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Interview mit Ex-Salafist „Wenn ich den Islam nicht annehme, komme ich für ewig in die Hölle“

Dominic Musa Schmitz (29) konvertierte mit 17 zum Islam. In Mönchengladbach, wo er aufwuchs, lernte er Salafisten wie Pierre Vogel kennen. Nach sechs Jahren stieg er aus und berichtet seine Erfahrungen.
10.02.2017, 00:00 Uhr
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„Wenn ich den Islam nicht annehme, komme ich für ewig in die Hölle“
Von Christian Weth

Dominic Musa Schmitz (29) konvertierte mit 17 zum Islam. In Mönchengladbach, wo er aufwuchs, lernte er Salafisten wie Pierre Vogel kennen. Nach sechs Jahren stieg er aus und berichtet seine Erfahrungen.

Herr Schmitz, Sie waren überzeugter Salafist, jetzt sind Sie ein scharfer Kritiker des radikalen Islamismus – warum sind Sie so extrem?

Dominic Musa Schmitz: Ich glaube, das ist ein Charakterzug von mir: Ich bin ein extremer Mensch. Das kann man allerdings nicht auf meine Rolle als Kritiker beziehen. Ich spreche differenziert über meine Vergangenheit, ohne meine Meinung jemandem aufzuzwingen oder damit hausieren zu gehen. Das ist nicht extrem.

Sie hätten auch aussteigen und einfach schweigen können. Weshalb haben Sie sich dagegen entschieden?

Ich hätte auch geschwiegen. Doch durch meinen Youtube-Kanal, den ich seit Jahren hatte, war ich bereits in der Öffentlichkeit. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, meine Gedanken öffentlich zu machen. Der Youtube-Kanal wurde zu einer Mission für mich. Auch das ist, glaube ich, ein Wesenszug von mir: Ich will nachdenklich machen.

Haben Sie keine Angst?

Als ich 2010 für mich entschieden hatte auszusteigen, machte ich mir keine Sorgen. Es kam zwar ab und zu eine SMS von Glaubensbrüdern, die wissen wollten: ,Hey, warum kommst du nicht mehr in die Moschee?' Aber das war es denn auch. Als ich aber kritischer wurde und meine Kritik öffentlich machte, bekam ich tatsächlich zeitweise Angst. Ich ging kaum noch raus und wenn doch, hatte ich Pfefferspray in der Tasche. Vor der Veröffentlichung meines Buches zog ich aus Mönchengladbach weg.

Wie hat denn die salafistische Szene reagiert, als Sie sich von ihr lösten?

Auf die Fragen per SMS folgte ein Shitstorm im Internet. Auf den Shitstorm folgten Hausbesuche. Auf die Hausbesuche schließlich Morddrohungen. Je schärfer ich kritisierte, desto drastischer wurden der Tonfall der Glaubensbrüder und ihre Reaktionen.

Und wie reagieren Schüler darauf, wenn Sie sagen: ,Ich war ein Salafist'?

Das hängt von der Schule ab. Gymnasiasten reagieren nun mal anders als Hauptschüler. Und evangelische Schüler anders als muslimische. Manche können mit dem Begriff ,Salafist' nichts anfangen, andere kennen Prediger wie Pierre Vogel nicht. Einige fühlen sich angegriffen. Das nehme ich aber in Kauf. Meine Auffassung ist, dass wir alles infrage stellen müssen – jeden Glauben und jede Schrift, die diesen oder jenen Glauben lehren. Muslimische Schüler haben damit eher ein Problem.

Was überwiegt denn – das Verständnis für Sie oder das Unverständnis?

Das Verständnis. Wenn ich darüber spreche, was ich geworden bin, rede ich über meine Jugend, über die Trennung meiner Eltern, das Kiffen, die Schule, meine Suche nach einem Sinn im Leben. Das alles ist Schülern nicht fremd. Die Debatte mit ihnen beginnt, wenn ich erkläre, dass man alles im Kontext sehen muss. Man kann eine 1400 Jahre alte Schrift wie den Koran eben nicht eins zu eins auf heute übertragen.

Sie haben ans Paradies geglaubt und an die Hölle, in der man mit Eiter und Blut gefüttert wird. Können das Außenstehende wirklich nachvollziehen?

Muslimischen Schülern gelingt das eher. Aber wirklich nachvollziehen, das kann keiner. Genauso wenig wie jemand weiß, was Liebe ist, wenn ein anderer ihm das in Worten beschreibt. Ich kann nur versuchen, den Leuten zu erklären, welche Bedeutung es für mich hatte, wenn in der Moschee von Reinheit die Rede war, vom Paradies und von der Hölle. Ich habe irgendwann tatsächlich geglaubt: ,Du musst gut sein, um von Gott belohnt zu werden.'

Verfängt die salafistische Lehre tatsächlich so leicht? Manche sagen, dass Jugendliche eher materiell als spirituell sind?

Auch ich habe mich als Jugendlicher über Klamotten definiert. Das Selbstwertgefühl, das mir Markenmode gab, hat mir später der Salafismus gegeben. Ich denke, dass mehr Jugendliche auf der Sinnsuche sind, als manche Erwachsene glauben. Sie sehen, dass vieles drunter und drüber geht auf der Welt. Sie finden aber nicht immer jemanden, mit dem sie darüber reden können. Macht sich eine innere Leere breit, verfängt eine ideologische Lehre leichter.

Ihr Werdegang klingt wie ein Klischee: Scheidungskind, Kiffer, Schulschwänzer, Salafist – wie typisch ist diese Reihenfolge?

Typisierungen versuchen zu vereinfachen, was nicht einfach ist. Man kann aber sagen, dass Leute, die einen ähnlichen Werdegang haben wie ich, bei den Salafisten in der Mehrheit sind und Studenten und Akademiker in der Minderheit. Ich war damals ohne Perspektive und total schwach. Deshalb behaupte ich auch: Ein Mensch, der absolut glücklich ist, wird sicherlich kein Extremist. Der kann nicht hassen, der will nicht kämpfen.

Was gab letztlich den Ausschlag, dass Sie zum Salafisten wurden?

Es gab kein besonderes Ereignis, das mich zum Salafisten machte. Das war ein Prozess, ein ständig wachsendes Gefühl: Wenn ich den Islam nicht annehme, komme ich für ewig in die Hölle. Dieser Gedanke hat mich regelrecht geplagt.

Sie haben den Salafisten Sven Lau früh kennengelernt und später für ihn Propagandavideos gedreht. Wie schaffte er es, Sie zu radikalisieren?

Er war es nicht allein, der mich radikalisierte. Es gibt viele Faktoren, die einen Menschen zum Extremisten machen.

Zum Beispiel?

Der Alltag, die Dynamik einer Gruppe, wie es in einem Menschen ausschaut. Ist es in ihm finster, dann ist es auch seine Sicht: In Deutschland gibt es Prostitution, Alkohol und Hass auf Muslime – also ist Deutschland schlecht. Dass Deutschland auch gut ist, weil es Meinungsfreiheit gibt, ein Gesundheitssystem, Hilfe für Arbeitslose, zählt dann nicht.

Warum bewirkte der Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, bei Ihnen nichts?

Der Satz hat bei uns tatsächlich eine große Rolle gespielt. Aber eine noch größere, dass Wulff zurückgetreten ist. Und zwar, so war es gängige Meinung in der Gemeinde, genau wegen dieses Satzes. Ich dachte damals: ,Siehste, es ist so, wie dir von Predigern immer gesagt wurde – der Islam soll eben nicht zu Deutschland gehören.'

Sie haben Prediger wie Pierre Vogel auf Marktplätzen mit ,Allahu akbar'-Rufen bejubelt, wie oft in Bremen?

In Bremen, glaube ich, war ich mit Pierre Vogel kein einziges Mal.

Wie das? Die Stadt gilt als Hochburg der Salafisten.

In Bremen war ich allein und nur während meines Zivildienstes. Bei dem Besuch einer Moschee habe ich zum ersten Mal wirkliche Hardliner kennengelernt. Leute, die mir sagten, dass meine Gelehrten Wischiwaschi reden. Dass ich Coca-Cola nicht trinken darf, weil jede Dose wie eine Patrone der Juden ist. Und dass ich Juden hassen muss.

Wie gefährlich ist die salafistische Szene?

Man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Es gibt Salafisten, die lehnen Gewalt strikt ab. Meiner Meinung nach ist auch die oft gebrauchte Formel falsch: ,Nicht alle Salafisten sind Terroristen, aber alle Terroristen mit religiösem Hintergrund sind Salafisten.' Auch Iraner und Schiiten, die keine Salafisten sind, verüben Anschläge. Genauso wie manche Salafisten Terror verbreiten.

Was oder wer hat Sie schließlich am radikalen Islamismus zweifeln lassen?

Vieles und viele. Es war wie damals, als ich Salafist wurde – ein Prozess. Mit dem Unterschied, dass der Prozess des Ausstiegs viel schwieriger war. Und zwar aus einem einfachen Grund: Ich musste wieder lernen, selber zu denken. Aus Musa, der nur den Buchstaben des Koran lebte, musste sozusagen wieder Dominic werden. Ich bin zwar bei meinem muslimischen Glauben geblieben und trage deshalb beide Namen. Aber am meisten bin ich heute Dominic.

Mit welchen Mitteln hat Ihre Glaubensgemeinschaft versucht, Sie am Ausstieg zu hindern?

Es gab diverse Versuche, mich wieder auf Kurs zu bringen. Aber irgendwann hörten sie auf. So wichtig war ich als Salafist nun auch wieder nicht.

Wie streng ist Ihr Glaube heute?

Ich glaube, dass alle Menschen gleich wertvoll sind. Dass jeder das Recht hat, seine Meinung zu sagen, und niemand jemandem ein Leid zufügen darf.

Und was werden Sie Ihren beiden Kindern sagen, wenn sich ihre Ansichten radikalisieren sollten?

Genau das.

Hätte das damals jemand zu Ihnen gesagt, wären Sie dann früher ins Zweifeln gekommen, Ihr Weg könnte der falsche sein?

Wohl nicht. Meine innere Rebellion wäre dadurch vermutlich nur noch verstärkt worden. Aber bei anderen kann das anders sein. Und darauf setze ich.

Die Fragen stellte Christian Weth.

Info

Zur Person: Dominic Musa Schmitz spricht am Montag, 13. Februar, ab 19 Uhr in der Strandlust, Rohrstraße 11. Für die Lesung mit Diskussion ist eine Anmeldung bei der Konrad-Adenauer-­Stiftung erforderlich. Sie ist unter der ­Nummer (0421) 1630 090 und per E-Mail unter kas-bremen@kas.de zu erreichen.

Zur Person

Dominic Musa Schmitz (29) konvertierte mit 17 zum Islam. In Mönchengladbach, wo er aufwuchs, lernte er Salafisten wie Sven Lau und Pierre Vogel kennen. Nach sechs Jahren stieg er aus. Schmitz schrieb das Buch „Ich war ein Salafist“. Am Montag ist er in Vegesack.
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