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Frauen über Feminismus Die Kämpfe des Alltags

Welche Rolle spielt der Feminismus in der heutigen Gesellschaft? Sechs Bremer Frauen stellen sich der Frage. Sie berichten über persönliche Erfahrungen, Missstände und Wünsche für die Zukunft.
07.03.2022, 19:06 Uhr
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Die Kämpfe des Alltags
Von Judith Kögler

Der 8. März hat unterschiedliche Namen: Internationaler Frauentag, Weltfrauentag, Frauenkampftag oder feministischer Kampftag. Sechs Bremerinnen berichten, warum er immer noch so wichtig ist und welche Rolle Feminismus künftig spielen muss.

Radwa Khalil, 34, Neurowissenschaftlerin, Grohn

"Meiner Meinung nach würde es mehr Sinn machen, von weiblicher Bestärkung anstatt von Feminismus zu sprechen. Für mich heißt das, die Rechte der Frau in Bezug auf soziale, ökonomische, politische und vor allem auch wissenschaftliche Aspekte durchzusetzen. In meinem Heimatland Ägypten haben Traditionen einen großen Einfluss auf eine Frau. Es ist oft mit Widerständen verbunden, wenn sie gleichermaßen Karriere machen und eine Familie gründen will – insbesondere, wenn es um Führungspositionen geht. Weibliche Vorbilder wie Marie Curie sollten deshalb in der Öffentlichkeit sichtbarer gemacht werden. Speziell in Ägypten braucht es eine bessere Infrastruktur, um weibliche Bildung und berufliche Entwicklung zu fördern."

Esther Joas, 37, Pastorin, Schwachhausen

"Feminismus bedeutet für mich, den Blick auf die Frau in der Gesellschaft neu zu denken. Außerdem natürlich die Gleichstellung aller Geschlechter. Frauen in Pfarrämtern gibt es erst seit den 1970er Jahren. Heutzutage machen wir uns auch viele Gedanken über all die männlichen Attribute im Gottesdienst, wie beispielsweise "der Herr", "der Gott". Meine Kolleginnen und ich versuchen, dies aufzubrechen, denn die Bibel ist in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden. Ich spreche Gott dann punktuell mit "sie" an. Im Konfirmationsunterricht hinterfragen wir mit den Jugendlichen Rollenbilder, achten auf gendersensible Sprache – auch in meinen Predigten tue ich das. Trotzdem ist unser Berufsbild noch immer männlich geprägt. Ich wünsche mir, dass das Weibliche in der Religion gestärkt wird."

Clara Koschies, 30, Feministischer Streik Bremen, Neustadt

"Feminismus heißt, wütend zu sein und Missstände aufzudecken. Es ist aber auch ein bestärkendes Kollektivgefühl. Das große Thema des heutigen Feminismus ist Selbstbestimmung, sei es in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche oder die generelle Sexualisierung des weiblichen Körpers. Die andere Frage ist, wie genau der Feminismus heutzutage aussieht: Ist er intersektional, sprich konzentriert er sich auch auf überlappende, gleichzeitige Formen der Unterdrückung? Ist er gegenüber Rassismus und Kapitalismus kritisch und ist er transinklusiv, also berücksichtigt er die Befindlichkeit von Transmenschen? Da gehen die Meinungen weltweit noch sehr stark auseinander. Aber ich vertrete die Position, dass all das mitgedacht werden muss. Mein Engagement ist für mich auch ein Lernprozess. Ich finde heraus, wo ich noch vom Patriarchat bestimmt bin und wie ich diese Kämpfe in meinem alltäglichen Leben dann angehen kann."

Greta Webner, 26, angehende Lehrerin, Fesenfeld

"Feminismus hat etwas mit Anerkennung und Selbstbestimmung zu tun. Wir kämpfen heutzutage dafür, dass Männern den Frauen auf Augenhöhe begegnen. Außerdem muss sexuelle Gewalt an Frauen stärker fokussiert werden. Leider muss die junge Generation wieder laut werden. Sexismus ist auch immer wieder Teil des Schulalltags. Feminismus ist aber nur dann Teil von Schule, wenn man es explizit im Unterricht thematisiert. Ich versuche, meine Schülerinnen und Schüler auf solche Missstände aufmerksam zu machen. Ich lese mit ihnen Bücher von weiblichen Autorinnen oder Sachtexte zum Thema gendergerechte Sprache. Künftig wünsche ich mir auch mehr Unterstützung von Männern und eine stärkere thematische Einbindung in die Schule, denn dort machen wir Zukunft."

Astrid Kania, Gynäkologin, 43, Findorff

"Oft wird unserer deutschen Gesellschaft automatisch das Gut der Gleichstellung zugeschrieben. Erlebt habe ich aber viel öfter, dass die Gesellschaft Männern mehr zutraut als Frauen. Vor allem, wenn es um berufliche Belange oder komplexe Sachverhalte geht, muss ich mich als Frau erst beweisen, während Männern oft Vorschusslorbeeren gewährt werden. Die Medizin ist mittlerweile überwiegend weiblich, vor allem mein Fach, die Gynäkologie. Dennoch sind wir in den Führungspositionen unterrepräsentiert, was aus meiner Sicht hauptsächlich an zwei Dingen liegt: Der fehlenden oder rudimentär vorhandenen Kinderbetreuung und der in uns Frauen wohnenden Einstellung, wir würden nicht genügen."

Maren Steinert, Studentin und Gamerin, 28, Fesenfeld

"Frauen werden immer noch strukturell diskriminiert. Ich arbeite als Gamerin und habe einen Vertrag mit einer E-Sports-Organisation. Im Internet ist Sexismus allgegenwärtig. Als Frau in der Männerdomäne Gaming äußert sich das in den Chats. Ich bekomme oft Anfeindungen oder ekelhafte Anmachen. Meine männlichen Kollegen streamen seit vier Jahren. Sie mussten bisher zwei Personen aus ihren Chats entfernen. Ich hingegen streame seit einem Jahr und habe schon über 800 Personen sperren müssen. Ich wehre mich in den Chats natürlich dagegen, aber Feminismus muss auch mit den Männern zusammen gedacht sein. Ich würde mir wünschen, dass Frauen in der Gaming-Szene mehr Raum einnehmen können, Sponsoring-Verträge bekommen und weniger belächelt werden."

 

 

 

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