Die Forschungsansätze der Wirtschaftswissenschaftlerinnen sind ganz unterschiedlich. Und doch eint Julia Grimm und Rebecca Ruehle viel. Die beiden haben beim selben Doktorvater in Halle promoviert. Seit diesem Freitag gibt es eine weitere Gemeinsamkeit, die mit Bremen zu tun hat. Grimm (33) und Ruehle (32) sind für ihre Arbeiten mit dem Wolfgang-Ritter-Preis ausgezeichnet worden.
Im Hotel Atlantic fand die Verleihung statt. "Die Tatsache, dass wir den Preis jetzt zusammen bekommen, ist einfach unglaublich schön, weil wir uns in den letzten Jahren sehr stark unterstützt haben", sagt Ruehle im Gespräch vor Ort. Die Promotion sei schon "eine schwere Reise", sagt Grimm, da brauche man Verbündete.
Und verbündet sind die beiden noch in anderer Hinsicht. Die Frauen haben den Willen, Wirtschaft und Wissenschaft durch ihre Arbeiten zu verändern. Selbst wenn schon Fortschritte da seien: Unternehmen müssten im Sinne der Nachhaltigkeit und Ethik mehr Verantwortung übernehmen. Und die Hochschulen seien ebenfalls gefordert, ihren Beitrag dazu zu leisten. Schließlich säßen in den Hörsälen künftige Entscheidungsträger. "Die Unis haben was getan, aber ich bin überzeugt, sie sind noch nicht da, wo sie sein sollten", sagt Ruehle.
Während ihres eigenen Studiums der Betriebswirtschaftslehre hat es Ruehle geärgert, dass im Bachelor kaum eine Auseinandersetzung mit Ethik stattgefunden habe. Darum wuchs in ihr auch der Wunsch, selbst in die Lehre einzusteigen. Anlass für Diskussionen hätte es damals gegeben. "Ich war in dem Moment im Bachelor, als die Wirtschafts- und Finanzkrise so richtig eingeschlagen hat. Wir hatten natürlich viele Fragen." Die Professoren fanden darauf aber, so erinnert sich die Wissenschaftlerin, kaum Antworten. "Die Dozierenden haben eigentlich immer noch die gleichen Dinge erzählt wie vorher."
Julia Grimm wurde auch schon im Bachelorstudium klar, dass sie sich mit ethischen Fragestellungen beschäftigen möchte. Damals hinterließ die Dokumentation "The Dark Side of Chocolate", die das Ausmaß von Kinderarbeit und Ausbeutung in der Industrie zeigte, bei ihr viele Fragen. Ethik im Studium sollte aus Sicht von Grimm und Ruehle nicht ein Zusatz sein, sondern in jede Beschäftigung mit Wirtschaft einfließen – ob beim Thema Marketing oder Lieferkettenmanagement.
Wandel in der Textilbranche
Die Überzeugung der beiden spiegelt sich in ihren jeweiligen Doktorarbeiten. Der Anfang ihrer Promotion fiel für Julia Grimm in die Zeit nach Rana Plaza. Damals starben beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mehr als 1100 Menschen. Vielen sei spätestens angesichts dieser Katastrophe klar geworden, dass etwas getan werden müsse, weil die Kontrollinstanzen versagt hatten. Das Deutsche Bündnis für Nachhaltige Textilien entstand. Und das schaute sich Julia Grimm in ihrer Doktorarbeit genauer an.

Helge Bernd von Ahsen ist der Vorstandsvorsitzende der Wolfgang-Ritter-Stiftung.
Welche Erkenntnis sie aus der Arbeit zieht? "Soziale und ökologische Probleme können nicht simplifiziert betrachtet werden, weil sie hoch komplex sind", sagt Grimm. Und das gelte ebenso für die Lieferketten. "Es ist nicht so, dass Unternehmen nicht wollen, aber sie sind in bestimmten Strukturen gefangen." Freiwillige Zusammenschlüsse mehrerer Akteure, wie beim Textilbündnis, sieht Grimm darum als Chance. Denn solche Partnerschaften könnten Probleme, für die es noch kein Gesetz gebe, kurz- und mittelfristig angehen. Bis heute beschäftigt Grimm sich mit Zusammenschlüssen – etwa auch in der Automobilindustrie.
Wandel durch Nudging
Rebecca Ruehle forschte derweil in ihrer Promotion zu einem ganz anderen Instrument. Im Master besuchte Ruehle auch Vorlesungen in der Psychologie. Daraus zog sie die Erkenntnis: Menschen entscheiden nicht absolut rational, wie die Vorstellung vom Homo oeconomicus suggeriert, sondern werden unter anderem auch von der Umgebung gelenkt. Das wiederum ist für das sogenannte Nudging wichtig, mit dem sich die 32-Jährige schließlich beschäftigte.
Was sich hinter diesem Begriff verbirgt? Nudging sorgt dafür, dass sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Menschen sich auf bestimmte Weise verhalten. Ruehle fällt beim Gespräch im Bremer Hotel das Frühstücksbuffet am Morgen wieder ein. Kleinere Teller sorgten dafür, dass Menschen sich nicht zu viel auftäten – ein sinnvoller Effekt und ein Beispiel für Nudging.
Ruehle schaute sich in ihrer Arbeit an, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter und Kunden in eine bestimmte Richtung "anstupsen" können. Ihre Frage: Wie können wir herausfinden, wann ein Nudge in Ordnung ist und wann nicht? Wo liegt die feine Linie dazwischen? Wann muss gar vor Manipulation gesprochen werden? Problematisch sei Nudging etwa, wenn Unternehmen Mitarbeiter auf diesem Weg ausnutzten – zum Beispiel bewusst zur Mehrarbeit anspornten. Kritisch zu betrachten sei Nudging auch in der Onlinewerbung, wenn persönliche Daten für die Lenkung genutzt würden.
Wirken über die Wissenschaft hinaus
Wie es für die Preisträgerinnen weitergeht? Eine Karriere in der Wissenschaft können die beiden sich vorstellen, doch zugleich wollen sie noch anders Einfluss nehmen. Seit Kurzem ist Grimm Assistenzprofessorin an der Jönköping University in Schweden. Die Forscherin denkt nach, daneben auch beratend tätig zu sein, um in die Praxis zu wirken. "Ich merke immer wieder, dass ich als Nachhaltigkeitsforscherin damit kämpfe, dass ich Angst habe, dass nicht genug passiert", sagt sie. "Wir haben nicht mehr viel Zeit, um das Lenkrad noch umzudrehen." Ihr gehe es ähnlich, sagt Ruehle, die als Assistenzprofessorin an der Vrije Universiteit Amsterdam arbeitet. Die Wissenschaft mache ihr Spaß. Ab und zu denke sie an die Politik. Sie kann sich vorstellen, dort ebenfalls unterstützend tätig zu sein.