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Bremer Überseestadt Altes Kühlhaus soll Kern eines riesigen Energieprojekts werden

Das alte Kühlhaus in der Bremer Überseestadt war lange Jahre dem Verfall preisgegeben. Nun wird es neu entdeckt - als Kern eines riesigen Energieprojekts. Was steckt genau dahinter?
08.03.2023, 05:00 Uhr
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Altes Kühlhaus soll Kern eines riesigen Energieprojekts werden
Von Jürgen Hinrichs

Kann das weg? Ja, das kann weg, war vor Jahren die Antwort der Bremer Wirtschaftsförderer. Das muss sogar weg, sagten sie, um Platz für Neues und Schönes zu schaffen. Doch nun könnte es anders kommen. Ein Sinneswandel. Das alte Kühlhaus am Strandpark „Waller Sand“ in der Überseestadt soll stehen bleiben. Dieser Trumm aus Beton, grau, nackt und mit viel Gift im Körper, hat gegen jede Erwartung eine Zukunft vor sich. Und sie ist rosig, sollten die Pläne wahr werden.

Die ehemalige Gefriertruhe im XXL-Format könnte zu einer ultramodernen Energiezentrale weiterentwickelt werden. Zu einem Beispiel, wie das gehen kann: Wirtschaften, ohne das Klima zu belasten. Eine Idee noch, aber sie ist bereits weit gediehen, wie sich bei der Vorstellung am Dienstag bei der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) zeigt.

„Wir wollen einen experimentellen, auch emotionalen Ort schaffen“, sagt Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Im nördlichen Teil der sogenannten „Hafenkante“, der noch nicht entwickelt ist, könne sich ein einzigartiges System für die Erzeugung, Speicherung und Abgabe von Energie entwickeln. Gewinner wären die Unternehmen, die bereits da sind, zum Beispiel rund um den Holz- und Fabrikenhafen, und solche Firmen, die sich auf der zurzeit noch unbebauten 16 Hektar großen Fläche ansiedeln wollen. Das Stichwort heißt Abwärme, sie soll zusammen mit erneuerbaren Energien die Versorgung mit Erdgas weitgehend ersetzen – das Kühlhaus als Wärmespeicher und Energielieferant für die nähere Umgebung.

Vogt spricht von einem Modellprojekt mit überregionaler Strahlkraft: „So etwas gibt es bundesweit bisher kaum.“ Sie erhofft sich Fördermittel des Landes, des Bundes und der Europäischen Union. Die Kosten werden nach Schätzung der Wirtschaftsbehörde bei einem unteren dreistelligen Millionenbetrag liegen. Den Bremer Anteil will die Senatorin aus dem 2,5 Milliarden Euro schweren Klimaschutzfonds nehmen. „Der frühestmögliche Fertigstellungstermin ist Ende 2027, allerdings könnte das Vorhaben aufgrund seiner hohen Komplexität auch mehr Zeit in Anspruch nehmen“, teilt die Behörde mit.

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Die Schwierigkeiten beginnen bei der Sanierung des Kühlhauses. Betreten verboten, lautet die strikte Anweisung. Wenn überhaupt, dürfen Menschen dort nur mit Schutzanzügen hinein. Was es kostet, das Gebäude von Asbest und PAK-haltigen Korkdämmungen zu befreien, steht noch in den Sternen. Es gibt zwar eine Schadstoffanalyse, aber die ist zehn Jahre alt. Die Entsorgungskosten sind seitdem deutlich gestiegen. Fällig wird nach Schätzung der Fachleute mindestens ein einstelliger Millionenbetrag, es könnte aber mehr werden, heißt es bei der Präsentation der Pläne.

„Das ist nichts, woran wir vorbeikommen“, betont WFB-Chef Andreas Heyer. Die Sanierung sei so oder so notwendig, auch bei einem Abriss des Kühlhauses. „Mit unserer Idee machen wir das Problem zu einer Chance“, so Heyer. Das Gebäude könne zu einem Wahrzeichen werden: als weithin sichtbare Energieleitzentrale, gespeist von erneuerbarer Energie und der bislang ungenutzten Abwärme zum Beispiel des Großmarkts, der Roland-Mühle oder von Rechenzentren. Als ein Ort auch der öffentlichen Nutzung. Und als Anlaufstelle für die Vermittlung von Wissen rund um das Thema Energie. Der WFB-Chef strebt eine privatwirtschaftliche Beteiligung an und setzt nach eigenen Worten insbesondere auf den Energieversorger swb.

Für Vogt und Heyer handelt es sich ausdrücklich um ein Projekt, das nicht nur deswegen forciert wird, weil es politisch gewollt ist und mit den bremischen Klimazielen übereinstimmt. „Die Unternehmen werden Wettbewerbsvorteile haben“, sagt Heyer. Die energetische Eigenversorgung sei heute ein enorm wichtiger Standortfaktor. „Wir brauchen zukunftsweisende Wirtschaftsstandorte, und dies könnte einer davon sein“, ergänzt die Wirtschaftssenatorin.

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Zur Sache

Das Kühlhaus ist gleich nach dem Krieg entstanden, in den Jahren zwischen 1946 und 1949. Es sollte eigentlich viermal so groß werden, weil Bremen in Sorge war, die Bevölkerung nicht ausreichend mit Fleisch versorgen zu können. Man setzte damals auf Lieferungen aus den USA, jede Menge Schweine und Rinder, die tief gefroren über den Atlantik kamen. Doch als sich die Ernährungslage relativ schnell entspannte, wurden die Arbeiten am Kühlhaus eingestellt. Nur ein Rudiment, das in Betrieb ging. Genutzt wurde es rund 40 Jahre lang von der Bremerhavener Kühlhäuser GmbH, einem Unternehmen, das später komplett in der Bremer Lagerhausgesellschaft aufging.

Heute ist das Gebäude im Besitz der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), die seit mehr als 20 Jahren die Aufgabe hat, im Namen der Stadt Grundstücke und Immobilien in der Überseestadt zu vermarkten. Das Kühlhaus war lange Zeit dem Verfall preisgegeben, es sollte abgerissen werden, das stand fest. Die Mittel dafür waren im Haushalt bereits eingeplant. Doch nichts passierte. Keine Dringlichkeit auf der sogenannten "Kühlhausnase" im hinteren Teil der Überseestadt. Die Entwicklung ging auf dem rund 300 Hektar großen Hafenareal woanders voran - in Siebenmeilenstiefeln und deutlich schneller, als Bremen das erwartet hatte. Viel freie Fläche ist nicht mehr übrig, die verkauft werden kann. Im Wesentlichen nur noch dort, wo am Rand das Kühlhaus steht - vom Strandpark "Waller Sand" bis hinauf zum Überseepark mit der Skateranlage. Zusammen sind das etwa 16 Hektar, auf denen neben dem Kühlhaus auch Schuppen stehen, das meiste ist aber eine Brache.

Es gab wohl noch einen Grund, mit dem Abriss zu zögern: das Problem mit den Schadstoffen. Im Kühlhaus steckt jede Menge Asbest, aber das ist nur das eine. Fast noch gefährlicher sind die Korkdämmungen im gesamten Wand- und Bodenbereich der eigentlichen Kühlräume, die mit hochgiftigen Kohlenwasserstoffen belastet sind. Arbeiter haben vor Jahren zur Probe an wenigen Stellen den Putz aufgeschlagen, zutage kam eine übelriechende, kohlrabenschwarze Masse, die wie Teer aussah.

Die Sanierung wird sehr aufwendig sein und nicht bis zum Letzten kalkulierbar. Finger weg, lautete deshalb offenbar lange die Devise. Die WFB lässt aus Vorsicht jedenfalls niemanden mehr hinein. Früher war das anders, als die Polizei im verlassenen Kühlhaus besondere Einsätze übte oder Journalisten auf Anfrage durch das Gebäude geführt wurden. Es gab auch ungebetenen Besuch - Diebe, die alles mitnahmen, was nicht niet- und nagelfest war. Heute sind nur noch Tauben zu Gast. Wenn die Pläne für den Umbau zur Energiezentrale wahr werden, müssen sie sich andere Nistplätze suchen.

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