Der Hafen von Berbera könnte vom Weserdeich kaum weiter entfernt sein. Noch im September heizt die Sonne die Küstenebene Somalias auf 45 Grad auf. Auf dem staubigen Hauptplatz des Hafenortes sitzen die Menschen im Schatten und kauen Kath, die ortsübliche Alltagsdroge. Doch schon am zweiten Abend riefen sie den Deutschen, der in ihre Stadt gekommen war, um sich den Hafen anzusehen, beim Vornamen: "Ferdinand!" Sie luden ihn zum Tee ein. "Das Kath wollte ich lieber nicht ausprobieren", sagt Ferdinand Möhring und lacht.
Der 62-jährige Hafenmanager ist Leiter für Verkehrspolitik und Grundsatzfragen beim Bremer Logistikdienstleister BLG. Warum er vor ein paar Wochen mal wieder seinen Schreibtisch im Verwaltungssitz der BLG an den Bremer Wallanlagen verließ, um in der somalischen Wüste mit den Einwohnern Tee zu trinken, das ist eine lange Geschichte. "Irgendwie schließt sich da ein Kreis in meinem Leben", sagt Möhring. Und für die BLG sind die Dienstreisen ihres leitenden Angestellten eine Gelegenheit, humanitäres Engagement in aller Welt zu zeigen. Denn Möhring reist im Auftrag des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP).
Der Hafenmanager kennt sich aus in Afrika: In den 1970er und 80er Jahren bereits fuhr er als junger Seemann auf den Schiffen der Deutschen Afrika-Linien (DAL) regelmäßig die Häfen des Kontinents an und lernte die lokaltypische Kunst des Improvisierens kennen. "Das prägt einen", sagt Möhring. Auch in seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit der Entwicklung eines Containerterminals in Westafrika. Sein weiterer Karriereweg bei der BLG führte ihn zunächst jedoch in eine andere Richtung: Als Abfertigungs- und Vertriebsleiter des Containerterminals und Geschäftsführer des Autoterminals in Bremerhaven wurden Effizienz und nackte Zahlen über viele Jahre zum Maßstab seiner Arbeit.
Doch vor zehn Jahren brachte ihn eine Arbeitsgruppe der Bundesvereinigung Logistik (BVL) wieder in Kontakt mit jenen Weltregionen, in denen die Dinge nicht so glatt laufen. "Humanitäre Logistik" lautete das Thema: Es ging um Hilfseinsätze bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen, für die Häfen, Flugplätze, Bahnlinien und halbwegs befahrbare Straßen benötigt werden. Die gibt es gerade da, wo die Not am größten ist, nicht überall.
Seit zehn Jahren unterwegs
Deshalb lässt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen regelmäßig die Verkehrswege in diesen Ländern überprüfen und bewerten. Dafür nimmt die Organisation die Hilfe von Experten in Anspruch, die sich auskennen mit Häfen und ihrer Hinterlandlogistik. Und als solcher reist Möhring seit zehn Jahren für das WFP um die halbe Welt. Er begutachtete Hafenanlagen in Ecuador, Haiti, Indonesien und Bangladesch, ebenso die Einrichtungen für Hurricane-Hilfseinsätze in Trinidad. In Afrika erkundete Möhring Transportwege am Tanganjika-See, über den Kongo und den Victoriasee.
Und im September reiste er ans Horn von Afrika. In den deutschen Nachrichten spielt die Region meist nur dann eine Rolle, wenn sie mal wieder von Bürgerkriegen oder Dürren heimgesucht wird. Oder wenn Piraten vor der Küste ihr Unwesen treiben. Möhring jedoch reiste nach Djibouti und Somalia, um sich "ein Positivbeispiel" in Sachen humanitäre Logistik anzusehen. "Die Aufgabe war, eine Matrix für einen funktionierenden Transportkorridor zu erstellen", sagt er. "Wir wollten sehen, was man daraus lernen kann für andere Orte, wo es nicht so gut läuft." Der Hafen von Djibouti ist über Bahnlinien mit Terminals im Inneren Äthiopiens verbunden; auch zwei Autobahnen führen ins Binnenland – "alles von den Chinesen gebaut", bemerkt Möhring. "Die Anbindung ist hervorragend." Im benachbarten Berbera unterhält DP World, einer der weltweit führenden Hafenbetreiber, drei Containerbrücken und mehrere Mobilkräne.
All das hat er in einem Gutachten für das Welternährungsprogramm aufgeschrieben. Der Stapel seiner Expertisen wächst: Über 20 Reisen haben Möhring und ein Kollege, der mittlerweile in Rente ist, für das WFP bereits unternommen. Wobei die "Reisen" selbst mit einfachen Neckermann-Standards nicht viel gemein haben: Durch das Bürgerkriegsland Somalia bewegte sich die Delegation im Schutz einer Polizeieskorte; im Kongo übernachtete Möhring sicherheitshalber im Camp der UN-Blauhelme. "Es gibt sicherlich Länder und Regionen, in die wir nicht fahren würden", versichert er. "Ich möchte ja nicht für zehn Dollar erschossen werden."
Auf den üblichen Komfort einer Dienstreise kann Möhring dagegen verzichten: Durch die Hotelzimmer in Berbera verliefen offene, stinkende Abflussrohre und eine Ameisenstraße. Geschlafen wird grundsätzlich nur unter Moskitonetzen. Möhrings Impfpässe verzeichnen mittlerweile an die 50 Einträge. Salate und Eis sind unterwegs tabu, gegessen wird hauptsächlich Fisch und Gemüse aus der Fritteuse. Oder Kamelfleisch: "Auf unserer letzten Reise gab es Kamelfleischfrikadellen schon zum Frühstück", sagt Möhring. "Schmeckt gar nicht schlecht: Wie eine Mischung aus Rind und Schwein."
Die nächste Reise ist bereits gebucht: Im Januar geht es in den Senegal.