Zum Mangel an Fach- und Arbeitskräften scheint der Trend so gar nicht zu passen. Und dennoch hat die Arbeitnehmerkammer Bremen zuletzt eine Entwicklung beobachten können: Im vergangenen Jahr hat es hier deutlich mehr Beratungen zu arbeitgeberseitigen Kündigungen gegeben. Die Zahl sei um fast 15 Prozent auf genau 4383 Beratungen geklettert. Welche Branche dabei ein Treiber ist? Dazu lasse sich noch keine Aussage tätigen. Fest steht aber: "Kündigungen nehmen wieder zu." So konstatiert es der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Peer Rosenthal. "Wir werten dies durchaus als Zeichen, dass die schwache konjunkturelle Entwicklung inzwischen auch auf dem Arbeitsmarkt durchschlägt", sagt er. Aufgefallen sei auch, dass sich hier wieder mehr Beschäftigte Hilfe suchten, deren Arbeitgeber in die Insolvenz geraten sei. Auf die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof in Bremen schaut die Arbeitnehmerkammer derzeit besonders. Der Kaufhauskonzern musste erneut Insolvenz anmelden.
Rosenthal erwartet offenbar keine schnelle Verbesserung. Der Negativtrend bei den Kündigungen könne sich in diesem Jahr womöglich noch fortsetzen, angesichts der getrübten Aussichten für die Wirtschaft. Impulse für Investitionen seien seitens der Politik jetzt notwendig. In die Krise dürfe nicht weiter "hineingespart" werden. Die Kammer plädiert für eine Reform der Schuldenbremse, um das Geld für die Ausgaben in die Hand nehmen zu können. "Aus unserer Sicht ist sie aktuell eher eine Investitions- und Wachstumsbremse und gefährdet Arbeitsplätze", sagt Rosenthal.
Die Entwicklung bereitet der Arbeitnehmerkammer Sorgen. Nach Rekorden bei der Beschäftigung im vergangenen Jahr werde mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gerechnet – auch in Bremen. Das zeige die regionale Arbeitsmarktprognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das Land. Diese gehe von einem leichten Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus.
Am Arbeitsplatz selbst stehen derweil den Experten der Arbeitnehmerkammer zufolge einige Menschen unter Druck. Von "anhaltend hohen psychischen und körperlichen Belastungen vieler Beschäftigter" ist in ihrem am Freitag veröffentlichten Bericht die Rede. Das Problem sei gerade in der Gastronomie, in der Logistik und bei Reinigungskräften zu beobachten. Viele Ratsuchende seien verzweifelt und berichteten von schlechten Arbeitsbedingungen. Viele Beschäftigte, die in die Beratung kämen, seien am Limit.
"Oft kommen gleich mehrere Faktoren zusammen: wenig Geld, hoher Arbeitsdruck, fehlende Kinderbetreuung oder Mobbingerfahrungen", sagt der Rechtsberater Stephan Giese. Die Beschäftigten berichteten, dass "immer mehr, immer schneller" geschafft werden solle. Zugleich gebe es obendrauf noch den Personalmangel. Selbst Mitarbeiter im öffentlichen Dienst klagten über eine hohe Belastung, weil es nicht genug Kolleginnen und Kollegen für die Aufgaben gebe.

Peer Rosenthal ist seit dem Sommer 2022 Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen. Aus seiner Sicht müssen jetzt Impulse für Investitionen in der Wirtschaft gesetzt werden.
Insgesamt kommt die Anlaufstelle für Beschäftigte auf rund 86.400 Beratungen an ihren drei Standorten in Vegesack, Bremerhaven und im Bremer Zentrum. Ums Gehalt – etwa verspätete Lohnzahlungen oder auch nicht bezahlte Überstunden – geht es in den Gesprächen am meisten. "Insbesondere in Betrieben ohne geltende Tarifverträge und ohne Betriebsräte gibt es vielfach Unsicherheit und somit oft Streit um die Vergütung", sagt Rechtsberater Giese. Häufig treffe das ohnehin prekär Beschäftigte mit schwierigen Arbeitsbedingungen beispielsweise in der Leiharbeit, Gastronomie und Hotellerie.
1000 Beratungen hat sich die Arbeitnehmerkammer mit dem Fokus Arbeitszeit zudem genauer angeschaut. Dabei zeigt sich, dass viele Unternehmen die Arbeitszeit nicht korrekt erfassen. Die Arbeitnehmerkammer sieht die Pflicht zur Erfassung für Arbeitgeber durchaus als Schutz für die Beschäftigten. Auf diesem Weg könnten Überstunden besser dokumentiert werden und Pausen und Ruhezeiten leichter eingehalten.