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Recht auf Betreuung Wenn Eltern für einen Kitaplatz vor Gericht gehen

Familie Hesse hat ab Sommer keine Betreuung für ihr Kind – die Eltern haben Klage eingereicht. Doch bekommt man durch den Gang vor Gericht einen Kitaplatz? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
28.05.2022, 13:38 Uhr
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Wenn Eltern für einen Kitaplatz vor Gericht gehen
Von Sara Sundermann

Ines Hesse und ihre Familie stehen vor einem Problem: ihr zweieinhalbjähriger Sohn, der bisher in eine Krippe geht, soll ab August in einen Kindergarten wechseln. Doch sie haben keinen Platz bekommen. Drei Wunsch-Kitas können Eltern nennen, drei Absagen bekam Familie Hesse aus Findorff. Dann griffen die Eltern zum Telefon: "Wir haben mindestens acht verschiedene Kitas angerufen", erzählt Ines Hesse. Überall bekamen sie dieselbe Antwort, sagt die 34-Jährige: Alle Plätze seien belegt, und auf die Warteliste könne man das Kind nicht setzen, weil die Eltern diese Kita nicht als Wunsch-Einrichtung angegeben hätten. Auch beim Bildungsressort und bei Mitarbeitern des Bremer Kita-Portals riefen Ines Hesse und ihr Partner an. Jetzt ist ihr Sohn in einem Nachrückerpool – Kitas in der Nähe könnten sich noch bei ihnen melden, falls dort ein Platz frei wird. Aber bisher ist das nicht in Sicht.

Ines Hesse und ihr Partner nahmen sich einen Anwalt und fordern jetzt vor Gericht ihr Recht auf Betreuung ein: "Wir klagen, um der Stadt zu zeigen, dass wir dringend einen Platz brauchen", sagt Ines Hesse. „Wenn wir den Weg vor Gericht nicht gehen, passiert auch nichts.“ Sie sagt: "Es wird einem so schwer gemacht, auch den Kindern."

Die Eltern sind beide berufstätig und auf die Betreuung angewiesen. Der Partner von Ines Hesse arbeitet Vollzeit, sie arbeitet als Laborleiterin derzeit 25 Stunden und wollte ihre Stundenzahl erhöhen, wenn das Kind in den Kindergarten geht. Ohne Kitaplatz müsste ein Elternteil seinen Job kündigen, sagt Ines Hesse: "Vielleicht würde es mit Unterstützung der Großeltern und Arbeit am Wochenende auch funktionieren, dass ich auf 15 Stunden reduziere und wir es irgendwie überbrücken." Ihr Sohn gehe aber auch sehr gern in die Kita: "Er braucht die sozialen Begegnungen", sagt die Biologin. "Man merkt, dass die Kinder da fürs Leben lernen – durch die festen Abläufe wie Morgenkreis und gemeinsames Frühstück, aber auch durch eine Musikstunde und Ausflüge mit der Gruppe."

Wie viele Eltern ziehen vor Gericht?

Bislang sind beim Bremer Verwaltungsgericht zehn Eilanträge von Familien eingegangen, die für August noch keinen Kitaplatz haben. Von den zehn Verfahren seien vier inzwischen abgeschlossen, so eine Gerichtssprecherin. In allen vier Fällen habe die Stadt doch noch einen Kitaplatz angeboten. Die Verfahren wurden dann entweder eingestellt oder die Eilanträge abgelehnt, weil kein Bedarf für Rechtsschutz mehr bestand. Sechs Verfahren laufen noch. In Deutschland gibt es seit 2013 einen Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem ersten Geburtstag.

Wie viele Kitaplätze fehlen in der Stadt?

Nach den aktuellsten Zahlen der Bildungsbehörde von Ende Januar ist absehbar, dass zum Sommer rund 1400 Kitaplätze fehlen könnten. Dabei mangelt es vor allem an Kindergartenplätzen. An der Zahl fehlender Plätze kann sich bis zum Sommer noch etwas ändern. Bis dahin sollen weitere Plätze entstehen. Einzelne Plätze könnten noch frei werden, etwa weil Familien umziehen. Andererseits kann die Nachfrage noch steigen, wenn Eltern ihre Kinder noch nach Januar anmelden.

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Was geschieht, wenn Eltern klagen?

Wenn Hunderte Kitaplätze fehlen, kann dann ein Gerichtsverfahren bewirken, dass die Stadt kurzfristig einen Platz aus dem Ärmel schüttelt? Ja, genau das sei in der Vergangenheit durchaus passiert, sagt der auf Familienrecht spezialisierte Bremer Anwalt Matthias Westerholt. Er hat in den vergangenen Jahren mehr als 100 Familien ohne Kitaplatz vertreten. "In der Vergangenheit hat die Stadt dann immer noch irgendwo einen Platz aufgetrieben, durch Gruppenaufstockung oder weil in einer Einrichtung doch noch Plätze frei wurden", so Westerholt.

Wenn die Stadt weiter keinen Kitaplatz anbietet, müssten die Eltern selbst eine Betreuung für ihr Kind suchen, zum Beispiel über eine privat organisierte Kindergruppe oder eine Tagesmutter. Die Stadt müsse dann die Kosten für diese Betreuung übernehmen, sagt Westerholt. Wenn eine Betreuung nicht zu finden sei und Eltern im Extremfall ihre Arbeitsstelle kündigen müssten, könne die Stadt verpflichtet werden, den Eltern den Verdienstausfall zu erstatten.

Wie reagiert das Bildungsressort auf die Klagen?

Grundsätzlich äußere die Bildungsbehörde sich nicht inhaltlich zu laufenden Verfahren. Das sagt Behördensprecherin Maike Wiedwald auf Nachfrage. Die Sprecherin bestätigt, dass derzeit Eilverfahren wegen fehlender Kitaplätze bei Gericht anhängig sind.

Anwalt Westerholt schildert, dass die Behörde zuletzt anders auf Klagen reagiert habe. Jahrelang habe das Ressort in ähnlichen Fällen den Eltern recht gegeben und kurz bestätigt, dass ein Kitaplatz fehle. Zuletzt habe sich die Behörde nun argumentativ verteidigt: „Die Stadt sagt jetzt, wir haben alles gemacht, was möglich ist, wir haben Kindergruppen in Containern untergebracht, wir haben Fachkräfte gesucht und keine gefunden.“ Interessant sei, wie das Gericht mit der neuen Argumentation der Stadt umgehe: "Noch ist offen, wie das Gericht entscheiden wird."

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