Der Bremer Senat und der Betriebsrat von Siemens wollen die drohende Verlagerung der europäischen Servicezentrale aus der Überseestadt nach Hamburg verhindern. Der Konzern habe sich schließlich per Betriebsvereinbarung zum Standort bekannt – an die müsse er sich halten.
UND ALEXANDER KLAY
Bremen. Noch nicht einmal drei Jahre ist es her, dass Siemens in der Überseestadt das neue Schulungszentrum für Windenergie-Techniker eingeweiht hat. In der Stadt, die ein bisschen auch die Wiege dieser Siemenssparte ist. Denn die Bremer Firma AN Bonus, 2005 vom Münchner Konzern übernommen, war quasi die Keimzelle des Geschäfts mit Windkraftanlagen. Viel Lob hatte es seinerzeit für den Standort gegeben – und auch viele Versprechungen. Es sei ein Bekenntnis zu Bremen als Servicezentrale des Konzerns, hieß es damals.
Von hier aus werde künftig das Wartungsgeschäft nicht nur für Deutschland, sondern auch für Zentral- und Osteuropa und selbst für den asiatisch-pazifischen Raum geführt. Und selbst als im Oktober vergangenen Jahres die Europa-Zentrale der Windenergiesparte in Hamburg angesiedelt wurde, war keine Rede von einem drohenden Personalabbau in Bremen. Im Gegenteil: „Wenn das Windgeschäft wächst, wird auch die Bremer Service-Sparte davon profitieren“, hieß es noch vor wenigen Monaten bei Siemens.
Umso überraschter sind nun alle Bremer von der plötzlichen Kehrtwende und organisieren umgehend den Widerstand. Der Bremer Senat will mit allen Mitteln verhindern, dass der Siemens-Standort in der Uberseestadt aufgegeben wird. Bürgermeister Jens Böhrnsen, der die Überlegungen „völlig unverständlich und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar“ nannte, will höchst persönlich bei der Konzernspitze intervenieren. Bei Vorstandschef Peter Löscher, bei der Personalchefin Brigitte Ederer und auch bei Michael Süß, Vorstand der Energiesparte. „Der Senat steht an der Seite der Siemens-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagte Böhrnsen gestern.
Bereits am Montag will er mit dem Betriebsrat im Rathaus beraten, wie die Gegenwehr organisiert werden kann. Böhrnsen kündigte zudem an, sehr genau prüfen zu lassen, welche Zusagen von Siemens in der Vergangenheit für den Standort Bremen gemacht worden seien. Auch Wirtschaftssenator Martin Günthner sprach gestern von einem Affront: „Das ist Standortpolitik mit der Abrissbirne.“
Der Bremer Siemens-Betriebsratschef Jörg Pupat ist empört über die Umzugspläne, von denen die Belegschaft am Donnerstag erfahren hat (wir berichteten). Er spricht von einem bewussten Bruch bestehender Betriebsvereinbarungen. So sei der Erhalt des Standortes für das Windkraft-Servicegeschäft zugesagt worden, als der Vertrieb für neue Windräder nach Hamburg wechselte.
Mit dem Schreiben an die Mitarbeiter zur Umstrukturierung hätte der Betriebsrat am Donnerstag keinesfalls gerechnet. Pupat hatte eine ganz andere Mitteilung aus der Chefetage erwartet – nämlich Antworten auf Fragen zur grundsätzlichen Ausrichtung der Serviceabteilung in Bremen. Auf diese warte der Betriebsrat schon seit November 2011. Signale für einen Abbau der 100 Arbeitsplätze in der Überseestadt habe es nie gegeben. „Es wurden ja noch neue Mitarbeiter eingestellt.“
Der Betriebsratschef erwartet jetzt klare Aussagen, wie es mit Siemens Windpower in Bremen weitergehen könnte. Pupat sieht eindeutig eine Perspektive für den Siemens -Standort in der Überseestadt. „Das Offshore-Geschäft könnte den Laden so richtig in Schwung bringen.“ Gespräche über einen Stellenabbau oder einen Umzug nach Hamburg lehnt er kategorisch ab.
Siemens selbst betont, sich an die bestehenden Vereinbarungen zu halten. „Wir sehen in den Überlegungen zur Verlagerung keinen Bruch bestehender Abmachungen“, sagt ein Sprecher.
Die Umzugspläne sind offenbar eine Reaktion auf unerwartete Schwierigkeiten bei Siemens. Weil die Kosten für die Windpark-Projekte weit über das Ziel hinausgeschossen sind, musste der Konzern in seinem zweiten Geschäftsquartal 278 Millionen Euro zurückstellen und die Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr deutlich korrigieren. Ein Unternehmenssprecher hatte am Vortag die Umzugspläne zudem mit Preisdruck und Überkapazitäten am Markt begründet. In Hamburg könnten, anders als in Bremen, Synergien mit dem Anlagenbau und dem Offshore-Geschäft genutzt werden.
Lange galten Bremen und Bremerhaven als führende Standorte der Windkraft-Branche. Zuletzt hatte Hamburg aufgeholt. Das im Herbst 2010 gegründete „Netzwerk Erneuerbare Energien“ zählt schon 140 Mitglieder. Fast alle Branchengrößen haben Niederlassungen an der Elbe eröffnet oder ausgebaut: Energieversorger wie RWE und Vattenfall, Turbinenhersteller wie Repower, Baukonzerne wie Hochtief. Allein im vergangenen Jahr sind General Electric, Areva Wind, Dong Energy und Power Wind dazugekommen. Seit einem dreiviertel Jahr steuert Siemens sein Windgeschäft von Hamburg aus. Kommentar Seite 2
Bremen will Siemens-Rückzug verhindern
Böhrnsen will sich beim Konzernvorstand für Standort einsetzen / Belegschaft pocht auf Betriebsvereinbarung
Zitat:
„Das Offshore-Geschäft könnte den Laden so richtig in Schwung bringen.“
Siemens-Betriebsratschef Jörg Pupat