Die Kreuzung Hansator ist belebt. Im Takt der Ampel rauscht der Verkehr an der Hans-Böckler-Straße 60 vorbei. Werbeplakate, Tankstelle, Straßenbahn – in diesem Umfeld ist viel los. Und doch gibt es genau hier einen Ruhepol. Im blauen Gebäude auf der Ecke führen Barbara Niklaus und Melanie Ohr ihr Therapiezentrum Überseestadt. Menschen mit verschiedensten Problemen finden in ihrer Praxis Hilfe – ob bei Depressionen, Demenz, Schizophrenie oder Burn-out. Spezialisiert ist das Team auf schwersttraumatisierte Frauen. Seit 2015 gibt es das Therapiezentrum.
Für ihr Unternehmen haben die Ergotherapeutinnen am Donnerstag den diesjährigen Gründerinnenpreis von Belladonna bekommen. Niklaus und Ohr sehen das auch als Chance: Vielen sei nicht bekannt, dass mit Ergotherapie bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern geholfen werden könne. Selbst Ärzten und Psychotherapeuten sei das nicht immer bewusst. Der Preis könne daran vielleicht etwas ändern.
Angefangen haben die beiden zu zweit. Heute gehören zum Team dreizehn Mitarbeiterinnen. "Plus zwei angestellte Therapiebegleithunde", sagt Ohr. Im Westend gibt es einen zweiten Standort. Behandelt werden im Therapiezentrum alle Altersgruppen, ob Kinder, Erwachsene oder Senioren. Vor allem sind es aber Frauen, die hier Unterstützung bekommen.
Boxeinheit zur Selbstwahrnehmung
Die Hektik von draußen ist drinnen nicht zu spüren. Angeboten wird hier unter anderem therapeutisches Boxen. Im Trainingsraum baumeln von der Decke gleich mehrere Gelegenheiten, um Dampf abzulassen. An der Wand laden Kissen zum Hineinschlagen ein. Alle im Team sind für diese Therapie ausgebildet. "Boxen tun wir alle", sagt Ohr. Die Ergotherapeutin setzt neben den Fäusten bei dieser Arbeit auf die Stimme. "Plötzlich merken die Frauen: Ich habe ja eine Stimme. Ich habe einen Körper und kann was damit machen. So bekommen sie ein anderes Bild von sich."
Niklaus und Ohr haben zuvor im Klinikverbund im Landkreis Diepholz gearbeitet. Zunehmend störte sie dort aber der Kostendruck. "Es kamen immer wieder diese unsäglichen Einsparungsmaßnahmen, denen Kliniken unterworfen sind. Das war für mich schwer zu ertragen", sagt Ohr. Die Selbstständigkeit sei der richtige Schritt gewesen.
Belladonna will mit dem mit 5000 Euro dotierten Gründerinnenpreis die Arbeit von Frauen sichtbar machen. "So viele Frauen leisten Beeindruckendes, das zu wenig an die Öffentlichkeit gelangt", sagt Geschäftsführerin Maren Bock. In diesem Jahr suchte die Jury unter den Finalistinnen der vergangenen Jahre, also den Zweit- und Drittplatzierten, eine Gewinnerin aus. Das Therapiezentrum. sagt Bock, habe die Jury zum Beispiel wegen des breiten Angebotsspektrums überzeugt. Zur Verleihung im Atlantic Grand Hotel kam auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke).
Die beiden Frauen wollten mit ihrer Gründung auch eine Lücke schließen. Für viele Patientinnen sei die Zeit nach einem Klinikaufenthalt schwierig, sagt Niklaus. Auf einmal müssten sie sich wieder selbst versorgen: "Sie kommen nach Hause und fallen in ein Loch." Für die ambulanten Hilfen und Psychotherapie gebe es lange Wartezeiten. Niklaus und Ohr bauten also ihr Therapiezentrum auf, um ein weiteres Angebot zu schaffen. "Wir haben gesehen, dass es das hier in Bremen einfach nicht gibt." Innerhalb von zwei Wochen sollen die Hilfesuchenden hier einen Termin bekommen – schneller als anderswo. Doch auch in der Ergotherapie fehlen die Fachkräfte. So gibt es aktuell auch im Therapiezentrum eine Warteliste. Die Gründerinnen planen aber, dass das Team weiter wachsen soll.
Generell geht es darum, den Frauen zu helfen, ihr Leben zu meisten: Wie schaffe ich meinen Alltag? Wo brauche ich Unterstützung? Unter Corona haben die Patientinnen dabei besonders gelitten. "Ich kann sagen, dass der Zustand aller meiner Patientinnen sich verschlechtert hat", sagt Niklaus. Netze, die sich die Frauen aufgebaut hätten, seien in sich zusammengefallen. Das Team leiste hier für die Betroffenen wichtige Beziehungsarbeit und – das sei besonders – über lange Zeit.