Das Elefantenkind schleicht sich davon und erkundet ohne seine Mutter den Wald. Dort trifft es auf ein hungriges Krokodil. Erzieherin Meike Wedel begleitet die Handlung mit wandelbarer Stimme und vollem Körpereinsatz, fast wie in einem kurzen Theaterstück. Die Kinder kennen die Geschichte und machen mit: Sie stampfen flink und leise mit den Füßen, als sich das Elefantenkind davonstiehlt. Ihre Hände bilden das Krokodilsmaul nach, das den kleinen Elefanten – oh nein! – fressen will. Und sie formen mit dem Arm einen Rüssel und prusten energisch, wenn die Elefantenmutter das Krokodil nass spritzt und so ihr Kind rettet.
Zehn Drei- bis Sechsjährige sind heute da, in der Bärengruppe der Kita an der Höhpost in Huchting. Sie hören ihren Erziehenden Meike Wedel und Stefan Kulling aufmerksam zu und sind motiviert. Um 9.30 Uhr ist die Stimmung aufgeräumt und konzentriert. Allerdings: So klein wie an diesem Tag ist die Runde keineswegs immer. Normalerweise gehören 20 Kinder zur Gruppe, aber wie aktuell in vielen Kitas sind hier in der Huchtinger Kita derzeit mehrere Erzieherinnen und etliche Kinder krank.
Feste Rituale im Morgenkreis
Es gibt jede Menge Morgen-Rituale in der Bärengruppe: Ein fester Begrüßungssatz, mit Gesten untermalt. Ein Kind zählt alle Anwesenden im Stuhlkreis. Ein anderes misst bei allen mit einem Stirnthermometer Fieber – für etwas mehr Sicherheit vor Corona und anderen Infekten. Und die Kinder dürfen anhand eines Wandkalenders zeigen, welcher Tag heute ist.

Erzieherin Meike Wedel lässt sich von den Kindern an einem Wandkalender zeigen, welcher Tag gerade ist.
Besonders viel Raum nehmen Mitmach-Geschichten wie die vom Elefantenkind ein. "Sprache funktioniert über Bewegung, es geht um Rhythmus", sagt Stefan Kulling. "Laute und Klatschen kann jeder mitmachen, auch die Kinder, die noch nicht alles verstehen." Die Familien der Kinder hier in der Kita kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Die allermeisten sprechen zu Hause vor allem die Muttersprache ihrer Eltern, sagt Kulling. Deutsch höre die Mehrheit nur in der Kita und vielleicht von den älteren Geschwistern. Zur Bärengruppe gehören Kinder mit syrischen, russischen, iranischen und kurdischen Wurzeln. "Das ist eine bunte Vielfalt hier", sagt Meike Wedel.
"Letztes Jahr hatten wir auch sechs Kinder, bei denen sie und ihre Eltern noch gar kein Deutsch sprachen", erzählt Stefan Kulling. "Das ist dann schon eine große Herausforderung." Zur allerersten Verständigung gibt es in der Kita eine Box mit Bildkarten, die verschiedene Tätigkeiten zeigen. Anhand der Bilder können Kinder zeigen, ob sie zum Beispiel essen oder spielen möchten, sagt Meike Wedel. Auch ein Tablet mit Übersetzungssoftware kann eingesetzt werden.
Deutsch lernen in wenigen Monaten
Deutsch lernen viele Kinder in der Kita schnell, sagt die Erzieherin: Schon nach drei Monaten oder einem halben Jahr könnten sich viele Kinder in der für sie neuen Sprache verständigen. Manche Kinder würden auch zuerst wochenlang still bleiben und beobachten, schildert Kita-Leiterin Petra Lossau: "Und dann äußern sie sich plötzlich gleich in vollständigen Sätzen."
Das Erzieherteam der Bärengruppe versucht, den ganzen Tag über viele kleine Sprech-Impulse zu geben: "Alltagsintegrierte Sprachförderung" lautet der Fachbegriff dafür. Sie wollen den Kindern möglichst oft die Gelegenheit geben, selbst etwas zu erzählen. "Dass die Kinder ins Erzählen kommen, ist das A und O für uns", sagt Kulling. Zuhören und sich zurückhalten, um den Kindern das Wort zu geben, ist also Teil der Sprachförderung. "Jeder Tag ist ein Sprachlerntag, es gibt immer kleine Mini-Erfolge", sagt Erzieherin Meike Wedel.
Ein Baustein für viel Sprachförderung sei auch die kita-eigene Küche, deren Team viel im Kontakt mit den Kindern sei, sagt Kita-Leiterin Petra Lossau: Durch ein offenes Fenster zwischen Essensbereich und Küche können die Kinder jederzeit beim Küchenteam nachfragen und sich unterhalten.
80 Kinder und 22 Beschäftigte gehören zur Kita an der Höhpost, Küchen- und Reinigungskräfte mitgezählt. Neun Erzieherinnen und Erzieher arbeiten hier, eine Erzieherstelle ist unbesetzt. Einzelne pädagogische Fachkräfte sind so wie Meike Wedel speziell für Sprachförderung geschult, andere wollen noch eine Weiterbildung dazu machen.
In der Stadt Bremen wurde zuletzt fast jedem zweiten Kind ein Sprachförderbedarf bescheinigt. Hier in Huchting liegt die Quote sogar noch deutlich höher, im Prinzip hätten 90 Prozent der Kinder Sprachförderbedarf, sagt Lossau.
Erziehende wünschen sich kleine Gruppen
Für eine gute Sprachförderung haben die Erzieherinnen und Erzieher klare Wünsche: "Kleinere Gruppen, mehr Räume zum Differenzieren, mehr Zeit, um mit den Kindern wirklich in Dialog zu kommen – und die Grundqualifikation für die Arbeit in Kitas sollte wirklich die Erzieherausbildung sein", sagt Meike Wedel.
"Man kann in Kleingruppen die Kinder besser erreichen", sagt Kulling. "Wenn man zwanzig Kinder gleichzeitig hat, leidet die Qualität. Man kann sich nicht auf zwanzig Kinder gleichzeitig konzentrieren." Dabei gehe es nicht nur um Sprachförderung. Wenn das fehle, was in der Kita vermittelt werde, könne die Grundschule die Defizite nicht auffangen, sagt der Erzieher, der selbst zwei Jahre an einer Schule gearbeitet hat. "Ausreden lassen, respektvoll in der Gruppe miteinander umgehen, andere Meinungen akzeptieren", all das werde im Kita-Alltag vermittelt und sei auch später in der Schule zentral.