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Stahlwerk-Chef im Interview „Die gute Stimmung kann jederzeit kippen“

Seit Anfang des Jahres leitet Reiner Blaschek die Bremer Hütte von Arcelor-Mittal. Sein Start als Vorstandschef fiel in eine gute Zeit: Erstmals seit Langem schreibt das Werk wieder schwarze Zahlen.
20.08.2017, 21:27 Uhr
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„Die gute Stimmung kann jederzeit kippen“
Von Maren Beneke

Herr Blaschek, Arcelor-Mittal investiert aktuell fast 70 Millionen Euro in seine Bremer Infrastruktur. Wie entspannt konnten Sie unter diesen Voraussetzungen Ihren neuen Job im Januar antreten?

Reiner Blaschek: Entspannung gibt es in meinem Job nicht (lacht). Ich kenne die Historie der Bremer Hütte sehr gut, habe hier lange gearbeitet. Es wurde immer investiert – manchmal mehr, manchmal weniger, abhängig von der wirtschaftlichen Lage. Jetzt sind wir gerade in einer Phase, in der etwas mehr Geld in den Standort fließt.

Wie geht es mit den Bauarbeiten voran?

Im zweiten Halbjahr haben wir noch eine Menge vor der Brust, dann wird der Hochofen II zugestellt. Der Ofen macht zwei Drittel der Gesamtproduktion am Standort aus. Wenn dieses Herzstück ab Ende September für zwei Monate ausfällt, muss die Produktion trotzdem am Laufen gehalten werden.

Im vergangenen Jahr ging es noch darum, ob der Konzern das Geld für den Hochofen überhaupt freigibt. Damit war die Zukunft der Hütte gefährdet...

...aber Bremen und auch die Stahlindustrie an sich haben schon jede Menge Höhen und Tiefen mitgemacht. Die Auswirkungen der Finanzkrise zum Beispiel haben alle getroffen. Ab 2011 ging es wieder bergauf. Und seit zwei Jahren ist es wieder extrem schwierig gewesen. Die massiven Importe von Stahl zu Dumpingpreisen vor allem aus China haben die gesamte europäische Stahlproduktion ins Wanken gebracht.

Zuletzt haben die Stahlpreise wieder etwas angezogen. Inwiefern hat Bremen davon bereits profitiert?

Die schwierige Phase scheint überstanden zu sein, das stimmt. Das Nachfrageniveau und die Produktivität waren auch hier in Bremen im ersten Halbjahr gut. Im Gegensatz zu anderen Industrien können wir als Stahlhersteller aber nur wenige Monate im Voraus planen. Das liegt an der extremen Abhängigkeit von den weltwirtschaftlichen Zusammenhängen. Das heißt: Die gute Stimmung kann jederzeit wieder kippen.

Ist die Hütte denn mittlerweile raus aus den roten Zahlen?

Im vergangenen Jahr haben wir, das erste Mal seit neun Jahren, wieder ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Vorstand, Belegschaft und Betriebsrat haben 2016 in einer schwierigen Phase an einem Strang gezogen und über verschiedene Maßnahmen wie etwa die Flexibilisierung der Arbeitszeit ein Zeichen gesetzt.

Stahlproduzenten müssen permanent in ihre Werke investieren. Gute Voraussetzungen also für weitere Investitionen in den Standort?

Mit Sicherheit wurde der Zusammenhalt im Bremer Werk aus dem vergangenen Jahr im Konzern sehr positiv aufgenommen. Und jetzt, nachdem sich die Situation verbessert hat, wurden die entsprechenden Mittel ja auch freigegeben.

Sind diese 70 Millionen Euro ein klares Bekenntnis zum Standort?

Wer einen Hochofen zustellt, investiert in die nächsten 18 bis 20 Jahre. So eine Investition würde man nicht tätigen, wenn man am Standort zweifeln würde.

Arcelor-Mittal ist mit seinen gut 60 Werken weltweit vertreten. Welchen Stellenwert hat das Bremer Werk derzeit innerhalb des Konzerns?

Das Bremer Werk ist ein wichtiger Produktionsstandort im Konzernverbund. Bei Themen wie Arbeitssicherheit, Innovation oder Umweltbewusstsein sind wir weit vorne. Das ist aber nicht alles. Was zählt, ist auch die Wettbewerbsfähigkeit und Kosteneffizienz. Hier arbeiten wir kontinuierlich daran, unsere Position weiter zu verbessern.

Das heißt: Sie müssen weiter sparen.

Im Vergleich mit anderen Ländern ist das Lohnniveau in Deutschland natürlich hoch. Das müssen wir über andere Wege wettmachen. In den kommenden fünf Jahren werden gut 500 unserer insgesamt 3200 Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern, werden nicht alle Stellen nachbesetzt.

Wie viele Jobs wollen Sie streichen?

Da gibt es keine konkrete Zahl. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der für jeden Bereich immer wieder neu bewertet wird. Es geht uns um einen Umbau der Organisation und der Prozesse mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern, um auch in Zukunft Stahl in Bremen zu produzieren.

Die Belegschaft hat wegen der Stahlkrise zuletzt über ein Jahr lang verkürzt gearbeitet und dementsprechend weniger Lohn bekommen, um den Standort zu sichern. Arbeiten Sie nun wieder voll?

Die kollektive Arbeitszeitverkürzung ist im Februar ausgelaufen. Gut ein Drittel der Belegschaft hat das Angebot angenommen, auch weiterhin weniger zu arbeiten. Einen Teil der Arbeitszeit, die dadurch wegfällt, gleichen wir aber auch durch Neueinstellungen aus. Wir arbeiten im Sinne der Konzernstrategie daran, uns jedes Jahr kontinuierlich zu verbessern, das heißt: eine höhere Wertschöpfung in den Produkten und mehr Automatisierung in den Prozessen zu erreichen.

Hohe Lohnkosten sind das eine. Wo liegen die Vorteile eines Standorts wie Bremen?

Erst einmal ist es positiv, dass das Werk in Deutschland ist. Derzeit ist Deutschland eine der wirtschaftlich stärksten Regionen. Ein weiterer Vorteil liegt klar bei unserer kompetenten und erfahrenen Belegschaft. Die Qualifizierung der Mitarbeiter ist entsprechend groß. Außerdem sind wir hier nah am Kunden.

Und was kann ein Bundesland wie Bremen für ein Unternehmen wie Ihres tun?

In Bremen hat man schon gut verstanden, was wir brauchen. In erster Linie brauchen wir faire Bedingungen – die werden aber eher auf europäischer Ebene festgelegt. Aktuell beschäftigen uns die internationalen Handelsbeziehungen rund um die Schutzzölle gegen den Dumping-Stahl und die Verschärfung des Handels mit Emissionszertifikaten in der EU.

Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie?

Beim Emissionszertifikatehandel gibt es noch keinen festen Termin für ein endgültiges Ergebnis. Wir haben mit den Verbänden in Deutschland und Europa unsere Position klar gemacht und hoffen nun, dass die Politiker der verschiedenen Länder für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen. Wir leisten sehr gern unseren Beitrag dazu, energieeffizienter und umweltverträglicher zu produzieren. Aber wenn die Messlatte am Ende so hochgelegt wird, dass die europäischen Produktionsstandorte einen Wettbewerbsnachteil bekommen, ist niemandem geholfen.

Allein die bislang geplanten Veränderungen beim Emissionszertifikatehandel könnten die Bremer Hütte im schlimmsten Fall zusätzliche 50 Millionen Euro kosten. Welche konkreten Auswirkungen könnte das auf einen Standort wie die Hansestadt haben?

Dieser Betrag entspricht in etwa dem jährlichen Investitionsbedarf in den Standort. Wenn dann eine vergleichbare Summe in die Emissionszertifikate fließen würde, bekommen wir hier ein Problem. Dann würden mit Sicherheit Standorte außerhalb der EU profitieren. Und wir müssen sehen, wie wir hier vor Ort damit umgehen.

Ist die Lobby der Stahlindustrie nicht stark genug?

Das Image ist nicht so gut, wie es sein müsste. Und wie zukunftsorientiert die Branche ist, wissen auch viele nicht. Vor wenigen Monaten hat eine regionalökonomische Studie gezeigt, wie wichtig wir sind: Gesamtheitlich hängen 19.000 Jobs direkt und indirekt an unserem Werk. Dieses Ergebnis hat uns selbst überrascht.

In der Bremer Hütte sind drei der vier Vorstandsposten – inklusive Ihrem eigenen – zum Beginn des Jahres neu besetzt worden. Solche Neuerungen gehen in der Belegschaft oft mit Unsicherheiten einher. Was haben Sie bislang verändert?

Erst einmal dauert es natürlich ein wenig, sich neu zu finden und abzustimmen. Ich denke, das ist uns ganz gut gelungen. Unser Ziel ist es, den Standort kontinuierlich weiterzuentwickeln und mit unseren Schwerpunkten zu belegen. Ich war in den vergangenen sechs Jahren als Vertriebsleiter in Süd- und Nordeuropa unterwegs und habe dadurch eine große Kundennähe. Deswegen ist der Bereich Service am Kunden mit Sicherheit ein Fokus von mir. Und natürlich gibt es mit jeder Veränderung Unsicherheiten. Aber ich denke, das hat sich mittlerweile gelegt – wir kommunizieren transparent und direkt.

Ihr Vorgänger hat 25 Jahre im Bremer Stahlwerk gearbeitet und war damit eine Identifikationsfigur für die Hütte. Glauben Sie, es benötigt eine solche Figur?

Ich bin seit 2005 in Bremen, meine Familie lebt seit Jahren hier. Ich stehe also für Veränderung mit Kontinuität.

Das Gespräch führte Maren Beneke.

Zur Person: Reiner Blaschek (49) ist seit mehr als 20 Jahren in verschiedenen Positionen im Stahlgeschäft tätig. Zwischen 2005 und 2011 arbeitete er bereits für Arcelor-Mittal in Bremen, unter anderem als Vorstand für Technik Finishing. Bevor er Anfang 2017 als Vorstandsvorsitzender zurückkehrte, leitete er den Vertrieb für den Flachstahlbereich für Industriekunden in Europa.

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