Familien in Bremen müssen mit vergleichsweise niedrigen Elterngeld-Beträgen über die Runden kommen: Im Schnitt erhielten Familien mit Kindern, die 2013 geboren wurden, zuletzt 726 Euro im Monat. In keinem anderen Bundesland sind die Elterngeldansprüche von Müttern so niedrig wie in Bremen. Das geht aus einer Studie des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) hervor, die von der Bremer Arbeitnehmerkammer in Auftrag gegeben wurde und dem WESER-KURIER vorliegt.
Die IAW-Studie zieht Bilanz zum Elterngeld – zehn Jahre nach der Einführung dieser staatlichen Finanzhilfe für Familien im Jahr 2007. Die Höhe des Elterngelds richtet sich nach der Höhe des Einkommens. Zuvor gab es das Erziehungsgeld, das nicht ans Einkommen gekoppelt war. Ziel des Elterngelds war es, insbesondere Akademiker dazu zu bewegen, mehr Kinder zu bekommen und Frauen den beruflichen Wiedereinstieg nach der Geburt zu erleichtern.
Fast jeder dritte Vater nimmt Elternzeit
Diese Ziele wurden auch zum Teil erreicht: Nach und nach gehen immer mehr Männer in Elternzeit, wenn auch meist kürzer als Frauen. Und Daten der Arbeitnehmerkammer zeigten zuletzt, dass viele junge Mütter nach der Geburt durchaus rasch in den Beruf zurückkehren.
In Bremen arbeitete zuletzt fast jede dritte Mutter, die ein Kind unter drei Jahren hat, bereits wieder Vollzeit. Derzeit gehen 28 Prozent aller Bremer Väter in Elternzeit, die meisten von ihnen für zwei Monate. Das sei allerdings im Vergleich zu anderen Städten noch wenig, stellen die Autoren der Studie „Zeit für die Familie?“ vom IAW fest: In München oder Stuttgart gehen im Schnitt 40 Prozent aller Väter in Elternzeit, in Dresden sogar 50 Prozent.
„Das Einkommen der meisten Familien in Bremen ist niedrig, da ähnelt die Situation großen Ruhrgebietsstädten wie Essen, Dortmund und Duisburg“, sagt Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „Die Daten zeigen: Die Familien sind in der Zeit, in der die Kinder klein sind, finanziell sehr belastet.“ Grund für das geringe Einkommen vieler Familien seien die hohe Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger in Bremen und der ausgeprägte Niedriglohnsektor.
Die Autoren der IAW-Studie – die Sozialwissenschaftler René Böhme und Nele Mönkedieck – werfen auch einen Blick auf die Stadtteile Bremens. Dort zeigen sich große Unterschiede: In Ortsteilen wie Fesenfeld, Neu-Schwachhausen und Borgfeld wird im Schnitt ein Elterngeld von über 1100 Euro ausgezahlt.
In diesen Stadtteilen gehen relativ viele Väter in Elternzeit, hier sei die „Teilmodernisierung der Geschlechterverhältnisse“ am weitesten fortgeschritten, urteilt die Arbeitnehmerkammer. Dagegen liegt der durchschnittliche Elterngeld-Betrag in Ohlenhof und Neue Vahr Nord bei rund 400 Euro.
Böhme und Mönkedieck benennen drei Familien-Modelle, die in Bremen vertreten sind: Erstens gut situierte Akademikerfamilien, in denen die Partner relativ viel verdienen, deshalb auch beide mehr Elterngeld erhalten und in denen Männer relativ häufig in Elternzeit gehen. Zweitens Arbeiterfamilien, in denen es oft einen Hauptverdiener gebe – das sei häufig der Mann, der selten in Elternzeit gehe, auch deshalb, weil es für die Familie sonst größere Einkommenseinbußen gäbe.
Und drittens Familien, bei denen beide Partner Geringverdiener oder arbeitslos sind. In diesen Familien gingen die Männer meist entweder gar nicht oder gleich für zwölf Monate in Elternzeit. Hier fördere die IAW-Analyse Interessantes zutage, sagt Schwarzer: „In Großstädten wie Bremen haben wir einen höheren Anteil an Männern, die länger in Elternzeit gehen“, sagt er.
Als Grund dafür sei oft vermutet worden, dass es in Großstädten mehr moderne Männer gebe. Doch beim genaueren Hinsehen zeige sich nun: Zwölf Monate Elternzeit würden oft Väter beantragen, die Sozialleistungen beziehen. Ihnen werde vom Jobcenter nahegelegt, Elterngeld zu beantragen, weil das Jobcenter dann weniger zahlen müsse. „Wenn diese Väter lange Elternzeit beantragen, hat das mit materiellen Zwängen und nichts mit Modernität zu tun.“
Überraschend war für Schwarzer, dass nur so wenige Frauen vor der Geburt ihres Kindes berufstätig waren: In Bremen gingen 44 Prozent der Frauen zuvor nicht arbeiten, in Bremerhaven waren sogar 62 Prozent nicht berufstätig. Das führt auch zu geringen Elterngeld-Beträgen.
Wahlfreiheit, wie die Elternzeit aufgeteilt wird, gewinnt den Autoren der IAW-Analyse zufolge vor allem eine kleine Gruppe: Paare, die beide überdurchschnittlich gut und ähnlich viel verdienen. Sie könnten mithilfe des Elterngeldes relativ komfortabel miteinander aushandeln, wer wie viele Monate zu Hause bleibt.
Für Familien mit geringerem Einkommen seien dagegen häufig die finanziellen Bedingungen entscheidend. Und das bedeutet in der Regel: Weil meist die Männer mehr verdienen, kann die Familie eher auf das Gehalt der Frau verzichten, die dann länger zu Hause bleibt.
Wenige können sorglos entscheiden
Die Autoren fordern, der Staat müsse alle Familien mitnehmen und auch Eltern mit geringem Einkommen stärker ermöglichen, sich flexibel zu entscheiden. Über das Elterngeld wird auf Bundesebene entschieden. Doch auch Bremen hat Handlungsmöglichkeiten, sagt Schwarzer: „Die Gebühren für Kitas und Krippen sollten gestrichen werden“, fordert er. Denn die Studie zeige, dass es für die meisten Familien in der Zeit nach der Geburt ohnehin finanziell eng sei.
„Bei der Entscheidung, wer wie lange in Elternzeit geht, machen sich die Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen bemerkbar“, sagt auch Barbara Peper vom Familiennetz Bremen. Das Familiennetz bietet eine Erstberatung für Eltern an und vermittelt sie an Experten weiter.
Ein Beispiel, das Peper benennt: Die Frau studiert noch, wenn das Kind kommt, der Mann arbeitet als Ingenieur. „Sie bekommt 300 Euro Elterngeld, er hat ein gutes Einkommen.“ Oft gehe dann die Frau in Elternzeit – auch weil es anders schwer finanzierbar sei: „In Elternzeit zu gehen, muss man sich leisten können.“