Endlich wieder gebraucht werden. Ein Gefühl, das Constanze Wichmann lange nicht gekannt hat. An das sie sich nun erst einmal wieder gewöhnen muss. Wichmann sitzt in der Kantine der Werkstatt Bremen in der Vahr. Vor wenigen Minuten hat die 50-Jährige Feierabend gemacht, nun schaut sie auf ihren Arbeitsplatz: eine Essensausgabe mit angeschlossener Spülküche.
„Eigentlich macht mir hier alles Spaß“, sagt sie. Besonders gern arbeitet sie aber an der übergroßen Spülmaschine. Dreckiges Geschirr ins Tablett sortieren, abbrausen, weiterschieben, spülen lassen, wegräumen. Da habe sie ihre Ruhe. Seit September geht Wichmann wieder einer geregelten Arbeit nach.
An vier Tagen die Woche arbeitet sie vier Stunden, freitags dreieinhalb. Fast 30 Jahre ist es her, dass sie zuletzt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Eine Ausbildung zur Malerin musste sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, dann kamen die Kinder.
Die Hoffnung ist groß
Mit Ein-Euro- und Minijobs als Hausmeisterin, als Malergehilfin, beim Quartiersservice, im Streichelzoo oder bei der Recyclingbörse hat sie sich zwischendurch über Wasser gehalten. Von einer Maßnahme in die nächste, von einer befristeten Stelle in die nächste. Hängen geblieben ist sie in keinem dieser Jobs.
Die Hoffnung ist groß, dass sich das nun ändert. Denn Wichmann ist eine von fast 180 Teilnehmern im Lazlo-Programm für Langzeitarbeitslose. Als langzeitarbeitslos gilt, wer länger als ein Jahr nach dem SGB II als arbeitslos bei der Agentur für Arbeit gemeldet ist. Im Oktober gab es nach Angaben der Arbeitsagentur 12.590 Langzeitarbeitslose in Bremen und 3240 in Bremerhaven.
Ziel des Projekts, das aus Eigenmitteln der Hansestadt finanziert wird, ist nun, insgesamt 500 Langzeitarbeitslose – 300 davon in Bremen und 200 in Bremerhaven – wieder in Arbeit zu bringen. Arbeitssenator Martin Günthner (SPD) sagt: „Die Stabilität, die ein zweijähriger Arbeitsvertrag gibt, ist ein wichtiger Baustein des Programms, um Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft zu ermöglichen.“
Lazlo ist zunächst bis Ende 2018 angelegt. Läuft alles nach Plan, werden die Teilnehmer über das Projekt wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt und bekommen dadurch eine Perspektive auch über diese Zeit hinaus. „Die Wahrscheinlichkeit, dass das über ein Programm wie Lazlo klappt, ist sehr viel höher, als über ständige Warteschleifen in unterschiedlichen Maßnahmen“, sagt Lazlo-Jobcoach Felix Rose.
Eignung für das Programm wird geprüft
Offiziell ist das Programm im Januar gestartet. Doch die dazugehörige Leitstelle gibt es erst seit Juni. Zunächst einmal mussten sich Projektleiterin Jasmin Tarchahani, Rose und ein weiterer Kollege selbst organisieren, um ein Netzwerk aufzubauen, offene Stellen und Kandidaten zu finden.
All das in enger Kooperation mit Beschäftigungsträgern, Beratungsstellen und dem Jobcenter, deren Mitarbeiter mit derselben Zielgruppe arbeiten, selbst aber oft nicht genügend Zeit haben, sich um all ihre Fälle individuell zu kümmern. Das Team der Leitstelle Lazlo wiederum, das beim Verein Bras angesiedelt ist, erstellt mit den Kandidaten Bewerbungsunterlagen, geht mit ihnen zu Vorstellungsgesprächen und begleitet sie bis zum Abschluss des Arbeitsverhältnisses.
Zunächst einmal muss aber überprüft werden, ob die potenziellen Programm-Teilnehmer überhaupt für Lazlo geeignet sind. Gesucht sind Langzeitarbeitslose mit Vermittlungshemnissen. Diese können etwa das Alter, mangelnde Sprachkenntnisse, ein fehlender Berufsabschluss sein. Aber auch alleinerziehende, überschuldete oder gesundheitlich eingeschränkte Menschen gehören zur Zielgruppe für Lazlo. „Und die Leute müssen es auch wirklich selbst wollen“, sagt Tarchahani.
"Ich will wieder unter Leuten sein"
Constanze Wichmann ist so jemand. Sie will wirklich. Das hat sie schon vor sechs Jahren bewiesen. Weil sie lange Zeit krank war, sind ihre vier Töchter nicht bei der Mutter aufgewachsen. 2009 ist sie zum ersten Mal Oma geworden. Da hat sich vieles geändert, sagt die 50-Jährige. Die Kinder hätten ihr Kraft gegeben. Seit sechs Jahren geht es ihr wieder gut, mit dem Rauchen hat sie aufgehört.
Mit vielen Bekannten aus früheren Zeiten hat Wichmann heute nichts mehr zu tun. „Schmarotzerin“ habe einer von ihnen ihr einmal hinterhergerufen – weil sie sich vom Staat hat finanziell unterstützen lassen. Das mochte sich Wichmann nicht gefallen lassen. Und handelte: nach Jahren ging sie auf Jobsuche. „Ich will wieder unter Leuten sein“, sagt die gebürtige Bremerhavenerin. Denn allein zuhause, da würde sie „eingehen wie eine Primel“.
Am Ende ist Constanze Wichmann in der Werkstatt Bremen gelandet. Die passenden Bewerber für die passenden Stellen zu finden, das sei oft gar nicht so einfach, sagt Lazlo-Jobcoach Rose. „Das Problem ist, dass leichte Tätigkeiten, die unsere Teilnehmer übernehmen können, in den vergangenen Jahren immer weniger geworden sind.“
Anforderungen dürfen nicht zu hoch sein
Dazu zählt Rose beispielsweise einfache Arbeiten im Büro oder eben Jobs wie den von Wichmann als Küchenhilfe. Man dürfe nicht vergessen: Die Menschen seien mehrere Jahre, teilweise sogar mehrere Jahrzehnte keiner regelmäßigen Arbeit nachgegangen. „Wenn wir ihnen einen Job vermitteln, dann kann es keiner mit viel Verantwortung sein.“
Die Anforderungen dürften nicht zu hoch sein. Deswegen tauschen sich Rose und seine Kollegen permanent mit den Arbeitgebern aus. „Wir sprechen laufend neue Arbeitgeber an“, ergänzt Tarchahani. Die Rückmeldungen seien oft positiv. Sie kämen aber vor allem von städtischen oder teilstädtischen Betrieben wie der Bremer Straßenbahn AG, dem Umweltbetrieb Bremen, der Werkstatt Bremen oder der Gewoba.
Gut 50 Arbeitgeber sind nach Angaben der Projektleiterin bereits dabei, „aber wir brauchen noch viel mehr, um alle Stellen zu besetzen“. Constanze Wichmann hat, so scheint es, zurzeit ins Arbeitsleben zurückgefunden. Ihre Tage sind streng strukturiert. Um 5 Uhr klingelt der Wecker, dann steht sie auf, macht sich fertig, frühstückt und trinkt eine Tasse Kaffee.
Wieder lernen, wie das ist
Um 8 Uhr geht sie aus dem Haus, gut eine Stunde braucht sie von Gröpelingen in die Vahr. Nach einem zweiten Frühstück beginnt der Arbeitstag. „Ein Ritual“ nennt Wichmann das. Ihre Wünsche für die Zukunft? Bescheiden. Die Waschmaschine läuft nicht mehr richtig, der Kühlschrank ist kaputt. Mit gut 465 Euro, die ihr nach eigenen Angaben im Monat zum Leben übrig bleiben, wird sie lange sparen müssen, um sich die neuen Geräte anzuschaffen.
Wenn alles gut läuft, dann will sie zunächst auf eine Vollzeitstelle aufstocken und eine unbefristete Stelle bekommen. So weit sei sie aber noch nicht. „Nach so vielen Jahren ohne Arbeit, wollte ich nicht gleich ins kalte Wasser geschmissen werden. Ich muss erst einmal wieder lernen, wie das ist – arbeiten.“