„Plötzlich ist alles ganz anders. Der Krebs hat aus uns eine traurige Familie gemacht.“ Das sagt die 16-jährige Ida. Sie ist eines von vielen Kindern in Bremen, deren Familie von Krebs betroffen ist. Ein Bruder, eine Schwester oder ein Elternteil ist erkrankt. Seit 2001 kümmert sich ein Projekt der Bremer Krebsgesellschaft um diese Mädchen und Jungen. „Pegasus“ bietet ihnen einen geschützten Raum, in dem sie über ihre Ängste und Sorgen gemeinsam mit anderen betroffenen Kindern sprechen können. Oder sie können in der Musiktherapie mithilfe eines Instruments ihre Gefühle ausdrücken – ein Instrument müssen sie dafür nicht spielen können.
„Es geht um die Möglichkeit, sich ausdrücken zu können. Denn: Oftmals fehlen den Kindern die Worte, um das, was sie belastet, benennen zu können. Es hat ihnen regelrecht die Sprache verschlagen“, sagt Marie-Luise Zimmer. Die Musik- und Traumatherapeutin hat Pegasus damals mitgegründet und viele Jahre für die Bremer Krebsgesellschaft koordiniert. Inzwischen ist sie in den Ruhestand gegangen, los lässt sie die Sorge um die Mädchen und Jungen aber nicht. Gemeinsam mit anderen Mitstreitern hat sie den Förderverein Pegasus Bremen gegründet.
„Unser Ziel ist es, die Arbeit von Pegasus durch eingeworbene Spenden zu unterstützen und auch eigene Angebote auf den Weg zu bringen“, sagt Zimmer. Dazu gehörten zum Beispiel Aktionstage für Kinder mit ihren Familien. Und: die Schulung und der Einsatz von Ehrenamtlichen. Aktuell plane der Förderverein etwa den Aufbau eines Fahrdienstes. „Nicht immer sind die Eltern in der Lage, ihre Kinder zu Gruppenangeboten von Pegasus oder zu Aktionstagen zu bringen“, sagt Zimmer. „Das wollen wir über Ehrenamtliche organisieren, allerdings müssen sie darauf vorbereitet und geschult werden.“
Die Musik- und Traumatherapeutin hat viele Mädchen und Jungen während ihrer aktiven Zeit bei Pegasus kennengelernt. Sie hat erfahren, wie sehr der Krebs in der Familie die Kinder belastet – und wie wichtig es ist, dass darüber gesprochen und nicht geschwiegen wird. „Der Reflex bei Eltern ist natürlich, dass man die Kinder schützen will. Aber: Egal wie jung sie sind, die Kinder spüren das. Das löst Ängste, oft auch Schuldgefühle und Wut aus. All das müssen sie loswerden können“, sagt Zimmer.
"Das Schweigen muss aufhören"
Pegasus bietet den Kindern den geschützten Raum, in dem sie dies können. „Wir unterstützen Eltern auch, wie sie ihren Kindern altersgerecht von der Krebserkrankung in der Familie erzählen können und was dies bedeutet. Wir begleiten die Familien auch darüber hinaus, wenn der Krebs nicht heilbar ist“, sagt Marina Schürmann, die das Pegasus-Projekt bei der Bremer Krebsgesellschaft koordiniert. Die Angebote sind kostenfrei, sie werden durch Spenden finanziert. „Wichtig ist: Wir therapieren die Kinder nicht, sondern begleiten sie. Es muss keine Indikation im medizinischen Sinne bestehen. Die Indikation ist: In der Familie gibt es eine Krebserkrankung.“
Zurzeit gebe es acht Pegasus-Gruppen, in denen jeweils sechs Kinder im Alter zwischen drei und 20 Jahren begleitet werden. Wichtig sei auch, dass die Kinder nicht über den Krebs sprechen müssten. „Die Gruppen und die Treffen sollen ein Raum sein, der ihnen Entlastung bietet“, sagt die Diplom-Pädagogin. „Es wird auch sehr viel gelacht.“ Je älter die Mädchen und Jungen seien, desto eher werde tatsächlich über die Erkrankung und den Alltag zu Hause gesprochen. Dabei helfe, dass sie mit anderen Kindern und Jugendlichen zusammen seien, die diese Situation und die damit verbundenen Gefühle kennen. Draußen, im Alltag, in der Schule, mit anderen Freunden, sei das anders. Schürmann: „Sehr oft sagen sie: Das kann keiner verstehen.“
Das Bremer Pegasus-Projekt war laut Zimmer bei seiner Gründung bundesweit ein Vorreiter. Inzwischen gebe es ähnliche Angebote in Großstädten. „Unser Hauptanliegen damals war: Das Schweigen muss aufhören. Und das gilt sicher auch heute noch.“