Ein Freitagabend im Tabakquartier. Die Luft ist lau, fast zu warm für diese Jahreszeit. Auf der Treppe zum Zentrum für Kunst sitzen junge Leute. Sie sind mit dem Fahrrad gekommen und besprechen, wie es nach dem Konzert weitergehen könnte. Drinnen dröhnt Jazz, die laute, elektronische Variante, von der man sich durchaus mal eine Pause gönnen darf – zumal es draußen so schön ist, und eine rauchen geht sowieso nur dort.
Doch halt mal, interessant. Wo sind wir eigentlich? Was ist das für ein Gelände? Lauter Fabrikgebäude, die schwer in der Dunkelheit liegen. Ein Heizwerk zum Beispiel, gekrönt von einem Schornstein, der an seinen Flanken beleuchtet ist. Ihm gegenüber etwas Neues, ein Hotelbau. Er passt sich so gut in die Umgebung ein, als wäre das Gebäude immer schon da gewesen. Dahinter viel freie Fläche, ein Hof, der sich öffnet – und klar, das ist der Ort, das ist er. „Mein Lieblingsplatz“, hatte Marcel Linnemann beim Rundgang durch das Tabakquartier gesagt. Das war einen Tag vorher, einen Tag vor dem Jazzkonzert. Reiner Zufall, wieder am gleichen Ort gelandet zu sein.
Linnemann ist geschäftsführender Gesellschafter beim Projektentwickler Justus Grosse, dem Unternehmen, das in Bremen an einem großen Rad dreht – überall in der Stadt, vor allem aber in der Überseestadt im alten Hafen und seit 2018 eben auch auf dem 20 Hektar großen Areal der ehemaligen Zigarettenfabrik von Martin Brinkmann in Woltmershausen. Einst wurde dort von mehr als 6000 Beschäftigen so viel Tabak produziert wie nirgendwo sonst in Europa. Ein Tabak-Tempel, sozusagen. Wissen das die Raucher auf der Treppe?
Bremer Tabakquartier soll nicht nur Bewohnern gefallen
Vom Zentrum für Kunst, neben dem Orchestersaal der Bremer Philharmoniker und dem Boulevardtheater Bremen die dritte Kultureinrichtung im Tabakquartier, sind es nur ein paar Schritte bis zu dem Innenhof, der Linnemann so gut gefällt. „Es ist ein geschützter Bereich, sehr ruhig, und gleichzeitig hat er diese Weite“, sagt der 37-Jährige, „ein Ort vielleicht für ein Sommerfest oder einen Weihnachtsmarkt.“
Der Immobilienkaufmann erhofft sich von dem neuen Quartier, dass Menschen dort nicht nur wohnen und arbeiten, sondern auch herkommen, um etwas zu erleben. Mit der „Foodbox“ und dem „Justus“ gibt es zwei Restaurants, bei „Easyfitness“ kann man den Körper stählen, es gibt den Bäcker, das Hotel, eine Boulderhalle zum Klettern und das Heizwerk als Veranstaltungsort. Alles da für Kultur und Freizeit.
An Wohnungen sollen es Pi mal Daumen 1000 werden. „Die Zahl ist gegriffen, wir werden sehen, wie viele es am Ende sind“, sagt Linnemann. Der Markt ist dynamisch, um es vorsichtig auszudrücken. „Wir haben ein anderes wirtschaftliches Umfeld, als zu Beginn der Planungen und konnten auf dem Gelände noch nicht so viel verkaufen wie eigentlich gedacht.“ Fertigstellung 2025 – das war das Ziel für das gesamte neue Tabakquartier. Das Ziel wird verfehlt.
Gleichwohl ist in den sechs Jahren enorm viel entstanden. Zur Aufzählung gehören die drei Mobilitätshäuser am Rand des Areals, eine Kita und der erste Abschnitt der Parkanlage „Grüne Mitte“, die sich durch einen Teil des Geländes zieht. Auch die vielen Gewerbebetriebe, rund 300. Und Wohnungen natürlich. 200 sind‘s in einem der ausgebauten Speicher, die Justus Grosse an LEG Immobilien verkauft hat. Sie können gemietet werden – für rund zwölf Euro den Quadratmeter. Es sind Loftwohnungen, die vor allem für Singles und Paare infrage kommen. Weitere 200 Einheiten werden gerade fertig, lauter Eigentumswohnungen in zwei ehemaligen 150 Meter langen Lagerhallen. Die sogenannten TQ-Studios haben eine Größe zwischen 50 und 140 Quadratmetern. „Dreiviertel sind bereits verkauft“, berichtet Linnemann, „der Quadratmeter kostet rund 5000 Euro.“
Das ist Bauen im Bestand, auch wenn bei den Lagerhallen anders als bei den denkmalgeschützten Speichern nicht viel mehr als die Stützpfeiler übrig geblieben sind. Trotzdem haben auch die Hallen durch hohe Decken und großzügige Fensterfronten weiterhin die Anmutung eines ehemaligen Industriebaus.
Das Hauptgebäude der Fabrik an der Hermann-Ritter-Straße musste saniert, aber nicht von Grund auf angefasst werden. So wie beim Heizwerk und den drei Speichern. „Das war die Frage: Wie viel können wir erhalten?“, sagt Linnemann. Viel, lautete die Antwort nach der Schadstoff-Analyse und dem Befund zur Substanz der Gebäude. „Brinkmann galt als kriegswichtig und ist den Jahren damals kräftig gewachsen“, weiß der Unternehmer, „der Tabak wurde für die Front gebraucht, um die Soldaten ruhig zu stellen.“ Beim Ausbau der Fabrik durfte wegen ihrer Bedeutung Stahlbeton verwendet werden, darum die Festigkeit.
Der Bestand ist mittlerweile weitgehend entwickelt. Mit dem Neubau zögert Justus Grosse wegen des schwierigen Marktes noch, auch wenn die ersten 100 Wohnungen jetzt in die Planung gehen. Weitere Häuser sollen vor allem in der Nähe der „Grünen Mitte“ entstehen; sie werden in den Prospekten Parkvillen und Fleethäuser genannt. Ist erst einmal alles fertig, was durchaus noch fünf Jahre dauern kann, hat Grosse nach eigenen Angaben rund 700 Millionen Euro investiert – für ein in jeder Hinsicht gemischtes Quartier, in dem auch Menschen mit schmalem Geldbeutel leben. 30 Prozent der Wohnungen werden öffentlich gefördert. Dann liegt der Quadratmeterpreis nicht bei zwölf oder 13 Euro, wie bei den frei finanzierten Einheiten, sondern bei etwa der Hälfte.