Daimlers Diesel-Rechnung wird immer länger. Für die diversen Rückrufe und Verfahren in aller Welt muss der Stuttgarter Autobauer voraussichtlich noch einmal einen Milliardenbetrag berappen. Von 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro zusätzlich ist in einer Mitteilung vom Mittwoch die Rede.
Grund sind abermals „laufende behördliche und gerichtliche Verfahren und Maßnahmen betreffend Mercedes-Benz Dieselfahrzeuge in verschiedenen Regionen und Märkten“. So hatte es Daimler schon im vergangenen Sommer formuliert, als der Konzern insgesamt 1,6 Milliarden Euro für die Dieselaffäre auf die Seite legte und Gewinnerwartungen nach unten korrigierte. Darüber hinaus wurden auch am Mittwoch keine Angaben gemacht.
Klar ist auch so: Die ohnehin getrübte Bilanz für 2019, die Vorstandschef Ola Källenius am 11. Februar vorlegt, dürfte damit deutlich trüber ausfallen. Zwar zogen die zeitweilig schwächelnden Pkw-Verkaufszahlen bei der Kernmarke Mercedes-Benz in der zweiten Jahreshälfte wieder an. Daimler ächzt aber abseits der Diesel-Probleme auch unter den hohen Kosten für den Einstieg in die Elektromobilität und die Weiterentwicklung von Zukunftstechnologien wie dem automatisierten Fahren.
Hinzu kommt jetzt noch die nachlassende Konjunktur im Lkw-Geschäft. Källenius, der seit vergangenem Mai im Amt ist, hatte deshalb im November ein Sparprogramm ausgerufen, das bis Ende 2022 allein beim Personal rund 1,4 Milliarden Euro einbringen soll. Mindestens 10 000 Stellen dürfte das nach früheren Aussagen von Personalvorstand Wilfried Porth wohl kosten. Außerdem will Källenius die Investitionen deckeln und sortiert gerade die Prioritäten neu.
Ob das nun noch reicht, scheint fraglich. Das Sparprogramm dürfte schon bald erweitert werden, schrieb NordLB-Analyst Frank Schwope am Mittwoch. Er sprach von „katastrophalen Vorabzahlen“ für das Jahr, die Källenius vorgelegt habe – wobei man nicht außer acht lassen dürfe, dass der Schwede den Konzern schon in schlechtem Zustand übernommen habe. Auch Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen mutmaßt, dass die Sparvorgaben wohl eher noch strenger werden könnten. Källenius mache einen guten Job, urteilte er. Aber: „Er steht unter einem enormen Druck.“
Nach eben jenen vorläufigen Zahlen hat Daimler 2019 einen operativen Gewinn von 5,6 Milliarden Euro erzielt. Das ist gerade einmal halb so viel wie 2018 – und schon da war das Ergebnis deutlich nach unten gerauscht. Und die zusätzlichen Diesel-Aufwendungen von 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro sind darin noch gar nicht berücksichtigt. Sie träfen im Wesentlichen die Geschäftsfelder Cars und Vans, hieß es. Schon ohne sie liegen die Vans für 2019 deutlich in den roten Zahlen.
Von den einst ausgegebenen langfristigen Renditezielen ist bei Daimler längst keine Rede mehr. „Gegenwärtig ist mehr denn je Fahren auf Sicht angesagt“, analysierte Schwope. Noch Anfang des Jahres hatte Källenius‘ Vorgänger Dieter Zetsche das Jahr 2021 für die Rückkehr in den Korridor von acht bis zehn Prozent Rendite im Kerngeschäft mit Mercedes-Autos vorgegeben. Der Wert gibt Aufschluss darüber, wie viel vom Umsatz als operativer Gewinn übrig bleibt, und ist damit der Maßstab für die Profitabilität.
Inzwischen rechnet Källenius mit gut sechs Prozent im Jahr 2022. Derzeit sind es den vorläufigen Zahlen zufolge schmale vier Prozent. Auch mit gut sechs Prozent bei den Trucks ist man bei Daimler „ganz und gar nicht zufrieden“, wie Sparten-Chef Martin Daum schon vor knapp drei Wochen klargestellt hatte – zumal die Tendenz anders als bei den Pkw nach unten zeigt.
Hohe Messwerte nach Software-Update
Was die Dieselaffäre angeht, hat das ZDF-Politmagazin Frontal 21 den versprochenen Effekt der Software-Updates in den betroffenen Mercedes-Fahrzeugen infrage gestellt. Demnach haben Messungen des britischen Spezialisten Emissions Analytics ergeben, dass das Auto nach dem Software-Update mehr Stickoxide in die Luft geblasen hat als vor dem Update. Als Testfahrzeug diente ein Mercedes 220 CDI mit einer Euro-5-Norm. Mit dem Auto fuhren die Experten 50 Kilometer durch Stuttgart und dabei auch vorbei an der Konzernzentrale von Daimler.
Das ZDF-Magazin berichtet, dass der Mercedes vor dem Update 715 Milligramm an Stickoxiden in die Luft blies. Das entspricht in etwa dem Vierfachen des gesetzlichen Grenzwertes für Euro-5-Dieselautos. Der liegt bei 180 Milligramm pro Kilometer. Nach dem Update lag der Durchschnittswert bei 764 Milligramm pro Kilometer. Entsprechend stellte der Geschäftsführer von Emissions Analytics, Nick Molden fest: „Das Update verbessert die Stickoxid-Emissionen nicht, es verschlechtert sie.“
Daimler bat dazu um die Herausgabe des Testfahrzeugs und die Daten der Messungen. Das TV-Magazin bezeichnet das britische Messunternehmen als kompetent und verweist auf mehr als 2000 Abgastests, die die Firma bereits gemacht hat. Auch das Bundesverkehrsministerium konnte die Messergebnisse nicht nachvollziehen. Es gab an, dass Messungen des Kraftfahrtbundesamtes ergeben hätten, dass vergleichbare Autos nach dem Software-Update weniger Stickoxide ausgestoßen hätten.
Unterm Radar: Daimlers größter Aktionär Geely
Ohne viel Aufhebens hat sich der chinesische Autokonzern und Daimler-Großaktionär im vergangenen Jahr ein Standbein in Deutschland aufgebaut. 300 Leute will Geely Auto Technical Deutschland innerhalb von drei Jahren in sein deutsches Entwicklungszentrum im hessischen Raunheim bei Frankfurt holen. Gut 70 sind mittlerweile da, überwiegend Ingenieure, die von anderen Autoherstellern oder Zulieferern gekommen sind. Diese arbeiten im Auftrag der und in Kooperation mit den verschiedenen Marken des Geely-Konzerns an neuen Technologien. Schwerpunkt sind Elektroantriebe.
Lange Zeit war der Name höchstens Branchenkennern ein Begriff – obwohl es schon rund zehn Jahre her ist, dass der Konzern den schwedischen Autobauer Volvo übernahm. Auch die Mehrheit des Sportwagenbauers Lotus gehört inzwischen dazu. Größere Bekanntheit hierzulande erlangte Geely Anfang 2018, als der Konzern knapp zehn Prozent der Daimler-Anteile übernahm und damit zum größten Einzelaktionär des Stuttgarter Autobauers wurde. Mittlerweile haben Daimler und Geely zwei Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Eines dreht sich um den Kleinwagen Smart, der künftig in China gebaut werden soll. Mit dem anderen sind die Partner schon ein Stück weiter: Der Limousinen-Fahrdienst Star Rides ging Anfang Dezember an den Start.