In Bremen sind derzeit 13 unbegleitete minderjährige Flüchtinge in U-Haft. Für Justiz-Staatsrat Matthias Stauch ist die Festsetzung das falsche Mittel, um frühzeitig auf junge Delinquenten einzuwirken.
Herr Stauch, sind Sie mit der momentanen Situation zufrieden, was die Unterbringung von straffälligen minderjährigen Flüchtlingen betrifft?
Matthias Stauch: Nein, ich bin nicht zufrieden. Momentan sitzen 13 Minderjährige in U-Haft, die dort in dieser Zahl eigentlich nicht hingehören. U-Haft bei Minderjährigen muss laut Gesetz vermieden werden. Sie ist das allerletzte Mittel und darf nur verhängt werden, wenn keine anderen erzieherischen Maßnahmen verhängt werden können.
Eben daran fehlt es bekanntlich.
Ja, wir haben eine offene Stelle im System. Momentan sind die schwer auffälligen minderjährigen Flüchtlinge entweder in Haft oder sich selbst überlassen. Beides ist nicht das richtige Mittel. Wenn Sie mich also fragen, ob eine geschlossene Einrichtung nötig ist, sage ich: Ja. Im Interesse der Jugendlichen und der Bevölkerung muss es eine Einrichtung geben, in der man die Jugendlichen festhalten, aber auch loslassen kann und wo man sie vor allem intensiv betreut. Die Jugendhaftanstalt ist dafür nicht die geeignete Einrichtung. Es handelt sich um ein Gefängnis.
Wie sieht es mit Jugendarrest aus, wie Arnold Knigge von der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege gerade vorgeschlagen hat?
Jugendarrest ist auch kein taugliches Mittel für dieses Phänomen. Zum einen ist Jugendarrest eine Maßnahme, die am Ende eines Strafverfahrens verhängt wird. Arrest steht also nicht am Anfang einer Eskalationskette, sondern an ihrem Ende. Sie dauert in der Regel ein oder zwei, maximal vier Wochen, weil sie dazu da ist, Jugendliche zu beeindrucken und ihnen vor Augen zu führen, wo ihr Weg enden kann. Ich möchte bezweifeln, dass die minderjährigen Flüchtlinge, mit denen wir es hier zu tun haben, sich auf diese Weise beeindrucken lassen. Unser Problem ist nicht die Unterbringung nach einer Verurteilung, unser Anliegen ist, in geeigneten Fällen Haft zu vermeiden. Das ist mit Jugendarrest unmöglich.
Und was ist mit offenem Jugendvollzug? Wäre das nicht das richtige Mittel, um die Flüchtlinge auch nach und nach wieder an die Freiheit zu gewöhnen?
Auch offener Vollzug kann keine geschlossene Einrichtung ersetzen, auch er dient nicht der Haftvermeidung. Für die minderjährigen Flüchtlinge, die derzeit in U-Haft sitzen, kommt offenen Vollzug nicht infrage. Er steht nur Inhaftierten offen, die eine Jugendstraße verbüßen und sich auf die Entlassung vorbereiten. Davon haben wir gegenwärtig nur zwei. Die Frage ist auch, ob Menschen mit den besonderen Problemen der Flüchtlinge für den offenen Vollzug geeignet sind. Sie müssen von sich aus in der Lage sein, besonders strikte Regeln einzuhalten. Wenn wir Geeignete hätten, können wir das jederzeit umsetzen. Es gibt in Bremen Plätze für den offenen Jugendvollzug.
Aber der offene Jugendvollzug ist nicht eigenständig.
Das ist richtig. Wir haben pro Jahr drei bis fünf Jugendliche im offenen Vollzug, dafür brauchen wir keine eigene Anstalt.
Momentan sieht es so aus, als ob sich alle mit der derzeitigen Situation abfinden. Und im Jugendvollzug scheint es auch Erfolge zu geben, zumindest Annäherungen an die Flüchtlinge.
Ich habe mir persönlich ein Bild von der Lage gemacht. Es ist unglaublich, was das Personal dort leistet. Wir haben fünf neue Stellen geschaffen, von denen wir zwei bislang nicht besetzen konnten. Ich gehe davon aus, drei weitere Justiz-Vollzugsbeamte einzustellen, wenn wir welche finden. Aber dennoch ist das auf Dauer – vor allem die U-Haft – ein extrem belasteter Zustand. Der Jugendvollzug kann nicht leisten, was eigentlich in einer anderen Einrichtung geleistet werden müsste.
Abgesehen von Vorbehalten bei Grünen und SPD ist es offenbar nicht so einfach, ein geschlossenes Heim einzurichten.
Es mag nicht einfach sein, aber es ist nicht unmöglich. Wir als Justizressort sehen uns in der Verantwortung, bei einer Lösung zu helfen: Den Pavillon am Fuchsberg, den wir zunächst für dieses Jahr zur Nutzung angeboten haben, bieten wir jetzt als Provisorium für vier Jahre an, um ihn entsprechend einzurichten und einen Träger dafür zu finden.
Und? Ist das die Lösung?
Das kann jedenfalls eine kurzfristig umsetzbare Zwischenlösung sein. Das Sozialressort prüft unser Angebot. Es gibt Verhandlungen mit einem Träger aus Hamburg. Ich kann nur hoffen, dass jetzt Bewegung in die Sache kommt.
Der Umbau kostet auch etwas.
Ja, das ist richtig. Das Sozialressort wird gut eine Million Euro investieren müssen. Deshalb ist man zunächst auch davor zurückgeschreckt, weil das Provisorium nur für einige Monate geplant war. Aber wenn wir jetzt von vier Jahren reden, ist das doch etwas anderes.
Der Pavillon eignet sich nicht dauerhaft?
Dazu sind die Verhältnisse zu beengt, die Außenflächen zu begrenzt. Aber vier Jahre sollten ausreichen, um eine andere Lösung zu schaffen, vielleicht gemeinsam mit Hamburg. Dazu laufen bekanntlich seit einiger Zeit Gespräche.
Würde eine solche Einrichtung nur für minderjährige Flüchtlinge geschaffen?
Nein. Das Gesetz unterscheidet in diesem Punkt zu Recht nicht. Es gibt auch andere Jugendliche, die dort gut aufgehoben wären. Aber natürlich hat sich die Lage in Bremen durch die jungen Flüchtlinge verschärft. Bei denen, die für die geschlossene Einrichtung infrage kämen, handelt es sich ja auch nicht nur um die, die derzeit in U-Haft sitzen, sondern auch um die, die sich bereits etwas haben zuschulden kommen lassen und bei denen man U-Haft zu vermeiden sucht. Die Jugendrichter sind momentan in einer sehr schwierigen Lage. Weil sie keine Möglichkeit haben, sie in eine geschlossene Einrichtung zu schicken, haben sie momentan nur die Wahl zwischen Laufenlassen und U-Haft.
Was macht den Entscheidungsprozess in Bremen eigentlich so zäh? Der Koalitionsvertrag ist doch eindeutig.
Niemand spricht sich gerne für eine solche Einrichtung aus. Deshalb wird in Bremen meiner Meinung nach eine Vermeidungsdiskussion geführt – niemand möchte die Verantwortung übernehmen. Das mag auch daran liegen, dass in der Vergangenheit geschlossene Heime anderer Bundesländer in die Negativschlagzeilen geraten sind. Aber es gibt auch welche, die sehr gut arbeiten und funktionieren. Es ist nicht seriös zu behaupten, dass alle geschlossenen Einrichtungen nicht funktionieren.
Und Sie haben kein Problem damit, als einer von denjenigen dazustehen, der traumatisierte Kinder in eine Anstalt sperren will?
Diese Kinder sind am schlechtesten auf der Straße aufgehoben, wo sie sich mit Drogen versorgen und sich und andere verletzen. Ich habe ein größeres Problem damit, wenn wir alles so lassen, wie es ist. Das halte ich auch im Interesse dieser Jugendlichen für nicht verantwortlich.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.
Zur Person: Matthias Stauch (64) ist seit 2008 Staatsrat für Justiz. Zuvor war er Präsident des Oberverwaltungsgerichts und Vizepräsident des Staatsgerichtshof Bremen.
Weder Jugendarrest noch offener Jugendvollzug sind laut Justiz-Staatsrat Matthias Stauch richtige Mittel, um frühzeitig auf minderjährigen Flüchtlinge einzuwirken.