritimem Nippes neben einem Fischimbiss. Eine kleine Gruppe Briten macht sich einen Spaß daraus, Fellmützen oder andere Souvenirs auszuprobieren. Nach wenigen Minuten ziehen die Besucher weiter über die kleine Brücke in Richtung Kirchenplatz. Kutter, einige Sportboote, Hafenrundfahrt-Schiffe und der Seenotkreuzer „Arkona“ liegen hier im Alten Strom und geben ein malerisches Bild ab. Für dieses Bild ist Warnemünde bekannt. Immer wieder ertönen Schiffsglocken: Die Besatzungen der Schiffe buhlen um Gäste für eine der Hafenrundfahrten.
Zehn bis 15 Euro kostet die gut einstündige Tour vom Alten Strom aus bis vor die Becken des Rostocker Stadthafens. Es geht vorbei an der ehemaligen Warnow-Werft, die jetzt Nordic Yards heißt und 2017 schließen wird, am Caterpillar-Werk und der Neptun-Werft. Sie ist Tochter der Meyer-Werft. Ihr Bestand ist gesichert, weil dort unter anderem Sektionen für die Mega-Kreuzfahrtschiffe sowie Schiffe für Flusskreuzfahrten gebaut werden. „Der Markt dafür boomt“, berichtet der Schiffsführer während einer Hafenrundfahrt.
Der Blick von dieser Seite der Warnowmündung ist atemberaubend. Denn direkt am Fahrwasser befindet sich Deutschlands größtes Kreuzfahrtterminal, das Warnemünde Cruise Center mit durchschnittlich 200 Abfahrten jährlich. Die Schiffe, die dort anlegen, überragen die Häuser um ein Vielfaches. Wie an diesem Tag die „Norwegian Star“, die am Abend zu einer Ostsee-Kreuzfahrt in Richtung Tallinn auslaufen wird.
Zurück an Land gönnen sich die Besucher einen schnellen Happen. Aber Vorsicht: überall lauern die Möwen. Ohne Skrupel stehlen sie den Besuchern Kibbelinge, Fischbrötchen oder die Bratwurst. Da reicht es schon, seine Speise nur kurz auf den Tisch zu legen.
Groß stören lassen sich die meisten der Besucher nicht, im Gegenteil: Sie wandeln entlang des Alten Stroms oder auf der Seepromenade. Manche machen es sich trotz des eher mauen Wetters am breiten Strand gemütlich, für den Warnemünde ebenso berühmt ist wie für seine Schiffe.
Dort es lohnt sich, von der Route abzuweichen, den Strom der Besucher hinter sich zu lassen und einzutauchen in malerisch wirkenden Nebenstraßen. Heinrich-Heine-Straße, Anastasiastraße und Friedrich-Franz-Straße sind geprägt von sich eng aneinander schmiegenden niedrigen Häusern.
Von der Einbahnstraße zum Miteinander
Franka Teubel lächelt. „Warnemünde gehört schon zu Rostock, aber es ist eben anders“, sagt die Leiterin des Ortsamtes Nordwest 1. Warnemünde fällt in ihre Zuständigkeit. Doch de facto, so scheint es, hat sich dort ein ortspolitisches Eigenleben entwickelt.
Warnemünde ist das Aushängeschild Rostocks. Tausende von Touristen kommen Jahr für Jahr, um das Flair am Alten Strom mit seinen Schiffen und den Ostseestrand zu genießen. Oder an Deutschlands größtem Kreuzfahrtterminal eines der Schiffe zu besteigen. Und wenn Rostock zur „Hansesail“ einlädt, spielt sich der größte Teil des Geschehens vor Warnemünde ab. Das ist es, was dieses „anders“ ausmacht. „Warnemünde ist nicht Rostock“, urteilt beispielsweise ein junger Mann, „das ist wie mit Vegesack und Bremen.“ Er kennt beide Verhältnisse, er ist vor knapp zehn Jahren von der Weser an die Warnow gezogen.
Das Verhältnis der beiden Stadtteile zum jeweils Großen ist ein Antrieb dafür gewesen, dass Vegesack und Warnemünde im Jahr 1993 eine Stadtteilpartnerschaft beschlossen haben. Viele gleichartige Problemlagen erschienen für ein Zusammenrücken auf unterschiedlichen Ebenen ideal – insbesondere die maritime Tradition, die sowohl in Warnemünde als auch in Vegesack schon immer eine große Rolle gespielt hat.
Am 22. August 1993 setzten der damalige Vegesacker Beiratssprecher Paul Schmidt und Eckhard Spillmann, Sprecher des Ortsbeirates Warnemünde / Diedrichshagen, ihre Unterschriften unter das Dokument. Zwei Mal fand die Zeremonie statt: in Warnemünde und in Vegesack. Es herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung. Der Beitritt der ehemaligen DDR zum Grundgesetz, allgemein als Wiedervereinigung bezeichnet, war knapp drei Jahre zuvor erfolgt. In den neuen Ländern gab es eine Menge zu tun: Die öffentliche Verwaltung musste an moderne Standards angepasst, Strukturen aufgebaut und ganz handfest zum Beispiel Straßen saniert werden. Vor allem aber mussten Arbeitsplätze her, war doch fast die komplette ostdeutsche Industrie zusammengebrochen.
Da Bremen und Rostock im Jahr 1987 eine Städtepartnerschaft geschlossen hatten, leisteten die Hansestädter West bei den Hansestädtern Ost finanzielle und personelle Aufbauhilfe. Rund fünf Millionen D-Mark überwies Bremen von 1990 bis 1992 nach Rostock. Darüber hinaus wurden Beamte und Angestellte verschiedener Ressorts und stadteigener Unternehmen gegen Zahlung einer Sondervergütung, „Buschzulage“ genannt, an die Warnow abgeordnet.
Im Windschatten der Bremer Hilfe intensivierten sich die Kontakte zwischen Vertretern des Stadtteils Vegesack und des Ortsteils Warnemünde, die schließlich in der Unterzeichnung der Partnerschaftserklärung mündeten. Die Erklärung beschließt engere Kontakte auf „kulturellem, sportlichem und sozialem Gebiet“. Auch von „regelmäßigem Erfahrungsaustausch und ergänzenden Veranstaltungen“ angesichts „wachsender Aufgaben und der dazu erforderliche Ausbau der Kompetenzen und Funktionen der Beiräte und Ortsämter“ ist die Rede. „Zur Lösung gesellschaftlicher und kommunaler Probleme in den jeweiligen Beiratsgebieten werden Vertreter der beiden Beiräte und Ortsämter Hilfestellung leisten“, lautet ein weiterer Kern der Vereinbarung.
Anfangs sei es eine Einbahnstraße gewesen, erinnern sich beteiligte Vegesacker Beiratsmitglieder wie die damaligen CDU-Fraktionsmitglieder Silvia Neumeyer und Rainer W. Buchholz. Beide sitzen inzwischen in der Bremischen Bürgerschaft, Buchholz für die FDP. Vegesacks Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt stimmt in diesen Kanon mit ein. Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass die Warnemünder die Vegesacker inzwischen „in einigen Bereichen um Längen überholt“ hätten. Beispiele dafür seien die maritime Tradition und der Tourismus.
Aus heutiger Sicht spricht Dornstedt von einem „Geben und Nehmen“. Das kann Alexander Prechtel (CDU), seit 14 Jahren Sprecher des Beirates Warnemünde/Diedrichshagen, nur unterschreiben. „Es ist wichtig, über den Tellerrand zu blicken und zu schauen, wie andere Probleme lösen“, sagt Prechtel.
Vor Ort komme es ihm darauf an, „die Parteipolitik herauszuhalten“, wenn es auch nicht immer gelinge. Prechtel sagt: „Es geht um Warnemünde.“ Damit punktet er nicht nur an der Warnow, sondern auch an der Weser. „Das wünsche ich mir auch wieder mehr für Bremen-Nord“, meint etwa die CDU-Politikerin Neumeyer. Dem schließen sich ihre beiden Kollegen Buchholz und Heike Sprehe (SPD) an. Letztere war bis Ende der vergangenen Wahlperiode Vegesacker Beiratssprecherin und ist jetzt ebenfalls Bürgerschaftsabgeordnete.
Die Vegesacker und ihr Warnemünder Kollege sind der Überzeugung, dass eine derartige Partnerschaft nicht nur von den ortspolitischen Themen lebt, sondern in erster Linien von persönlichen Kontakten sowie vom Engagement jedes einzelnen Beiratsmitglieds. Genau dort hakt es vielfach, so auch bei den Kontakten zwischen Warnow und Unterweser. Denn nicht allzu lange nach der Unterzeichnung der Urkunde drohte das Vorhaben einzuschlafen.
Davon ist indes überhaupt keine Rede mehr. Spätestens mit dem 20. Jahrestag des DDR-Beitritts zum Grundgesetz im Oktober 2010 machten Warnemünder und Vegesacker in einer gemeinsamen Beiratssitzung klar, dass sie ihre Kontakte auch in der Zukunft pflegen möchten.
Beide Gremien treffen sich in diesem Jahr wieder. Am 3. Oktober um 14 Uhr tagen die Ortspolitiker im Conference Room der Jacobs University. Klaus Sondergeld, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Bremen (WFB), stellt das Freizeit- und Naherholungskonzept vor. Bei den Warnemündern geht es um die „Versorgung mit öffentlichen Toiletten“ sowie „Pflege und Unterhaltung der öffentlichen Grünanlagen“.
Für Prechtel sind beide Themen ideal, um auf den Partner-Stadtteil zu schauen. „Bei uns gibt es überhaupt keine öffentlichen Toiletten“, beschreibt er das Dilemma. Auf der anderen Seite könnten die Vegesacker angesichts der Personalknappheit der Umweltbetriebe kreative Ideen für das Grün im Stadtteil mit auf den Weg bekommen.