Eine alte Idee kommt zu neuen Ehren. Die Vereinten Nationen haben 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Sie wollen damit auf die Bedeutung von genossenschaftlich organisierten Unternehmen aufmerksam machen. In einer Serie stellen wir Bremer Genossenschaften aus verschiedenen Branchen vor.
Bremen. Kai Böse ist Genosse durch und durch. Allerdings nicht etwa deshalb, weil er Mitglied der SPD wäre. Nein, der 39-jährige Bremer hat sein gesamtes bisheriges Berufsleben im Edeka-Verbund gearbeitet – dem mit insgesamt 12000 Märkten und 43 Milliarden Euro Umsatz größten Lebensmittel-Einzelhändler Deutschlands. Eigentümer von Edeka sind aber nicht etwa Familienunternehmer oder Aktienbesitzer, sondern Genossenschaften.
In diesen Kooperativen haben sich selbstständige Einzelhändler zusammengeschlossen. Insgesamt sieben Regionalgesellschaften fungieren als Großeinkäufer. In ganz Deutschland gibt es 4500 dieser selbstständigen Händler . Einer von ihnen ist Kai Böse. Seinen Markt in der Varrelerstraße in Stuhr (78 Mitarbeiter, 30000 Produkte) betreibt er seit 13 Jahren. Zuvor war er auch schon bei Edeka angestellt, hat seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in dem Unternehmen gemacht.
Wie eine große Familie
"Ich bin überzeugt von dem Modell", sagt Böse. "Die Genossenschaft funktioniert wie eine große Familie, in der jeder jedem hilft." Er habe sehr viel Freiraum als Selbstständiger, müsse sich nur an einen gewissen Rahmen halten, wie etwa die Außengestaltung des Marktes. "Ich kann jedoch ganz allein entscheiden, welches Sortiment ich vor Ort führe. Das wäre anders, wenn ich angestellter Manager bei einer anderen Kette wäre", sagt der Markt-Chef. "Aber das ist auch unser Konzept: Die Betreiber wissen am besten, was vor Ort nötig und sinnvoll ist."
Für Böse selbst bedeutet das: Bezug zur Region. Er bestellt seine Waren über die Regionalgesellschaft Edeka-Minden. Sie ist für einen Gürtel von der holländischen bis zur polnischen Grenze zuständig. "Der Vorteil ist, dass ich dadurch günstigere Einkaufsbedingungen habe. Wir achten dabei sehr darauf, die regionalen Produkte einzubeziehen." Böse geht zu einem Regal, über dem ein Schild mit der Aufschrift "Bestes aus unserer Region" hängt.
Der Edeka-Genosse nimmt ein Marmeladen-Glas aus dem Regal. "Hier", sagt er. "Nordseeliebe von Berwald. Kommt aus der Region." Das 250-Gramm-Glas Apfel-Sanddorn für 2,99 Euro. "Oder hier: Aus Bremen. Mango-Konfitüre von Grashoff."
In der Handels- und Konsumbranche ist Edeka ein Sonderfall, schon allein wegen seiner Größe. Doch gerade unter den Lebensmittelhändlern ist das Genossenschaftsmodell nicht ungewöhnlich. Auch Rewe, nach Metro Deutschlands zweitgrößter Handelskonzern, ist eine Genossenschaft. Die Rewe-Zentrale kauft für die Genossenschaftsmitglieder – selbstständige Kaufleute wie bei Edeka – Waren günstig ein. Gleichzeitig betreibt sie eigene Supermarktfilialen.
"Bei Edeka und Rewe handelt es sich um Einkaufsgenossenschaften", erklärt Mathias Fiedler, Vorstandsmitglied des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften (ZdK). "Konsumgenossenschaften dagegen sind Zusammenschlüsse von Verbrauchern, die gemeinsam ein Einzelhandelsgeschäft betreiben." Die gebe es jedoch kaum noch, bedauert Fiedler. Der Grund dafür sei das Rabattgesetz. "In der Nazi-Zeit wurde der Rabatt für Konsumgenossenschaften auf drei Prozent beschränkt. Damit war der Vorteil des Systems, sich über Rabattmarken eine Art Jahresrücklage zu schaffen, verloren."
Heute kommen diese Genossenschaften jedoch wieder. Fiedler erklärt, warum: "Konsumgenossenschaften sind Kinder der Not. Überall dort, wo Bedürfnisse der Bürger nicht gedeckt waren – schlechte Lebensmittel, hohe Preise – haben sie sich selbst geholfen. Heute gründen sich Konsumgenossenschaften dort, wo moderne derartige Bedarfe bestehen – etwa auf dem Land oder in Stadtteilen, die schlecht erschlossen sind."
Als Beispiele nennt Fiedler Dorfläden oder Energiegenossenschaften, um hohe Preise der Konzerne zu umgehen. Oder auch Hallenbäder, die von Gemeinden geschlossen wurden. In Nörten-Hardenberg haben Genossen 2005 bundesweit als erste ein solches Bad wieder eröffnet.