Es riecht nach Fisch. Ziemlich streng sogar. Aber das ist auch kein Wunder, schließlich sind hier im Holz- und Fabrikenhafen in den vergangenen Stunden ein paar Tausend Tonnen Ladung an Fischmehl gelöscht worden. Jetzt ist der Frachter, die „Merwedegracht“, leer. In wenigen Stunden wird das Schiff Bremen verlassen. Zeit für ein Gespräch mit Dimitrij Gorbunow, dem Ersten Offizier an Bord, über das Leben als Seemann in Zeiten von Corona. Der 40-Jährige, der in der Region Kaliningrad lebt, erzählt:
„Ich bin seit fünf Monaten auf dem Schiff. Wir waren im Karibischen Meer, vor Guatemala und der Dominikanischen Republik. Als wir in Kalifornien waren, sind dort in der Zeit die Coronazahlen wieder in die Höhe geschossen. Auch Peru, woher wir gerade herkommen, hat es schlimm erwischt. Ich habe das Schiff in der ganzen Zeit nicht verlassen. Ging ja nicht. Ich kann damit aber gut umgehen. Was sollen denn die Männer sagen, die neun oder zehn Monate an Bord waren? Ein philippinischer Kollege zum Beispiel hatte einen Zehn-Monats-Vertrag unterschrieben und musste dann noch vier weitere Monate bleiben. Der Vertrag war abgelaufen, als wir in Italien waren, aber dort hat man niemanden an Land gelassen.
Langweilig wird mir hier eigentlich nicht. Ich habe immer gut zu tun. Sieben, acht Stunden Schlaf reichen mir, den Rest des Tages arbeite ich. Und dann gibt es ja noch das Internet. Die Reederei hat uns freies WLAN gewährt, als klar war, dass wir auf dem Schiff bleiben müssen. Die Stimmung in der Mannschaft ist in Ordnung, ich habe noch keine wirklichen Klagen gehört. Natürlich wird auch gejammert, aber das tun die Menschen doch immer: Politik, Sport, Wetter – irgendwas findet man immer, um sich zu ärgern. Ich vermisse meine Frau und meine Tochter, sie ist sieben. Wir sehen uns aber jeden Tag übers Internet. Unser Koch macht das auch so. Wenn er das Essen zubereitet, liegt der Bildschirm gleich daneben, und er sieht die ganze Zeit seine Frau. Wenn ich morgens bei ihm reinschaue, sage ich immer: Ich sehe deine Frau ja häufiger als meine eigene.
Ich möchte Weihnachten zu Hause verbringen, von Anfang Januar bis Anfang März habe ich Urlaub, jedenfalls ist das der Plan. Wenn ich wieder in Kaliningrad bin, würde ich mir gern mal wieder ein Fußballspiel angucken. Leider ist unsere Mannschaft nicht so gut, sie spielt nur in der zweiten Liga. Aber das Stadion ist toll, extra für die Weltmeisterschaft gebaut. Leider kommen meist nicht so viele Zuschauer, dass es richtig voll wird. Und jetzt zu Zeiten von Corona natürlich erst recht nicht...“
Sicherer an Bord als auf dem Land
Das UN-Büro für Menschenrechte geht davon aus, dass zurzeit 400.000 Seeleute weltweit auf Schiffen festsitzen. Im Neustädter Hafen liegt die „Diamant“ aus den Niederlanden, die als Nächstes ins schottische Leith fährt. Zur Crew gehört auch Michael Angelo Sison. Der 36-jährige Filipino ist verheiratet und hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Er fährt seit acht Jahren zur See. Er dürfte das Schiff verlassen, Bremen ist da großzügiger als viele andere Hafenstädte auf der Welt, aber er bleibe lieber an Bord, wie er sagt:
„Ich bin schon seit acht Monaten auf diesem Schiff. Es ist zurzeit der sicherste Ort für uns, um uns vor Corona zu schützen. Natürlich ist man hin- und hergerissen, weil man gerne auch einmal etwas anderes sehen will. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich doch Glück: In meiner Heimat wäre es sehr viel gefährlicher für mich. Wenn ich jetzt dort wäre, wüsste ich überhaupt nicht, wann und ob ich einen neuen Vertrag bekäme. Corona trifft die Philippinen hart. Deshalb geht es mir hier gut. An Bord kann man ja auch einiges machen: lesen, Videos schauen oder Quatsch erzählen mit den Kollegen. Natürlich denke ich viel an meine Familie. Ich sage ihr immer wieder, dass sie wegen Corona möglichst viel zu Hause bleiben soll, auch wenn sie mit einem Erlaubnisschein nach draußen dürfte.“