„Seien Sie milde mit dem Mann, der alles verloren hat – auch seine Gesundheit.“ Mit dieser Bitte schloss Niels-Stolberg-Anwalt Bernd Buchholz seinen Redebeitrag. Zuvor hatte Buchholz, der sein Mandat niederlegt, weil er Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein wird, den Verhandlungstag im Beluga-Prozess vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer 2 des Bremer Landgerichts am Mittwoch dafür genutzt, um noch einmal die Motivation seines Mandanten darzustellen.
Inhaltlich war das eine Fortsetzung vom vorherigen Verhandlungstag, als die Staatsanwaltschaft im Betrugsprozess gegen den Bremer Ex-Reeder eine Einschätzung über den Strafrahmen abgab. Fünf Jahre fordert die Staatsanwaltschaft für den Hauptangeklagten Stolberg, der sich für insgesamt 35 Vorwürfe verantworten muss. Er soll unter anderem Eigenkapital vorgetäuscht haben, um Banken für Kredite zu gewinnen.
Schwere Erkrankung
Eine Strafe für Stolberg sei unumgänglich, räumte Buchholz ein. Aber bei der Festlegung der Höhe des Strafmaßes sollte berücksichtigt werden, dass der Angeklagte auch ein Recht darauf habe, „den Rest seines Lebens in Würde verbringen zu können“. Der 56-jährige Stolberg ist schwer an Krebs erkrankt. Die Darstellung der Staatsanwaltschaft, dass Stolberg der kriminelle Kopf eines Unternehmens gewesen sei, das massiv nach systemrelevanten strafrechtlichen Verhaltensweisen handelte, habe nichts mit der Realität zu tun.
Ja, Stolberg sei der Chef gewesen und er werde auch die volle Verantwortung übernehmen, so Anwalt Buchholz. Doch wer glaube, dass Stolberg auch gleichzeitig der „finanzielle Jongleur“ in seinem Unternehmen gewesen sei, könne das nur tun, wenn er selber noch nie ein Unternehmen geführt habe. Für solche Aufgaben engagiere man Experten. Stolberg war Reeder und vorher Kapitän. Genau wie sich die Staatsanwaltschaft eine Expertise von Fachleuten zu den finanziellen Transaktionen bei der Schwergutreederei Beluga eingeholt habe, habe sich auch Stolberg auf Experten verlassen. Zudem habe sich der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt persönlich bereichert, sondern auch sein Privatvermögen in die Reederei gesteckt.
Insolvenz in 2011
Beluga war im Zusammenhang mit der internationalen Schifffahrtskrise enorm in Schieflage geraten und suchte nach einem Investor. Der US-amerikanische Hedgefonds Oaktree stieg mit 165 Millionen Euro in das Unternehmen ein, kam aber nach und nach dahinter, dass Bilanzen unter anderem durch falsche Darstellung des Eigenkapitals manipuliert waren. Außerdem tauchten immer mehr fingierte Umsätze auf. So seien laut Staatsanwaltschaft allein für das Jahr 2009 fingierte Aufträge im Gesamtwert von 300 Millionen Euro in den Büchern von Beluga enthalten gewesen. Stolberg musste die Reederei im März 2011 verlassen und wurde von Oaktree angezeigt. Noch im selben Jahr meldete das Unternehmen Insolvenz an. Zuletzt hatte Beluga eine Flotte von 72 Schiffen und war damit die weltweit größte Schwergutreederei. Nach jahrelangen Ermittlungen wurde im Januar vergangenen Jahres das Verfahren eröffnet. Auch Privatanleger sind nach Auffassung der Staatsanwaltschaft betrogen worden.
Die Staatsanwaltschaft äußerte sich am Mittwoch nicht noch einmal. Die Anwälte der drei anderen Angeklagten aus dem Management der ehemaligen Beluga-Reederei gaben ebenfalls Stellungnahmen ab. Sie gehen davon aus, dass ihre Mandaten zu Bewährungsstrafen verurteilt werden. Alle drei Angeklagten hätten umfangreiche Geständnisse abgelegt, seien alle nicht vorbestraft und hätten intensiv mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet. Diese Gesamteinschätzung entspricht auch in weiten Teilen die der Staatsanwaltschaft, die sie Ende Mai beim vorherigen Verhandlungstag abgegeben hatte.
Abkürzung des Verfahrens
In dem seit etwa eineinhalb Jahren laufenden Wirtschaftsstrafprozess um die Pleite der Schwergutreederei Beluga will das Landgericht am 20. Juli dann die Ergebnisse einer Zwischenberatung vorlegen (Beginn 9.30 Uhr). Das teilte die Vorsitzende Richterin Monika Schaefer mit. Möglicherweise wird die Kammer dann ihre Vorstellungen über den Strafrahmen für die vier Angeklagten, darunter Ex-Beluga-Chef Niels Stolberg, darlegen. Damit würde das langwierige Verfahren vermutlich abgekürzt.
Insofern war es nicht überraschend, dass die Stellungnahmen der Anwälte größtenteils schon mehr den Charakter von Schluss-Plädoyers hatten. Einer der Anwälte von einem der drei ehemaligen Manager betonte auch extra, dass sein Redebeitrag durchaus als ein solches zu verstehen sein soll: Denn wenn das Ergebnis der Zwischenberatung vorliege, „ist die Messe gelesen“. Er betonte nochmals, dass sein Mandant auf Weisung gehandelt habe. Und die Daten, die er Oaktree als Leiter der Finanzabteilung zur Verfügung gestellt habe, von Dritten gekommen seien. Genau das habe Stolberg auch schon mehrfach vor Gericht bestätigt und betont, dafür insgesamt die Verantwortung zu übernehmen. Aus Sicht des Anwalts eine sehr honorige Einstellung, auch wenn es einfach nur den Tatsachen entspreche. Er habe in solchen Fällen aber schon häufig das Gegenteil erlebt. Dass sein Mandant – obwohl er wusste, dass er manipulierte Daten weitergebe – nicht einfach das Unternehmen verlassen habe, sei dem Umstand geschuldet gewesen, dass er keinen anderen Job habe finden können und seine Frau schwanger war.
Der nächste Verhandlungstag im Beluga-Prozess findet am 29. Juni um 14.30 Uhr vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer 2 des Bremer Landgerichts statt. Auf der Anklagebank sitzt dann nur Stolberg.