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Weserwork im Tabakquartier "Es gibt einen Fluchtimpuls aus dem Homeoffice"

Corona hat den Co-Working-Trend aus Sicht des Bremer Anbieters Weserwork befeuert. Der neue Geschäftsführer Karsten Armgardt erklärt die Gründe für ein zweites Büro und wie der Inklusionsbetrieb funktioniert.
18.09.2021, 06:00 Uhr
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Von Lisa Schröder

Weserwork hat im Tabakquartier einen neuen Standort eröffnet. Ist die Nachfrage nach Gemeinschaftsbüros in Bremen so groß?

Karsten Armgardt: Unser Geschäft bei Weserwork hat sich so bewährt, dass wir schon vor langer Zeit entschieden haben, einen zweiten Standort zu eröffnen. Der Markt für Co-Working-Büros ist groß, aber wir sehen keine Übersättigung. Seit Auslaufen der Kontaktbeschränkungen hat sich das Interesse nach Arbeitsplätzen wieder deutlich verstetigt. Wir spüren seit Mai und Juni eine viel stärkere Nachfrage.

Woran liegt das?

Es gab einen Fluchtimpuls, aus dem Homeoffice rauszukommen. Und andere wollten von selbst angemieteter Bürofläche ins Co-Working wechseln. Warum auch nicht? Hier brauche ich mich nicht um die Versicherung, Reinigung, das Internet und den Kaffee zu kümmern, sondern kann dasitzen und arbeiten.

Wie viele der Plätze im neuen Büro sind vergeben?

Es sind noch genügend Plätze frei. Wir sind in den Sommerferien gestartet. Das war ganz gut, um Prozesse mit dem Team einzuspielen, was bei uns als Inklusionsbetrieb ein ganz wichtiger Faktor ist. Insgesamt haben wir rund 90 Arbeitsplätze im Tabakquartier.

Das Ambiente ist hier besonders.

Absolut. Da ist zunächst der Industriecharme. Das alte Fabrikgebäude ist perfekt in die jetzige Zeit entwickelt worden. Vor allem ist das Quartier eines der kurzen Wege. Auf kompaktestem Raum ist hier über ganz viele Lebensbereiche alles vorhanden. Die Aufbruchstimmung im Viertel ist für uns als Co-Working-Anbieter von ganz entscheidender Bedeutung.

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Viele Menschen haben nach Jahren im Büro Erfahrung im Homeoffice gesammelt. Wo gibt es aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zum Co-Working-Arbeitsplatz?

Der klare Unterschied sind die Kommunikationsmöglichkeiten. Im Co-Working-Space gibt es sehr unterschiedliche Erwerbsbiografien, Hintergründe und Voraussetzungen. Da ist viel Dynamik drin. Im Büro sehe ich dagegen im Zweifel immer dieselben Kollegen. Vor allem zum Homeoffice ist der Unterschied natürlich eklatant. Jemand, der in einem Co-Working-Space ist, möchte außerdem Teil einer Community sein – also eines Teams, das sich austauscht.

Wer mietet bei Ihnen Schreibtische und Räume? Einzelkämpfer oder auch Konzerne?

Beide. Wir haben in der Überseestadt Organisationseinheiten von großen Unternehmen untergebracht, die zum Teil den Spirit der Community suchen. Es gibt aber auch die Einzelkämpfer.

Wie hat sich das Verhalten der Nutzer verändert?

Wir haben wegen Corona im Prinzip keine Abbrüche gehabt. Da gab es nur wenige Fälle, weil das Geschäftsmodell nicht hielt. Dennoch haben wir bis in den Frühsommer hinein nur wenig Co-Worker vor Ort gehabt, weil es auch da einen Rückzug ins Homeoffice gegeben hat. Das Netzwerken kann dann per se nicht wie sonst stattfinden. Und auch heute ist das Verhalten noch anders. Es funktioniert aber dennoch, miteinander in Kontakt zu kommen.

Corona hat für einen Einbruch beim Konferenzgeschäft gesorgt. Hat sich die Lage bei Ihnen beruhigt?

Bis in den Frühsommer rein war die Nachfrage ganz mau. Gerade nach den Sommerferien hatten wir dann viele Veranstaltungen im Haus. In bestimmten Bereichen wird jetzt versucht, wieder ein bisschen Normalität zu leben. Für Workshops gibt es eine starke Nachfrage nach physischer Zusammenkunft. Es gibt aber noch Unsicherheit. Die Workshops sind nicht voll belegt. Und bei Anfragen achten die Veranstalter auf eine kurze Stornofrist.

Was bedeutet die Pandemie fürs Co-Working? Beschleunigt oder bremst Corona den Trend?

Wir sehen, dass der Trend tatsächlich beschleunigt wurde. Die Menschen möchten wieder unter die Leute kommen. Wir sind aus wirtschaftlicher Sicht sehr froh darüber, dass die Nachfrage gestiegen ist. Und auch für uns als Inklusionsbetrieb ist das positiv, weil es hier davon lebt, dass unser Assistenzteam Kontakt zu Co-Workern und Kunden hat.

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Weserwork ist ein besonderes Unternehmen, denn bei Ihnen arbeiten Menschen mit einer Behinderung. Welche Einschränkungen haben die Mitarbeiter?

Wir sind ein Team von fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – drei davon mit dem Status schwerbehindert. Die Mitarbeiter haben körperliche oder auch geistige Handicaps.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Unser Team ist total fit. Alle sind in der Lage, den Space einen Tag selbstständig zu rocken oder eine Veranstaltung zu begleiten. Das liegt an den eingespielten Prozessen und der hohen persönlichen Motivation der Mitarbeiter. Wir schauen uns sehr genau an: Was kann der- oder diejenige? Was kann er oder sie nicht so gut? Darauf richten wir die Arbeit aus. Das geht ganz hervorragend.

Fähigkeiten der Mitarbeiter nutzen – darum geht es ja auch sonst in Unternehmen.

Genau. Das ist kein Hexenwerk. Wir sind vielleicht in manchen Dingen ein Stück weit anders aufgestellt als Mitbewerber, was Kommunikation oder Schnelligkeit angeht. Dann ist das so. Es ist aber nichts, was uns daran hindert, erfolgreich unterwegs zu sein.

Die Beteiligung von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben ist ein wichtiges Anliegen. Wird Inklusion aus Ihrer Sicht in Wirtschaft und Gesellschaft wirklich gelebt?

Es ist schwer, ein Pauschalurteil zu fällen. Viele tolle Unternehmen beschäftigen entweder schwerbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder bieten Inklusionsabteilungen an. Inklusionsbetriebe gibt es in Bremen bisher aber nur einige wenige. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass es mehr werden sollen. Manches dauert für unseren Geschmack ein bisschen zu lange, aber es wird an dieser Stelle gearbeitet. Und wir unterstützen das. Es gibt viele Menschen, die für den ersten Arbeitsmarkt vielleicht einen Ticken zu langsam sind, aber absolut nicht auf den zweiten Arbeitsmarkt passen. Je mehr Angebot da geschaffen wird, desto besser – gar keine Frage.

Was könnte helfen, etwas zu verändern?

In Bremen und Bremerhaven fehlt bisher eine Landesarbeitsgemeinschaft für Inklusionsfirmen. Wir ziehen jetzt im Oktober mit der Gründung eines solchen Zusammenschlusses nach. Das ist folgerichtig, um mehr Schlaglicht auf Inklusionsbetriebe zu legen. Es gibt tolle Fördermöglichkeiten, aber noch zu wenig Kenntnis darüber.

Das Gespräch führte Lisa Boekhoff.

Zur Person

Karsten Armgardt

ist seit April neben Bernhard Havermann Geschäftsführer bei Weserwork. In seiner Heimatstadt Göttingen studierte er Betriebswirtschaftslehre und war im Anschluss für ein Chemieunternehmen in Süddeutschland tätig. Später zog es Armgardt mit seiner Frau zurück in den Norden.

Zur Sache

Pionier fürs Gemeinschaftsbüro

Weserwork ist ein gemeinnütziges Unternehmen, das flexible Co-Working-Plätze, Büros und Veranstaltungsräume anbietet. Ziel ist dabei, Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen zu schaffen. Für die Beschäftigung der Mitarbeiter mit Einschränkung gibt es einen Nachteilsausgleich vom Integrationsamt in Bremen. Für die ersten sechs Jahre gab es zudem Unterstützung durch die "Aktion Mensch". Wenngleich Weserwork gemeinnützig ist, muss das Unternehmen wie jedes andere Geld verdienen durch seine Leistung. Der Inklusionsbetrieb existiert seit 2014 und gehörte damit zu den Vorreitern beim Co-Working-Angebot in Bremen.

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