Die Zeit vor Weihnachten ist für viele Hektik pur - vor allem für Paketboten. Ihre Aufgabe ist es, dass die unzähligen Päckchen rechtzeitig ankommen. Wir haben eine DHL-Zustellerin einen Tag begleitet.
Der erste Kunde liefert selbst eine Nachricht aus. Ein Zettel klebt an seiner Haustür: Die Klingel sei kaputt. DHL-Paketbotin Christina Mai klopft also an. Doch drinnen sieht es verdächtig dunkel aus. „Hoffentlich ist jemand da.“ Schnell gibt es Gewissheit: „Da ist jetzt keiner“, ruft jemand von der anderen Seite der Myrtenstraße herüber. Mai blickt sich um. Aus dem geöffneten Fenster des blauen Hauses schaut ein Mann herüber. „Nehmen Sie die drei Pakete an?“ „Klar.“ Mai balanciert den Stapel in ihren Armen, geht Stufen herunter und wieder herauf. „Wir kennen uns hier alle“, sagt der Mann im blauen Haus, „Pakete werden füreinander angenommen.“ Glück gehabt. Mai wird die Sendung los.
Ihren Alltag als Paketbotin macht diese Nachbarschaftshilfe ein Stück leichter. Das ist gerade jetzt wichtig. Weihnachtszeit ist Paketezeit. An Spitzentagen fallen dann laut Lieferdienst DHL bundesweit doppelt so viele Sendungen an wie gewöhnlich. Für Briefe gelte dasselbe. Mai und ihre Kollegen haben viel mehr zu tun als sonst. Ihr mache das nichts aus, sagt die junge Frau. „Die Menschen freuen sich, wenn wir ihre Geschenke bringen. Darum macht diese Zeit besonders Spaß. Wir sind ja quasi der Ersatz-Weihnachtsmann.“
Hektik gehört dazu
Die vielen Handgriffe müssen sitzen. Die drei Pakete sind gescannt, die Unterschrift ist aufgenommen, ein fröhliches „Tschüss“ zum Abschied, dann fehlt noch der Zettel für den Nachbarn, um ihm zu erklären, wo sein Paket zwischenlagert. Wieder rüber zum Haus mit der kaputten Klingel und weiter. Hinter Mais Transporter wartet nun schon eine Frau mit ihrem Auto – mehr oder weniger geduldig. In den engen Straßen des Viertels kommt sie nicht am Sprinter vorbei. Mai fährt die Straße hoch und macht ihr Platz. Doch ein Stück muss sie wieder zurücksetzten für die zweite Sendung in der Myrtenstraße. Die Hektik im belebten Stadtteil gefällt der DHL-Mitarbeiterin. „Ich brauche einen gewissen Druck. Oberneuland wäre mir zu ruhig.“ Parkprobleme kennt sie nicht. Den großen Weggefährten fahre sie ohnehin schon besser als ihr eigenes Auto.
Die nächste Sendung, die nächste kaputte Klingel. Klopf, klopf. Doch wieder ist niemand daheim, wieder helfen die Nachbarn aus – ganz selbstverständlich. „Kein Problem“, heißt es an der Tür. In solchen Straßen klappe das fast immer, sagt Mai, eben weil die Anwohner sich kennen. Anders sei das in Wohnblocks.
Weiter geht es in die Oranienstraße. Zwischen sich und dem Laderaum sortiert Mai die Pakete für eine Straße nach Hausnummern vor. Motor aus, Paket schnappen, aussteigen, Aufgang hoch, klingeln. Mai sieht diesmal ein gutes Zeichen: Licht im Haus. Tatsächlich. Die nächsten Kunden sind daheim. In der Sendung für Denise Grote steckt ein Weihnachtsgeschenk. Auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen. „Das ist ein Feuerwehrauto für meine Tochter. Das wollte sie unbedingt haben.“
Mai verabschiedet sich wieder mit einem gut gelaunten „Tschüss“. Dabei sind erst ein paar Lieferungen geschafft. Hinter der Botin liegt noch ein ganzer Sprinter voller Pakete, klein, groß, leicht, schwer. Es geht immer nur ein paar Meter weiter auf der Etappe durchs Viertel. Es ist frostig. Doch Handschuhe und eine Mütze brauche sie nicht. „Ich bin ja die ganz Zeit in Bewegung.“ Sie ist eine ganze Weile draußen unterwegs, von Haustür zu Haustür. Adventszeit ist Überstundenzeit. Heute sei sie wahrscheinlich am späten Nachmittag fertig. In dieser Woche, ein paar Tage sind es noch bis zum Fest, rechnet sie mit den meisten Sendungen. Auch nun sind einige Pakete an Bord, die schon der Verpackung nach für Heiligabend bestimmt sein müssen.
An schlechten Tagen sind 15 bis 20 Zustellungen erfolglos
Wenn kein Nachbar das Paket annehmen will, muss Mai es in die Filiale bringen oder einen zweiten Versuch starten. An schlechten Tagen passiere das 15 bis 20 Mal. Keiner sei schließlich dazu verpflichtet, auszuhelfen. „Ganz nette Nachbarn nehmen dagegen gleich für die ganze Straße an. Das ist schon schön – und eine Erleichterung für uns.“ Dass viele Pakete ein ordentliches Gewicht haben, mache ihr nichts aus. „Ich bin den ganzen Tag unterwegs und steige Treppen. Das hält fit. Den Sport kann ich mir sparen.“ Die zierliche Frau aus Oyten ist eine der wenigen Paketbotinnen. Im Zentrum in Hemelingen arbeiten derzeit 100 Zulieferer – nur fünf von ihnen sind Frauen. Am Anfang habe es Sprüche gegeben, mittlerweile nicht mehr. „Da stehe ich auch drüber.“ 2006 hat sie ihre Ausbildung bei der Post begonnen und sich danach bewusst für die Pakete entschieden. Mai strahlt. „Ich bin an der frischen Luft und die Kunden freuen sich. Ich bringe keine Rechnung.“
Ihre Schicht beginnt um 6.40 Uhr immer mit einer anstrengenden Partie Tetris: Die Ladung für den Tag muss in den Transporter gepackt werden. Das dauert. Gerade jetzt. Ein riesiger Haufen, den das Fließband ihrem Bezirk zugeordnet hat, wandert sortiert nach Straßen in die Regale. An diesem Tag sei der Haufen doppelt so groß wie im Sommer. Weihnachten eben. Doch gerade deshalb haben sie und ihren Kollegen einen besonderen Ehrgeiz, schnell zu liefern. „Alles muss mit.“ In der nächsten Schicht warten neue Geschenke, der Paketwahnsinn beginnt von vorne.
Von Tor 360 ging es für Mai etwas verspätet in die Stadt. Raus aus dem Gewerbegebiet fuhr sie morgens auf den Autobahnzubringer Hemelingen in der Kolonne. Denn vor ihr machten sich gleich drei Kollegen in den gelben Transportern mit auf ihren Weg zu den Haustüren dieser Stadt. Hoffentlich ist jemand da.