London. Kleine Pflaster helfen nicht mehr – es muss endlich operiert werden. Dass ihr Bankensektor "im Herzen krank" ist, wie es gleich mehrere Kommentatoren gestern ausdrückten, wissen die Briten schon lange. Die Suche nach einer grundlegenden Heilung war bislang erfolglos. Der neue Skandal um manipulierte Zinssätze bei Barclays und vermutlich auch anderen Großbanken zeigt aber erneut, dass eine Lösung dringend geboten ist. Wie kann man mauschelnde und rücksichtslose Banker in der Londoner City zur Räson rufen, die ganze Kultur einer Branche ändern?
Statt, wie vielfach gefordert, seinen Chef Bob Diamond zu feuern, schickte Barclays Aufsichtsratschef Marcus Agius vor. Beobachter hatten ohnehin vermutet, dass der fast 67-Jährige nach sechs Jahren bei der Bank bald abtreten würde. Barclays kündigte außerdem eine umfassende Untersuchung der internen Praktiken an, einen öffentlichen Bericht darüber und schließlich einen neuen Verhaltenskodex.
Barclays hatte zwischen etwa 2005 und 2009 versucht, den sogenannten Liborzinssatz, zu dem sich Banken gegenseitig Geld leihen, zu manipulieren. Dafür muss das Institut eine Rekordstrafe von umgerechnet rund 345 Millionen Euro an die Finanzaufsichten in den USA und Großbritannien sowie an das US-Justizministerium zahlen. Die zuständige britische Ermittlungsbehörde prüft, ob der Fall strafrechtliche Folgen haben könnte. Der Skandal könnte sich erheblich ausweiten, denn im Verdacht stehen zahlreiche Banken in Europa und den USA.
Die britische Regierung will nun eine umfassende Untersuchung der ganzen Branche auf den Weg bringen – ähnlich der, die nach dem Medienskandal um unseriöse Praktiken bei britischen Zeitungen die gesamte Presselandschaft unter die Lupe nimmt. Wie viel das bringen könnte, ist allerdings umstritten. Vize-Premier und Liberaldemokraten-Chef Nick Clegg erinnerte gestern daran, dass es schon eine ganze Reihe von Untersuchungen gegeben habe. Zuletzt etwa hatte Ende vergangenen Jahres die sogenannte Vickers-Expertenkommission Empfehlungen vorgestellt, die teils in einer Bankenreform umgesetzt werden sollen. Dabei geht es auch um die Trennung von Investmentbanking und Privatkundengeschäft.
Statt Untersuchungen und Empfehlungen wären wohl Handlungen angebracht – und so gab der Sprecher von Premierminister David Cameron denn auch zu: "Wir wissen, was zu tun ist, und wir müssen jetzt weitermachen und handeln, damit sich die Kultur ändert." Doch Camerons Handlungsspielraum ist begrenzt. Die britische Wirtschaft, derzeit in der Rezession, ist vom Finanzsektor extrem abhängig. Experten mahnen allerdings, dass er nun endlich die Situation beim Schopfe packen müsse. "Priorität muss jetzt haben, diese Chance, die Banken auf ihren Platz zu verweisen, nicht zu verpassen", schrieb etwa Bankenfachmann Larry Elliott im "Guardian".